Experimente im All und im freien Fall
Redaktion /
Pressemitteilung des DLR astronews.com
21. Januar 2009
Bereits zum zehnten Mal wird in diesem Jahr auf der ISS eine
Experimentserie zu komplexen Plasmen durchgeführt. Dabei sollen neue
Erkenntnisse über die Physik dieser staubhaltigen ionisierten Gase gewonnen und
deren Flüssigkeitseigenschaften untersucht werden. Im Februar sind zudem
ergänzende Experimente bei einer Parabellflugkampagne geplant.
Unter Schwerelosigkeit können sich die Partikel
des Plasmakristalls frei im Raum verteilen und so
große, dreidimensionale Strukturen bilden.
Bild: Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik |
Bereits zum zehnten Mal wird auf der Internationalen Raumstation ISS eine
Experimentserie zu komplexen Plasmen mit der Anlage "PK-3 Plus" (Plamakristall-Experiment)
durchgeführt. Forscher des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik
(MPE) in Garching wollen mit dem Versuch ihre Erkenntnisse über die Physik
staubhaltiger ionisierter Gase, so genannter komplexer Plasmen, weiter
vertiefen. Untersucht werden unter anderem deren Flüssigkeitseigenschaften. Im
Februar dieses Jahres werden ergänzende Experimente mit der Laboranlage PK-3
Plus im Rahmen der 13. Parabelflugkampagne des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt (DLR) in Bordeaux stattfinden. Seit Entdeckung des Phänomens der
Plasmakristalle Mitte der neunziger Jahre fördert die Raumfahrt-Agentur des DLR
die Wissenschaftler des MPE mit Geldern des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie (BMWi).
Die Bildung von Plasmakristallen wurde 1994 am MPE erstmals experimentell
nachgewiesen. Seit 1996 führen die Garchinger hierzu Experimente unter
Schwerelosigkeit auf ballistischen Raketen und auf Parabelflügen durch. Fast zur
gleichen Zeit begann das Moskauer Joint Institute for High Temperatures
(JIHT) der Russischen Akademie der Wissenschaften mit der Planung ähnlicher
Experimente für die MIR-Station, von denen zwei 1998 und 1999 durchgeführt
wurden. 1998 beschlossen beide Institute künftig zusammenzuarbeiten
(astronews.com berichtete), wobei die deutsche Seite für die Anlagenentwicklung,
die russische Seite für den Transport zur Raumstation und den Betrieb zuständig
wurde. Die Weltraum-Experimente werden gemeinsam von beiden Instituten geplant
und ausgewertet.
Die vom MPE unter Leitung von Professor Dr. Gregor E. Morfill
entwickelten PKE-Anlage begann im März 2001 die wissenschaftliche Nutzung der
ISS. Mit "PK-3 Plus" ist dort inzwischen die zweite Gerätegeneration im Einsatz.
Im Rahmen der "Astrolab-Mission" von Juli bis Dezember 2006 führte auch
Deutschlands Langzeit-Astronaut Thomas Reiter Plasmakristall-Experimente im All
durch. Aus den in Schwerelosigkeit gewonnenen wissenschaftlichen Daten sind bis
dato mehr als 40 Veröffentlichungen allein in internationalen Fachjournalen
entstanden.
Bei dem Parabelflug im Februar steht den Wissenschaftlern eine hochauflösende
Hightech-Kamera zur Verfügung, um die Plasmen noch detaillierter untersuchen zu
können. Während der circa 20-sekündigen Schwerelosigkeitsphasen werden
Kurzzeitexperimente wie das Aufeinandertreffen und Durchströmen zweier
Teilchenwolken durchgeführt. Obwohl die physikalischen Vorgänge in komplexen
Plasmen sehr viel langsamer als in echten Kristallen ablaufen, sind einige von
ihnen so schnell, dass sie mit herkömmlichen Videokameras nicht mehr im Detail
erfasst werden können.
Jetzt werden die Forscher ihre Experimente mit bis zu 1.000 Bildern pro
Sekunde während des freien Falls verfolgen. Dieses Verfahren soll später auch
auf der Raumstation angewandt werden. Während desselben Parabelflugs kommt mit
"PK-4" auch die nächste Anlagengeneration zum Einsatz. Vor ihrem Flug zur
Raumstation muss das von der Europäischen Weltraumorganisation ESA konstruierte
Gerät noch Eignungstests bestehen. Voraussichtlich ab 2010 soll es im
Columbus-Modul der ISS seinen Dienst tun.
Die PK-4-Plasmakammer ist besonders geeignet zur Untersuchung der
Strömungseigenschaften flüssiger Plasmen. Auch die übernächste Generation ist
schon in Sicht: Mit Förderung des DLR werden derzeit völlig neuartige
Plasma-Experimentkammern entwickelt, die das wissenschaftliche Potenzial
erheblich erweitern werden. Das JIHT hat unterdessen Interesse an der
Fortführung des PK-3 Plus-Experiments auf der ISS über das ursprünglich
vereinbarte Ende im Dezember 2009 hinaus signalisiert. Allerdings muss dann die
Anlage in das kleine russische Experimentmodul MIM umziehen. Dieses wird im
Herbst zur ISS gebracht und an den bisherigen Standort von PK-3 Plus, das
Transfer-Compartment zwischen den russischen Stationsteilen Sarja und
Swesda, angedockt.
Ein Plasma ist ein ionisiertes Gas. Neben Ionen, also elektrisch geladenen
Atomen oder Molekülen, besteht es aus freien Elektronen und einer
Neutralgaskomponente. Es wird als vierter Aggregatzustand neben fester,
flüssiger und gasförmiger Materie bezeichnet. Mehr als 99 Prozent der sichtbaren
Materie im Universum befindet sich im Plasmazustand. Komplexe Plasmen sind der
Gruppe der weichen Materie zugeordnet, zu der auch Kolloide und Schäume gehören.
Sie entstehen, wenn zusätzlich Staubpartikel enthalten sind. In der Natur kommen
sie zum Beispiel als interstellare Molekülwolken, planetare Ringsysteme oder
Kometenschweife vor.
Im Labor entstehen komplexe Plasmen durch die Zugabe von Mikropartikeln, in
der Experimentieranlage PK-3 Plus durch Plastikkugeln von wenigen Mikrometern
Durchmesser. Sie werden im Plasma elektrisch mit gleichem Vorzeichen aufgeladen.
Ihr Bestreben, einen möglichst großen Abstand voneinander einzunehmen, führt zu
ihrer strukturellen Selbstorganisation bis hin zu der periodischen Ordnung einer
Kristallstruktur.
Da sich im Labor auf der Erde die Plasmapartikel durch Einwirkung der
Schwerkraft in einer lediglich zweidimensionalen Schicht ablagern, ist ein
schwereloses Umfeld für die Untersuchungen ideal. Durch Änderung der
Experimentparameter sowie die Wirkung externer Kräfte kann die Plasmastruktur
manipuliert werden. So lassen sich Strukturanalogien zu Gasen und Flüssigkeiten
herstellen, Phasenübergänge wie Schmelzen oder Erstarren simulieren oder
Grenzflächenphänomene und die Ausbreitung von Wellen studieren. Über die reine
Grundlagenforschung hinaus ergeben sich für Plasmen auch praktische Anwendungen,
etwa in der Plasmamedizin. Hier geht es um die Bakterien abtötende Wirkung von
Plasmen zur Behandlung chronischer Wunden.
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