Zwölfter Flug der Forschungsrakete mit einigen Neuerungen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
25. Oktober 2022
Die DLR-Höhenforschungsrakete MAPHEUS-12 hat Ende der
vergangenen Woche sieben Experimente für rund sechs Minuten in die
Schwerelosigkeit gebracht. Die 1,6 Tonnen schwere Rakete hob vom Startplatz
ESRANGE in Nordschweden ab und erreichte eine Höhe von 260 Kilometern. Mit an
Bord waren Versuche mit den Schwerpunkten der Gravitationsbiologie und
Materialphysik.
Blick auf MAPHEUS-12 auf der Startrampe in
ESRANGE.
Foto: DLR, CC BY-NC-ND 3.0
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Am 21. Oktober 2022 um 9:25 Uhr startete die Forschungsrakete MAPHEUS-12 des
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) von der schwedischen
Raketenbasis ESRANGE nahe Kiruna. Sie erreichte eine Höhe von rund 260
Kilometern und segelte dann an einem Fallschirm zurück zur Erde. Mit an Bord
erstmals Nervenzellen mit Blick auf deren abweichende elektrische Signale in
Schwerelosigkeit. Zudem untersuchte das Forschungsteam im Zusammenhang mit der
Entstehung von Krebs, wie sich die Polarität von Zellen unter "Zero-G" verhält.
Einen Testlauf unter Weltraumbedingungen gab es mit dem Flug für neuartige
Solarzellen ebenso wie für eine Verschlüsselungstechnik, die zukünftig Daten von
Lebenserhaltungssystemen und Raumfahrzeugen schützen soll. Erstmals kam eine
wiederverwendbare Zündeinheit in der Oberstufe zum Einsatz.
"Mit MAPHEUS-12 haben wir ein äußerst vielseitiges Experimentpaket für rund
sechs Minuten in die Schwerelosigkeit des nahen Weltraums befördert und
anschließend sicher geborgen", sagt der wissenschaftliche Projektleiter der
Mission Prof. Thomas Voigtmann vom DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum.
"Wir sind froh die sensiblen Nervenzellen, Meeresorganismen und
Materialexperimente in gutem Zustand nach idealem Flug zurück auf der Erde zu
haben." Nach ihrem 15-minütigem Flug landete die Nutzlast sanft per Fallschirm
rund 70 Kilometer vom Startplatz entfernt in der nordschwedischen Tundra.
Anschließend flog ein Bergungsteam zur Landestelle und transportierte die
Nutzlast am Hubschrauber hängend zurück zur Startbasis. Dort begann direkt die
Sicherung der gesammelten Daten.
Die 11,5 Meter lange und mehr als 1,6 Tonnen schwere Rakete ist bereits die
zwölfte, die im Rahmen der MAPHEUS-Experimentreihe erfolgreich von der Abteilung
Mobile Raketenbasis (MORABA) der DLR Einrichtung Raumflugbetrieb und
Astronautentraining gestartet wurde. "Diesmal hatte die zweistufige Rakete
erstmals ein neues Service-Modul an Bord, das eine zehnmal schnellere
Kommunikation mit der Bodenstation und präzisere Lageinformationen mit komplett
neu gestalteter Elektronik, Mechanik und Software bietet", erklärt
MORABA-Projektleiter Alexander Kallenbach. "Das neue Modul dient nun als Basis
für die weitere Entwicklungen in Richtung intelligenter on-board Systeme, die im
MAPHEUS-D Projekt geplant sind."
Zudem kam bei MAPHEUS-12 erstmals eine wiederaufbereitete Zündeinheit bei der
Oberstufe zum Einsatz, die bereits an Bord von MAPHEUS-9 geflogen war. Am Boden
kam mit der Mission erstmals ein neuartiges Telemetrie-System zum Einsatz.
Dieses ermöglicht die an verschiedenen Bodenstationen empfangenen Signale der
Rakete direkt an die jeweiligen Steuerungskonsolen für Experimente und
Supportsysteme zu verteilen. Diese neue Entwicklung basiert auf Komponenten des
Holistic Control Centers (HCC), welches eine moderne, flexible und
Service-orientierte Infrastruktur für alle künftigen Raumflugmissionen am
Deutschen Raumfahrt-Kontrollzentrum (GSOC) bieten wird. "Wir sind begeistert,
dass die Software jetzt erfolgreich Ihren 'Jungfernflug' absolvieren konnte",
freut sich Prof. Felix Huber, Leiter der DLR Einrichtung Raumflugbetrieb und
Astronautentraining. "Dieser Erfolg gibt dem HCC-Konzept den nötigen Schub, nun
bald auch bei orbitalen Missionen genutzt zu werden."
Ihren "Jungfernflug" erlebten auch die Nervenzellen an Bord von MAPHEUS-12.
Diese konnten während des Kurzzeitraumfluges direkt auf elektrophysiologischer
Ebene untersucht werden. Das neuronale Netzwerk des Experiments MEA
(Multi-Elektroden-Array) besteht dabei aus kultivierten Primärneuronen, die sich
über zwei Chips verteilen. Diese finden in einer vakuumdichten Kammer bei 37
Grad Celsius ideale Lebensbedingungen vor. "Während des Fluges konnten die
Aktionspotentiale einzelner neuronaler Zellen sowie die Aktivität des gesamten
Netzwerks aufgezeichnet werden", berichtet Dr. Christian Liemersdorf vom
DLR-Institut für Luft- und Raufahrtmedizin. Aktionspotentiale sind die
elektrischen Signale, die zwischen Neuronen im Gehirn und dem zentralen
Nervensystem ausgetauscht werden. Die Schwerelosigkeit steht im Verdacht,
Einfluss auf die neuronalen Verbindungen im Gehirn zu nehmen. "Vermutlich ist
dies ein wesentlicher Grund, warum Astronautinnen und Astronauten während ihres
Aufenthalts im Weltall oftmals unter gewissen kognitiven Einschränkungen
leiden", ergänzt Liemersdorf. "Wir werten die gesammelten Daten nun detailliert
aus, um diese möglichen Zusammenhänge genauer zu verstehen." Wegen der
Empfindlichkeit der Neuronen war es bisher nicht möglich auf der Internationalen
Raumstation ISS mit diesen zu experimentieren.
Der nur 0,5 Millimeter kleine Meeresorganismus Trichoplax adhaerens – das
einfachste mehrzellige Lebewesen der Welt – kann zwischen oben und unten
unterscheiden und damit Schwerkraft wahrnehmen. Rund 450 Exemplare dieser
Kleinstlebewesen, die lediglich aus einem oberen und einem unteren
Zell-Epithelium bestehen, flogen im Experiment GraviPlax mit MAPHEUS-12 ins All.
Im Interesse des internationalen Forschungsteams steht, wie der Organismus
genetisch auf die Schwerelosigkeit reagiert und wie sich daraus etwas über die
Mechanismen der Krebsentwicklung lernen lässt. "Trichoplax adhaerens besitzt
alle wichtigen Gengruppen, die mit dem Verlust der Polarität und damit der
Ausbildung von Krebszellen in Zusammenhang gebracht werden können", erklärt Dr.
Jens Hauslage vom Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Damit lassen sich
Erkenntnisse auch auf höhere Organismen übertragen. Die finalen Auswertungen der
Proben werden in den nächsten Wochen im Labor in Hannover stattfinden. Nun
wollen die Forschungspartner des DLR, der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo)
und der australischen La Trobe Universität in Melbourne noch genauer verstehen
welchen Einfluss die Gravitation auf die Ausbildung von Polarität und deren
evolutiven Einfluss hat.
Huckepack auf der GraviPlax-Platine reiste der Versuchsaufbau des Experiments
007/Blofeld, bei dem gemeinsam mit dem Industriepartner adesso SE die Sicherheit
verschlüsselter Sensor-Datenströme unter Weltraumbedingungen getestet wird. "In
Raumfahrzeugen und Lebenserhaltungssystemen nimmt der Betrieb und die
Überwachung von Umwelt- und Vitalparametern eine immer größere Rolle ein. Dabei
ist nicht nur eine abhörsichere Verbindung zu den Sensoren, sondern auch die
Validität der Daten besonders wichtig", erklärt Software-Architekt Christian
Kahlo. Für den Versuch greift ein implementierter "Spion"-Chip verschlüsselte
Temperaturdaten ab. Dieses Experiment soll zeigen, das selbst abgehörte Daten
für den Spion nicht zu verwenden sind und die Daten für den Empfänger valide
bleiben.
Darüber hinaus wurde im Experiment RAMSES gemeinsam mit der Universität
Konstanz in einem Analogsystem die gerichtete Bewegung von Bakterien untersucht,
was zukünftig einmal hilfreich bei der gezielten Einbringung pharmazeutischer
Wirkstoffe sein könnte. Im Projekt SVALIN analysierte ein Forschungsteam der TU
München federführend wie die Umgebungsbedingungen im All neuartige auf
MAPHEUS-12 montierte Solarzellen beeinflussen. Gemeinsam mit dem
Leibniz-Institut für neue Materialien wird im Experiment SOMEX/ARNIM-II die
Agglomeration von Gold-Nanoteilchen in Schwerelosigkeit mit Blick auf zukünftige
Anwendungen in der Mikroelektronik untersucht.
Das MAPHEUS-Höhenforschungsprogramm (Materialphysikalische Experimente unter
Schwerelosigkeit) wird bereits seit 14 Jahren durchgeführt. Der jährliche Flug,
vorbereitet und durchgeführt durch die Abteilung Mobile Raketenbasis (MORABA)
der DLR-Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining, ermöglicht den
Wissenschaftlern einen unabhängigen und regelmäßigen Zugang zu Experimenten in
Schwerelosigkeit. Dabei gehen in diesem Programm Fortschritte in Messtechniken
und die Realisierung hochentwickelter Flughardware Hand in Hand.
Experimentschwerpunkte sind der Einfluss der Schwerelosigkeit auf biologische
Systeme sowie Untersuchungen materialphysikalischer Prozesse mit Hilfe von
Mikrogravitationsbedingungen.
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