Plasmaforschung im All
Redaktion / DLR
astronews.com
12. Januar 2006
Auch wenn die Internationale Raumstation ISS zur Zeit nicht
weitergebaut wird, langweilt sich die Besatzung nicht: So nimmt heute das neue
Experiment PK-3 Plus zur Plasmaforschung seinen Betrieb auf. PK-3 Plus wird vom
DLR gefördert und dient der Erforschung komplexer Plasmen. Der Materiezustand
der komplexen Plasma-Kristalle wurde erst 1994 entdeckt. Diesen zu verstehen,
ist ein wichtiger Bereich der physikalischen Grundlagenforschung.
Die Internationale Raumstation ISS (künstlerische Darstellung).
Bild:
ESA / D.Ducros |
Das deutsch-russische Experiment PK-3 Plus schafft für die nächsten vier
Jahre die Voraussetzung für ein breites Spektrum neuer wissenschaftlicher
Experimente. Die Anlage unterscheidet sich vom Vorgängermodell PK-3 vor allem
durch erweiterte und grundlegend neue Möglichkeiten zur Erzeugung und
Manipulation komplexer Plasmen. Zunächst wird in Basisexperimenten die Funktion
einzelner Baugruppen der Apparatur getestet und deren Leistungsfähigkeit unter
Schwerelosigkeit erkundet. Danach geht es mit gezielten Experimenten an die
Untersuchung einzelner Effekte der Festkörper-, Flüssigkeits- und Plasmaphysik
in einem nur unter Schwerelosigkeit zugänglichen Bereich der Plasmen.
Die ersten Experimente werden von dem Kosmonauten Valerij Tokarev zwischen dem
12. und 16. Januar 2006 durchgeführt. Tokarev trainierte als erster russischer
Kosmonaut im Herbst 2005 im Sternenstädtchen bei Moskau an PK-3 Plus. Wie
bereits beim Vorgänger PK-3 werden alle russischen Mitglieder der ISS-Crews ein
Training an der Anlage erhalten und Experimente im All durchführen. Betrieben
wird die Einrichtung vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in
Garching und dem Institut für Hochenergiedichten der russischen Akademie der
Wissenschaften in Moskau. Mit der neuen Apparatur soll das grundlegende
Verständnis über Vorgänge in kristallin geordneten Festkörpern erweitert werden.
Die neue Experimentanlage löst die bisher erfolgreich genutzte Einrichtung
PK-3 ab, die als erstes wissenschaftliches Experiment auf der ISS von März 2001
bis Juli 2005 mit zwei bis drei Experimentserien pro Jahr in Betrieb war.
Vorhandenes Lehrbuchwissen über die Stärke der in einem Plasma wirkenden
einzelnen Kräfte musste auf Grund der mit PK-3 gewonnenen Daten revidiert
werden. Entdeckt wurde zudem die Ausbildung einer scharfen Grenzschicht im
komplexen Plasma, die bisher nur bei Plasma-Wechselwirkungen mit festen Wänden
bekannt ist. Dabei ist es durch gezielte Versuche gelungen, einem in der
terrestrischen Plasmatechnologie bekannten Verunreinigungseffekt durch
Staubpartikel physikalisch auf die Spur zu kommen.
Ein Plasma ist ein ionisiertes Gas, das aus freien Elektronen, Ionen und
neutralem Gas besteht. Neben fest, flüssig und gasförmig gilt es als vierter
Aggregatzustand. Durch das Einfügen von kleinen Partikeln in das Plasma wird es
zu einem so genannten komplexen Plasma. Die Partikel werden spontan
elektrostatisch aufgeladen und treten untereinander in Wechselwirkung. Unter
bestimmten Bedingungen platzieren sich diese Partikel geometrisch in Form eines
Kristalls, dem komplexen Plasma-Kristall.
Für ein gewöhnliches Plasma ist die Schwerkraft von untergeordneter Bedeutung.
Aufgrund der hundert Milliarden mal größeren Masse der eingebrachten
Mikropartikel im Vergleich zu Elektronen und Ionen reagiert ein komplexes Plasma
jedoch empfindlich auf Schwerkraft durch Ablagerung der Partikel. Nur unter
Schwerelosigkeit können große dreidimensionale Strukturen ungestört erforscht
werden.
Mehr als 99 Prozent der sichtbaren Materie im Universum befindet sich im
Plasmazustand. Auch komplexe Plasmen sind in der Natur weit verbreitet. Sie
treten auf in interstellaren Molekülwolken, planetaren Ringsystemen wie beim
Saturn oder in Kometenschweifen. In der Plasmatechnologie sind sie häufig als
störende "staubige" Plasmen anzutreffen. Neben der Bedeutung für die
Grundlagenforschung in der Flüssigkeits-, Festkörper- und Astrophysik zeichnen
sich für komplexe Plasmen langfristig auch praktische Anwendungen ab, etwa zur
Beschichtung von elektronischen Mikrochips.
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