Experimente im früheren Kanzler-Airbus
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
27. April 2015
In dieser Woche beginnt wieder eine wissenschaftliche
Parabelflug-Kampagne, bei der Experimente an Bord eines speziellen Flugzeugs
für einige Sekunden in Schwerelosigkeit durchgeführt werden können. Dabei kommt
erstmals ein Airbus zum Einsatz, mit dem viele Jahre lang Regierungsmitglieder
der Bundesrepublik Deutschland unterwegs waren.
Er ist 16 Jahre jünger als sein Vorgänger, hat eine bewegte Geschichte und
tritt ein beachtliches Erbe an: Der ehemalige "Kanzler-Airbus" A310-304 VIP ist
das neue, europaweit einzigartige Parabelflugzeug und soll - wie zuvor schon der
A300 ZERO-G - ab dem 27. April 2015 für wissenschaftliche Experimente in
Schwerelosigkeit abheben: Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt
(DLR) nutzt das ehemalige deutsche Regierungsflugzeug für Forschung in Null "G".
Der vom VIP- zum Forschungsflugzeug umgebaute Airbus gehört seit Juni 2014
der französischen Firma Novespace mit Sitz in Bordeaux-Mérignac. Der
Flughafen der südwestfranzösischen Metropole ist seit März auch das Zuhause des
A310 ZERO-G - zuvor wurde er sechseinhalb Monate lang bei der Lufthansa Technik
AG in Hamburg umfangreich umgebaut und neu zugelassen - als ziviles Flugzeug
nach den Regeln der Europäischen Agentur für Luftsicherheit EASA.
Nachdem die Testflüge mit den Testpiloten und teilweise bis zu 50 Parabeln
sowie die Trainings mit der speziell ausgebildeten Crew erfolgreich verlaufen
sind, soll das neue Parabelflugzeug vom 27. April bis zum 8. Mai 2015 seine
erste wissenschaftliche Kampagne absolvieren.
"Das ist eine Gemeinschaftskampagne des DLR, der Europäischen
Weltraumorganisation ESA und der französischen Raumfahrtagentur CNES", berichtet
Dr. Ulrike Friedrich, die seit 1999 das DLR-Parabelflugprogramm leitet. "Wir
haben insgesamt zwölf Experimente an Bord, von denen acht aus Deutschland kommen
- vier davon wurden von der ESA ausgewählt. In der ersten Woche bauen die
Wissenschaftler ihre Experimente im Flugzeug auf und bereiten alles für den
Einsatz vor, in der zweiten Woche - am 5., 6. und 7. Mai - sind drei Flugtage
mit jeweils 31 Parabeln vorgesehen", ergänzt die Programm-Managerin.
Das DLR arbeitet seit 1999 mit Novespace im Parabelflug-Programm
zusammen: 15 Jahre lang nutzten deutsche Wissenschaftler und Ingenieure den
Vorgänger-Airbus A300 ZERO-G, Baujahr 1973, für Experimente in Schwerelosigkeit.
Doch nach 5.200 Flügen, 4.200 Flugstunden und 13.180 Parabeln hat sich das
Spezialflugzeug am 31. Oktober 2014 von der Wissenschaft in den "Ruhestand"
verabschiedet (astronews.com berichtete).
Das DLR hatte 25 Forschungskampagnen mit mehr als 400 Experimenten mit dem
A300 ZERO-G organisiert - um biologische, medizinische, physikalische und
materialwissenschaftliche Fragen zu beantworten. Auch technologische Tests
standen auf dem Programm: Experimentiereinrichtungen wurden für ihren Einsatz im
Weltraum - zum Beispiel auf der Internationalen Raumstation ISS - erprobt.
"Je älter Flugzeuge sind, umso größer ist der Wartungsaufwand", erklärt
Friedrich. Irgendwann rechnet sich das nicht mehr. Das DLR habe deshalb gerne
die Suche nach einem passenden "Nachfolger" unterstützt: "Die Herausforderung
war, ein bezahlbares und dennoch durch Starts und Landungen relativ wenig
beanspruchtes Flugzeug zu finden. Denn beim Starten und Landen ist die
Flugzeugstruktur den stärksten Belastungen ausgesetzt."
Der A310-304 VIP "Konrad Adenauer" der deutschen Bundesregierung, knapp 26
Jahre alt, hat diese Voraussetzungen bestmöglich erfüllt und wurde von
Novespace für rund 2,5 Millionen Euro erworben. Bis zum Erstflug im neuen
Gewand hat die Lufthansa Technik AG in Hamburg rund 1.350 Modifikationen
erledigt.
Besonders auffällig ist dabei die rund 100 Quadratmeter große, rundherum mit
weißen Kunstledermatten ausgekleidete, fensterlose Experimentierzone in der
Mitte des Flugzeugs. Von schwarzen Netzen begrenzt - damit nichts und niemand
während der rund 22 Sekunden andauernden Schwerelosigkeitsphasen hinausschwebt
-, mit Haltegriffen und besonderen Licht- und Bodenleisten ausgestattet,
befindet sich hier das Zentrum für die Wissenschaft.
Die Schaltzentrale ist wie in jedem Flugzeug im Cockpit - auch hier mit
Sonderausstattung: einem Beschleunigungsmesser - dem so genannten "G"-Instrument
- und einem System, um die Parabeln besonders genau zu fliegen. "An jedem
Flugtag sind vier Piloten an Bord", erläutert Friedrich den Ablauf. "Drei sitzen
im Cockpit, einer hat solange 'dienstfrei', bis gewechselt wird. Der Einsatzplan
wird täglich flexibel festgelegt - mal ist ein Tausch nach der 5., mal nach der
10. Parabel." Während einer Parabel steuert dann der erste Pilot die Bewegungen
in der Längsachse, der zweite die Querachse des Flugzeugs und der dritte den
Schub der Turbinen, also die Vorwärtsbewegung der Maschine.
Um eine Parabel zu fliegen, führen die Piloten das Flugzeug zuerst steil nach
oben und dann in den kontrollierten Sturzflug. Im oberen Bereich der Flugkurve
gibt es für 22 Sekunden Schwerelosigkeit. In den Phasen davor und danach
herrscht nahezu doppelte Schwerkraft. Da die Piloten die Flugbahn einer in die
Luft geworfenen Kugel, also einer Wurfparabel, nachahmen, spricht man von
Parabelflügen. Einige Teile der Flugzeugstruktur müssen bei einer Parabel
Belastungen aushalten, die bis zu 30 Mal so groß sind wie bei einem normalen
Einsatz.
Der Airbus A310-304 "10+21" wurde am 24. Juni 1989 vom Flugzeughersteller
Airbus an die DDR-Fluggesellschaft "Interflug" übergeben und bis 1991 von
DDR-Regierungsmitgliedern genutzt. Am 27. August 1991 ging das Flugzeug ins
Eigentum der Luftwaffe über und war als VIP-Maschine "Konrad Adenauer" von 1993
bis 2011 für Reisen und Staatsbesuche von Bundeskanzlern und Bundesministern im
Einsatz.
Stationiert war der A310 "10+21" bei der Flugbereitschaft des
Bundesverteidigungsministeriums am Flughafen Köln-Bonn. Genau 25 Jahre nach der
Erstzulassung wurde die "Konrad Adenauer" am 24. Juni 2014 an den neuen Eigner
Novespace übergeben, der zahlreiche Testflüge durchführte. Vom 3. September 2014
bis zum 18. März 2015 überholte die Lufthansa Technik AG in Hamburg die Maschine
und baute sie zum Parabelflugzeug um.
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