Schwerkraft in unterschiedlicher Stärke
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
7. Juni 2018
Noch bis morgen läuft in Frankreich eine
Parabellflugkampagne von ESA, DLR und CNES. Dabei geht es diesmal während eines
Fluges nicht um das Erzeugen von Schwerelosigkeit, sondern vielmehr um die
Schaffung von verschieden starken Schwerkraftbedingungen für unterschiedliche
lebenswissenschaftliche Experimente. Auch die US-Raumfahrtbehörde NASA ist
beteiligt.

Vom Flughafen Bordeaux-Mérignac aus starten
die Parabelflüge von DLR, ESA und CNES mit einem
speziellen Airbus A310 ZERO-G.
Foto: DLR (CC-BY 3.0) [Großansicht] |
Als am 5. Juni 2018 das Parabelflugzeug Airbus A310 ZERO-G vom Flughafen
Bordeaux-Mérignac abhob, startete gleich in mehrfacher Hinsicht eine Premiere:
Erstmals wurden ausschließlich lebenswissenschaftliche Experimente bei einer
gemeinsamen Kampagne des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), der
Europäischen Weltraumorganisation ESA und der französischen Raumfahrtagentur
CNES drei ganz unterschiedlichen Schwerkraftbedingungen ausgesetzt.
Die Idee, eine reine "Life Science Kampagne" zu fliegen, kommt von der
internationalen Arbeitsgruppe "ISLSWG" - ein Expertennetzwerk auf
Raumfahrtagenturebene, für Lebenswissenschaften im Weltraum. Auf dieser
besonderen Kampagne stehen insgesamt acht Experimente in drei Flugtagen auf dem
Plan - drei davon stammen aus Deutschland. Außerdem wird zum ersten Mal ein
lebenswissenschaftliches Experiment der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA
aus den USA an Bord sein.
Parabelflüge, auch wissenschaftliche Parabelflüge, haben in den USA ebenfalls
eine lange Tradition, aber derzeit werden dort keinen wissenschaftlichen
Kampagnen durchgeführt. An der ISLSWG Partial G Kampagne beteiligt sich NASA mit
einem umfangreichen Experiment. "Wir freuen uns sehr über die Teilnahme an
dieser besonderen Kampagne in Europa mit dem A310. Unser Experiment, bei dem wir
den Blutfluss und den Blutdruck in der oberen Körperhälfte als auch den
Augeninnendruck bei den verschiedenen partiellen G-Leveln untersuchen, hilft
uns, die Reaktionen des menschlichen Körpers besser zu verstehen und so für
Astronauten bei Langzeitaufenthalten dafür Sorge tragen zu können, dass sie
gesund und leistungsfähig bleiben. Der erste Flugtag war sehr spannend und wir
sind gespannt auf die Auswertung unserer Ergebnisse", sagt David Martin,
Projektwissenschaftler vom Team "Gravitational Dose" vom Cardiovascular and
Vision Laboratory am NASA Johnson Space Center.
Normalerweise ist Forschung unter Schwerelosigkeit eine interdisziplinäre
Angelegenheit. Materialforscher interessieren sich zum Beispiel für die Schmelze
von bestimmten Legierungen. Physiker wollen herausfinden, wie sich unter anderem
Flüssigkeiten oder Plasmen bei eingeschränkter Gravitation verhalten. Doch
dieses Mal kommen ausschließlich lebenswissenschaftliche Experimente auf der
knapp 100 Quadratmeter großen Experimentierfläche in den Genuss der reduzierten
Schwerkraft.
"Wir konzentrieren uns bei dieser besonderen Kampagne auf die
Lebenswissenschaften, weil sie uns Antworten auf wichtige Fragen geben. Zum
Beispiel wie sowohl Astronauten als auch wir Menschen auf der Erde gesund und
fit bleiben. Mit der Initiative von ISLSWG ergibt sich nun die Chance, mit den
Experimenten der Experten zu einigen dieser wichtigen Fragen Antworten zu
finden", betont die Programmleiterin der Parabelflüge auf Seiten des DLR, Dr.
Katrin Stang.
Die International Space Life Sciences Working Group (ISLSWG) ist ein
internationaler Zusammenschluss der Raumfahrtagenturen Amerikas, Deutschlands,
Frankreichs, Italiens, Japans und Kanadas sowie der Europäischen
Weltraumorganisation ESA, um die globale Zusammenarbeit zu stärken. Dieses
Netzwerk unter dem Vorsitz der NASA bringt nationale Agenturen und Forscher aus
aller Welt im Bereich der Lebenswissenschaften auf dem internationalen Parkett
zusammen, um die Entwicklung und die möglichst effiziente, gemeinsame Nutzung
von Forschungseinrichtungen und Ressourcen weltweit - und mit der
Internationalen Raumstation ISS auch darüber hinaus - voranzutreiben.
Ein intensiver Informationsaustausch zwischen den Agenturen und
Wissenschaftlern sichert den Erkenntnisgewinn und hilft dabei, die besonderen
Bedingungen des Weltraums optimal zu nutzen, um Anwendungen für den Menschen auf
der Erde abzuleiten und Exploration möglich zu machen.
Wenn der Airbus A310 ZERO-G nach etwa 30 Minuten Flugdauer sein Zielgebiet
erreicht hat, kündigt die Durchsage des Kapitäns die erste von insgesamt 31
Parabeln eines Flugtages an. Erst sind es noch fünf, dann nur noch eine Minute,
30 Sekunden, 5, ..., 3, 2, 1 - "Pull up!", lautet das Kommando aus dem Cockpit -
für alle Beteiligten das Signal, dass die Piloten das Flugzeug nun nach oben
ziehen. Nach diesem Steigflug, in dem 1,8 G an Bord herrschen und die Passagiere
fast doppelt so schwer sind, folgt normalerweise die 22 Sekunden lange
sogenannte 0G-Phase - die absolute Schwerelosigkeit.
"Die wird es jedoch bei dieser Kampagne nicht geben. Denn auf der
Partial-G-Kampagne fliegt das Pilotengespann drei spezielle Formen einer
Parabel. Dabei werden anstelle von 0G-Schwerelosigkeit - stattdessen ein
Viertel, die Halbe so wie Dreiviertel der Schwerkraft der Erde noch vorhanden
sein. Die Passagiere an Bord empfinden also noch ein Viertel, die Hälfte oder
Dreiviertel ihres eigenen Körpergewichts - je nach Flugkurve", erklärt Katrin
Stang.
"Die Möglichkeit, auf dieser Kampagne Parabeln mit partieller Schwerkraft für
die Experimente zur Verfügung zu haben, ist eine einzigartige Chance,
biologische und physiologische Systeme zu beobachten und zu verstehen, wie die
zugrunde liegenden Mechanismen funktionieren. Wir sind sehr froh, mit einem
Experiment von NASA beteiligt zu sein und zu untersuchen, wie Menschen auf diese
besonderen Bedingungen reagieren. Dies ist ein wichtiger Schritt Richtung
Exploration", ergänzt Craig Kundrot, Vorsitzender von ISLSWG und Direktor der
Abteilung Space Life and Physical Sciences Research & Applications bei
der NASA.
Die drei deutschen Experimente beschäftigen sich mit drei sehr verschiedenen
Fragestellungen: Wie wirkt sich die Schwerelosigkeit auf die Kontrolle unserer
Muskeln aus? Wie mental leistungsfähig sind wir unter diesen Bedingungen? Was
bedeuten die Schwellenwerte für die Wahrnehmung von Gravitation bei Pflanzen?
Die Experimente stammen von der Universität Freiburg und der Deutschen
Sporthochschule in Köln. Ein "Schwestermodell" des für das Pflanzenexperiment
verwendeten Mikroskops wird mit einer neuen Technologie auch während der
Horizons-Mission des deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst zum Einsatz
kommen.
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