Experimente für Raumfahrtmissionen der Zukunft
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
7. September 2022
Von Bordeaux aus läuft gerade die 39. Parabelflugkampagne
der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR. An Bord des Forschungsflugzeugs sind auch
drei neue Experimente, die sich mit der Fitness und der Gesundheit von
Astronautinnen und Astronauten im All befassen und mit der Frage, wie sich
Satelliten im Orbit auftanken lassen.
Das Experiment "Spacebike" der Deutschen Sporthochschule
Köln und der Hochschule Aachen untersucht,
inwieweit sich die Ansteuerung von
menschlichen Muskeln durch das Gehirn bei
einer "normalen" Bewegung in
Schwerelosigkeit verändert.
Foto: DLR / Xiomara Bender [Großansicht] |
Noch bis morgen findet die 39. Parabelflug-Kampagne der Deutschen
Raumfahrtagentur im DLR statt und nach zwei Jahren erstmalig wieder in Bordeaux.
"Wir freuen uns, nach vier Kampagnen, die aufgrund der Corona-Pandemie vom
Flughafen in Paderborn aus stattgefunden haben, nun wieder in die 'alte Heimat'
des DLR-Parabelflugs zurückzukehren", sagt Dr. Katrin Stang, Leiterin des
Parabelflugprogramms der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR. "Die Bedingungen in
Deutschland waren sehr gut, doch die Infrastruktur in Bordeaux ist nach über 20
Jahren Parabelflug mit der Firma Novespace für unsere Bedürfnisse optimal."
Vom französischen Heimatflughafen des A310 Zero-G starten in dieser Zeit zehn
Experimente aus den Bereichen Biologie, Humanphysiologie und
Materialwissenschaften, Technologie und Physik in die Schwerelosigkeit. Neu mit
dabei sind die Experimente "Spacebike", bei dem Probanden unter
Weltraumbedingungen in die Pedale treten, das "Zero Boil-Off Tank"-Experiment
zur Befüllung von Raumfahrzeugen mit Treibstoff sowie "CoolFly", das die Wirkung
von Kühlkleidung auf den menschlichen Kreislauf untersucht. Die sieben weiteren
Experimente sind bereits bei früheren Kampagnen mitgeflogen. Hier werden die
Daten anhand neuer Testpersonen erweitert oder neue Fragestellungen oder
Materialien getestet.
Das Experiment "Spacebike" von Forschenden der Deutschen Sporthochschule Köln
und der Hochschule Aachen untersucht, inwieweit sich die Ansteuerung von
menschlichen Muskeln durch das Gehirn bei einer "normalen" Bewegung in
Schwerelosigkeit verändert. Hierzu fahren Probandinnen und Probanden auf einem
stationären Fahrradergometer, dem Spacebike, während die zentrale
Nervenaktivität im Gehirn mittels EEG (Elektroenzephalographie) und die daraus
resultierende Aktivierung der Muskeln mittels EMG (Elektromyographie)
aufgezeichnet werden. Die Analyse der Daten soll zeigen, ob dabei Unterschiede
im Vergleich zur Aktivität unter normaler Schwerkraft auftreten und wie die
jeweilige Motorik davon beeinflusst wird.
Das Forschungsthema ist nicht nur für die Raumfahrt und Exploration
interessant, sondern auch für den Rehabilitationsprozess bei Gehirnschädigungen,
etwa durch einen Schlaganfall. "Der erste Flugtag war sehr aufregend, aber alles
hat wunderbar geklappt. Das Radfahren auf dem SpaceBike hat unser Proband gut
gemeistert", so Constanze Badali, Doktorandin im Projekt bei Prof. Stefan
Schneider von der Deutsche Sporthochschule. "Wir freuen uns auf den nächsten
Flugtag!"
Flugzeuge in der Luft betanken - dies ist bereits seit vielen Jahren mithilfe
von speziell entwickelten Technologien möglich. Das Auffüllen von Raumfahrzeugen
und Satelliten im Weltall konnte hingegen bis heute nicht realisiert werden. Das
Forschungsprojekt "Zero Boil-Off Tank Experiment - Befüllung und Transfer" soll
dabei helfen, dies zu ändern. Das Hauptproblem bei der Betankung im Orbit ist,
dass die Kapillarkräfte innerhalb des Treibstoff-Tanks, je nach Größe und
Beschleunigung, in der Schwerelosigkeit dominieren. Dies nimmt Einfluss auf die
Flüssig- und Gasphase des Treibstoffs, wobei nicht sichergestellt werden kann,
dass die gewünschte Flüssigphase dann am Auslass des Tanks auftritt oder der
Gasauslass flüssigkeitsfrei ist.
Die Betankung im Weltall wäre ein großer Vorteil, da so die Lebensdauer von
Satellitenmissionen deutlich verlängert werden könnte. Außerdem benötigen
zukünftige Langzeit-Raumfahrtmissionen die Lagerung und den Transfer von
Treibstoffen im Weltraum. Im Parabelflug wollen Forschende vom Zentrum für
angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) an der Universität
Bremen nun ein Konzept für die Befüllung und den Transfer von
Flüssigtreibstoffen in der Schwerelosigkeit testen. Eine erfolgreiche
Durchführung ist die Voraussetzung für ein geplantes Experiment auf der
Internationalen Raumstation (ISS), das in deutsch-amerikanischer Zusammenarbeit
stattfinden soll.
Der menschliche Körper besitzt die Fähigkeit, den Blutdruck beim Wechsel vom
Liegen oder Sitzen in eine aufrechtstehende Position stabil zu halten. Dies wird
als Orthostase-Reaktion bezeichnet. Bei starker Beschleunigung oder einer
Änderung der Schwerkraftverhältnisse, wie sie etwa Astronautinnen und
Astronauten ausgesetzt sind, kommt es häufig zu gesundheitlichen Problemen. Das
Experiment "CoolFly" der Charité Berlin untersucht im Parabelflug-Experiment,
inwieweit sich eine leichte Absenkung der Körpertemperatur durch kühlende
Bekleidung stabilisierend auf die Orthostase-Reaktion von Testpersonen auswirkt.
"Wir sind sehr froh, dass alle unsere Probanden es gut vertragen haben. Nach
Aussage unserer Probanden funktioniert die Kühlung hervorragend. Wir sind
gespannt auf die Auswertung der Daten", resümiert Dr. Oliver Opatz nach dem
ersten Flugtag. Gelingt es den Forschenden diesen positiven Effekt nachzuweisen,
dann könnte solch eine Kühlkleidung zukünftig in der Raumfahrt zum Einsatz
kommen – insbesondere bei Langzeitmissionen zu Mond oder Mars. Interessant wäre
diese Methode auch, um auf der Erde in Hitzestressszenarien eingesetzt zu
werden. Beispiele hierfür sind etwa Einsätze von Feuerwehrleuten oder auch die
Behandlung von Intensiv-Patienten im Krankenhaus, wo eine externe Kühlung
positive Auswirkungen auf den Verbrauch von bestimmten
Kreislauf-stabilisierenden Medikamenten gezeigt hat.
Seit 1999 organisiert die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR regelmäßig
Parabelflüge für biologische, humanphysiologische, physikalische, technologische
und materialwissenschaftliche Fragestellungen. Das Forschungsflugzeug, der A310
ZERO-G der französischen Firma Novespace, wird ein- bis zweimal jährlich für
wissenschaftliche Kampagnen des DLR, der Europäischen Weltraumorganisation ESA
und der französischen Raumfahrtagentur CNES genutzt.
Eine DLR-Parabelflugkampagne besteht in der Regel aus drei Flugtagen mit
zirka vier Flugstunden, an denen jeweils 31 Parabeln geflogen werden. Während
jeder Parabel herrscht für etwa 22 Sekunden Schwerelosigkeit. Insgesamt stehen
bei einer Flugkampagne etwa 35 Minuten Schwerelosigkeit – im Wechsel mit
normaler und nahezu doppelter Erdbeschleunigung – zur Verfügung, die Forscher
für ihre Experimente nutzen können. Bis zu 40 Wissenschaftler können an einem
Flug teilnehmen, bei dem sich zwischen zehn und 13 Experimenten an Bord
befinden.
|
|