Fitness für Astronauten und neue Stoßdämpfer
Redaktion /
Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
9. Februar 2009
Mit großem Aufwand wird bei Parabelflügen oder auf der
Internationalen Raumstation ISS geforscht. Doch wozu dienen die Untersuchungen
hoch über der Erde eigentlich? Eine Antwort liefern exemplarisch zwei
Experimente der Universität Erlangen-Nürnberg, die bei der derzeit laufenden Parabelflug-Kampagne
des DLR dabei sind: Es geht um bessere Stoßdämpfer und das optimale
Fitnessprogramm - nicht nur für Astronauten.
Der Airbus A300 ZERO-G erzeugt mit seinen
Flugmanövern jeweils 22 Sekunden Schwerelosigkeit.
Bild: Novespace |
Morgen ist für zwei Forschergruppen aus Erlangen ein ganz besonderer Tag: Am
10. Februar 2009 wird nämlich um 9 Uhr von Bordeaux aus ein weiterer Flug der
13. Parabelflugkampagne des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt starten
(astronews.com berichtete), bei dem gleich zwei Experimente der Universität
Erlangen-Nürnberg mit an Bord sind.
Prof. Dr. Thorsten Pöschel und sein Team untersuchen, wie Schwingungen
gemildert werden können, um neue Stoßdämpfer für Satelliten, Flugzeugturbinen
oder Antennen zu entwickeln, die einfach aufgebaut, wartungsarm, robust und
preiswert sind und in einem breiten Temperaturbereich eingesetzt werden können.
Die Sportwissenschaftler um Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann wollen mehr darüber
herausfinden, wie das Bewegungssystem des Menschen unter verschiedenen
Schwerkraftbedingungen funktioniert. Die Forscher hoffen, auf Basis der neuen
Erkenntnisse, wirksame Trainingsprogramme für Astronauten und Menschen mit
Bewegungsstörungen zu entwickeln.
Genau 22 Sekunden Schwerelosigkeit herrschen im Inneren des Airbus A300
Zero-G, dem größten fliegenden Labor der Welt, wenn es in den Sinkflug geht. In
diesen 22 Sekunden können die Wissenschaftler im Flugzeug Experimente bei
annähernder Schwerelosigkeit, sogenannter Mikrogravitation, durchführen. Der
Airbus startet von Bordeaux in Frankreich und fliegt über dem Atlantik, bei
schlechtem Wetter auch über Korsika. Für die Experimente stehen insgesamt vier
Flugtage mit etwa 40 Minuten Schwerelosigkeit zur Verfügung. Alles muss also
klappen wie am Schnürchen.
Das Experiment von Prof. Dr. Thorsten Pöschel, Leiter des Lehrstuhls für
Multiscale Simulation of Particulate Systems, betrifft die Mechanik
granularer Stoffe, also großer Mengen winziger Teilchen wie etwa Sand, Geröll
oder auch Müsli. Das Erlanger Team untersucht Glaskügelchen in zylindrischen
oder quaderförmigen Körpern. Die Kügelchen schlucken bei Zusammenstößen die
Energie von Bewegungen und Vibrationen. Wegen dieser Eigenschaften werden
Granulate auch häufig als Verpackungsmittel genutzt oder als Sandsäcke beim
Boxtraining verwendet.
Für künftige Anwendungen ist denkbar, dass direkt mit Granulat gefüllte
Hohlräume bei der Konstruktion von Turbinenflügeln oder Antennen eingebaut
werden, die dann Vibrationen und Schwingungen dämpfen und somit zur
Funktionalität und Sicherheit der Bauteile entscheidend beitragen. Bei den
Experimenten während der Parabelflüge wollen die Wissenschaftler die Bahnen der
Granulatteilchen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera beobachten und
untersuchen, wie z.B. Behälterform, Kugelgröße, Füllhöhe, Dicke der
Federstahlplatte sich auf die Dämpfung auswirken.
Dafür haben sie eine 1,25 mal 2,50 Meter große Bodenplatte mit 16 Schwingern
bestückt, die jeweils aus einem Zylinder mit Glaskugeln einer Stahlblattfeder
sowie mehreren Detektoren bestehen. Diese Platte wird dann im Airbus auf dem
Boden festgeschraubt. Sobald die Phase der Schwerelosigkeit beginnt, wird ein
Elektromagnet, der die Federn auf Spannung gehalten hat ausgeschaltet. Durch
diesen Impuls beginnt die Konstruktion zu schwingen. Nach 22 Sekunden
Schwerelosigkeit bleiben den Forschern dann zwei bis drei Minuten, um ihren
Versuchsaufbau neu zu bestücken, bevor dann die nächste der 31 Parabeln pro Flug
beginnt. Die in der Schwerelosigkeit aufgezeichneten Daten liefern erstmals
präzise Versuchsergebnisse, für die bisher nur Berechnungen aus
Computersimulationen zur Verfügung standen. Auf der Erde sind solche Versuche
nicht möglich, weil die Schwerkraft viele der sehr komplexen Effekte überlagert.
Das zweite Forschungsteam, das am Parabelflug teilnimmt, leitet der
Sportbiologe und Bewegungsmediziner Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann. Er und sein
Team wollen mehr darüber herausfinden, wie das Bewegungssystem des Menschen
unter verschiedenen Schwerkraftbedingungen funktioniert. Die Forscher hoffen auf
Basis der neuen Erkenntnisse, wirksame Trainingsprogramme für Astronauten und
Menschen mit Bewegungsstörungen zu entwickeln.
Die Anziehungskraft der Erde stellt einen ständigen Trainingsreiz für das
Herz-Kreislaufsystem sowie das Muskel- und Knochensystem des Menschen dar. Ohne
diesen Trainingsreiz sinkt die Leistungsfähigkeit dieser Systeme innerhalb
kürzester Zeit rapide ab. Um diesen negativen Auswirkungen der Schwerelosigkeit
auf den menschlichen Körper entgegenzuwirken, führen Astronauten täglich ein
mehrstündiges Ausdauer- und Krafttraining durch - zum Beispiel auf dem
Fahrradergometer.
Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen in der Schwerelosigkeit sich auf dem
Ergometer anders bewegen als auf der Erde. Bei den Astronauten kann es zu einer
veränderten Koordination und in der Folge zu Bewegungsstörungen kommen. Wie die
veränderten Bewegungen genau aussehen und welchen Einfluss dabei die
Schwerelosigkeit auf das Gehirn und die Beinmuskulatur nimmt, untersuchen die
Erlanger Wissenschaftler beim Parabelflug. Während der Flüge führen die
Teilnehmer des Experiments Tretbewegungen auf einem speziellen Fahrrad durch,
das die Kraft des linken und rechten Beines getrennt voneinander auf den
Radantrieb überträgt. In dem Parabelflugexperiment werden erstmals drei
hochmodernen Untersuchungsmethoden verzahnt. Mit Hilfe von Kameras beobachten
die Wissenschaftler die Beinbewegung, zeichnen die Gehirnaktivität per
Hirnstrommessungen auf und erfassen die elektrische Aktivität in den
Beinmuskeln.
|