Drei Minuten Schwerelosigkeit für die Forschung
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
28. Oktober 2010
Ein Jahr lang hatten Wissenschaftler des DLR auf diesen Tag hingearbeitet.
Gestern um 12.15 Uhr Ortszeit schließlich hob die Forschungsrakete Mapheus-2
vom nordschwedischen Raketenstartplatz Esrange bei Kiruna ab. An Bord: drei
materialphysikalische Experimente, die für drei Minuten in bis zu 153 Kilometern
Höhe der Schwerelosigkeit ausgesetzt waren und nach dem Flug von den
DLR-Forschern genau analysiert werden.
Mapheus-2 hebt vom Raketenstartplatz Esrange bei
Kiruna in Nordschweden ab.
Foto: DLR |
Die Wissenschaftler des Instituts für Materialphysik im Weltraum
des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) aus Köln haben die
Experimente für den zweiten Mapheus-Flug (Materialphysikalische
Experimente unter Schwerelosigkeit) entwickelt und gebaut, um drei sehr
grundlegenden Prozessen auf den Grund zu gehen: der Diffusion und der
Entmischung in metallischen Flüssigkeiten und der Dynamik in so
genannten granularen Gasen.
Während des Fluges herrscht Schwerelosigkeit in den Experimenten.
Dadurch werden störende Einflüsse von Auftrieb, Sedimentation und
"Konvektion", einer ebenfalls durch die Schwerkraft hervorgerufenen
Strömung, die Teilchen befördert, nahezu ausgeschaltet. "Die Messungen
erfolgen also unter kontrollierten Bedingungen, die im Labor auf der
Erde so nicht realisiert werden können", erklärt Institutsdirektor Prof.
Andreas Meyer.
Mitarbeiter der "Mobilen Raketen Basis" (MORABA) des
DLR-Raumflugbetriebs in Oberpfaffenhofen bauten die Flugsysteme und
führten die zweiwöchige Startkampagne durch. Die Mapheus-Projektkoordination
liegt in den Händen des DLR-Instituts für Raumfahrtsysteme in Bremen.
"Der zweite Mapheus-Flug ist das Ergebnis einer erfolgreichen
Zusammenarbeit mehrerer DLR-Institute und Abteilungen", freut sich
Projektleiter Martin Siegl. "Die Forschungsrakete erlaubt uns, den
DLR-Wissenschaftlern die jeweils erforderlichen Versuchsbedingungen
effizient zur Verfügung zu stellen", so Siegl.
Die besondere Herausforderung lag darin, kleine und relativ leichte
Module zu entwickeln, in denen die Experimente an Bord der Rakete
vollkommen autonom ablaufen können. Insgesamt 94 Kilogramm schwer war
die wissenschaftliche Nutzlast. Sie besteht neben den drei
Experiment-Modulen aus einem mit Lithium-Eisen-Phosphat-Akkus
ausgestatteten Batterie-Modul.
Im Experiment "ATLAS-M" (Atomic Transport in Liquid Alloys and
Semiconductors in Mapheus) wollen die DLR-Wissenschaftler der Diffusion
in Metallschmelzen auf den Grund gehen. Denn um Schmelzeigenschaften und
Erstarrungsvorgänge in Legierungen noch besser zu verstehen, müssen die
Forscher die so genannten Diffusionskoeffizienten in der Schmelze
kennen. Der Diffusionskoeffizient ist ein Maß für die Beweglichkeit der
Atome. "Die schwerkraftgetriebene Auftriebskonvektion verfälscht die
Messung im irdischen Labor. Ziel dieses Experiments ist deshalb die
Messung von richtigen Diffusionskoeffizienten in der Schwerelosigkeit",
erläutert Prof. Meyer.
Während des Mapheus-2-Fluges haben die DLR-Wissenschaftler in
32 Proben die Diffusion von Verunreinigungen in Germanium- und
Aluminiumschmelzen sowie die chemische Diffusion in
Aluminium-Kupfer-Silber-Legierungsschmelzen vermessen. Die Ergebnisse
dienen zum einen dazu, Diffusions- und Erstarrungsvorgänge zu
beschreiben, zum anderen dazu, neue experimentelle Methoden, die im
irdischen Labor angewandt werden können, weiterzuentwickeln.
Im DEMIX-M-Experiment untersuchen die Materialphysiker des DLR die so
genannte Entmischung von flüssigen Metallen. Dass sich Wasser und Öl
nicht vermischen, ist allgemein bekannt. Dieses Phänomen gibt es aber
auch für einige flüssige Metalle, zum Beispiel bei Kupfer-Cobalt-Schmelzen.
Allerdings ist dabei die Beobachtung der Entmischung erheblich
schwieriger, einerseits wegen der hohen Prozesstemperatur um 1.500 Grad
Celsius, andererseits sind Metalle nicht transparent für Licht. Unter
den Bedingungen auf der Erde herrscht in der heißen Schmelze außerdem
eine starke Flüssigkeitsströmung, die die wissenschaftliche Analyse des
Experiments praktisch unmöglich mache.
Im DEMIX-M-Modul auf Mapheus-2 werden acht unterschiedliche
Kupfer-Kobalt-Proben aufgeschmolzen und in Schwerelosigkeit kontrolliert
abgekühlt. Kupfer- und kobaltreiche Flüssigkeitsanteile trennen sich in
winzige Tröpfchen, die im Laufe des Experiments wachsen - unter den
Bedingungen der Schwerelosigkeit bei geringer Konvektion. Schließlich
erstarren die flüssigen Metallproben. Die jeweilige Struktur wird
dadurch konserviert und kann nach dem Flug im Labor analysiert werden.
Die Ergebnisse können erheblich dazu beitragen, physikalische
Modellvorstellungen der Entmischung weiterzuentwickeln - eine Grundlage
für die Gussteilsimulation von Werkstücken.
Um "magnetisch erregte granulare Materie" ging es im dritten Experiment
auf Mapheus-2: Im sogenannten MeGraMa-M (Magnetically Excited
Granular Matter on Mapheus)-Modul kann einem granularen System in
Schwerelosigkeit gezielt kinetische Energie zugeführt werden. Dazu
werden paramagnetische Teilchen verwendet, die über variable
Magnetfelder angeregt werden. Somit ist eine Energiezufuhr auch ins
Innere des Systems möglich, die Energie kann homogen verteilt werden.
Sobald dies geschehen ist, werden die Magnetfelder abgeschaltet und die
DLR-Wissenschaftler können das "granulare Kühlen" unter ungestörten
Bedingungen beobachten.
Ein zweistufiger Feststoff-Raketenmotor brachte die Mapheus-2-Experimente
gestern in eine Höhe von 153 Kilometer. Die erste Stufe beschleunigte
die Rakete auf eine Geschwindigkeit von fast 2000 Stundenkilometer. Etwa
neun Sekunden nach dem Abheben zündete die zweite Stufe. "Nach dem
Abtrennen dieser Stufe reduzierte in einer Höhe von 70 Kilometer ein
mechanisches Jo-Jo-System den größten Teil der Rotation um die
Längsachse der Rakete", erläutert DLR-Raumflugingenieur Josef Ettl.
Durch das Abwickeln von zwei Gewichten an Seilen ändert sich das
Massenträgheitsmoment der Rakete. "Bei gleichbleibendem Drehimpuls muss
sich so die Rotationsgeschwindigkeit verringern. Das ist so ähnlich wie
bei einem Eiskunstläufer, der bei einer Pirouette die Arme ausstreckt
und sich dadurch langsamer dreht", sagt Ettl.
Die bei ungesteuerten Raketenstarts übliche Rotation um die Längsachse,
der so genannte Drall, stabilisiert normalerweise während des Aufstiegs
die Flugbahn der Rakete. Für die Experimente auf Mapheus-2
musste dieser Drall neutralisiert werden, um die Schwerelosigkeit zu
erreichen und sicherzustellen. Danach begann in einer Höhe von mehr als
100 Kilometer die Experimentierphase von etwas mehr als drei Minuten. Im
Anschluss daran trat der Raketenteil mit den Experimenten wieder in die
Atmosphäre ein und wurde durch den Luftwiderstand abgebremst. In etwa
fünf Kilometern Höhe öffnete sich der Stabilisierungsschirm des
Bergungssystems und brachte die Nutzlast mit den Experimenten sicher im
unbewohnten Gebiet Nordschwedens zur Landung.
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