Stippvisite im All für die Materialforschung
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
24. November 2011
Dreieinhalb Minuten - so viel Zeit haben Wissenschaftler, um an Bord der
Höhenforschungsrakete Mapheus Experimente in Schwerelosigkeit
durchzuführen. Am Freitag soll die Rakete erneut vom schwedischen
Esrange bei Kiruna aus abheben. Geplant sind Experimente mit Metallen
und granularen Gasen, die teils während des Flugs mit einer Kamera
überwacht werden.

Das Granulat im Experiment MEGraMa-M: In
Schwerelosigkeit werden die Kügelchen dann im
hell erleuchteten Probenbehälter schweben. Die
runden Elektromagnete an allen vier Seiten setzen
die Teilchen dabei in Bewegung.
Foto: DLR / Franz Bischof |
Zunächst geht es mit 5400 Kilometern in der Stunde in Richtung All, dann
folgen dreieinhalb Minuten Schwerelosigkeit und anschließend eine
Landung mit dem Fallschirm – vier Experimente schicken die
Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt mit der
Forschungsrakete Mapheus-3 in die Höhe, um die Eigenschaften
von Metallen und granularen Gasen zu erforschen. Der Start der Rakete
vom schwedischen Esrange bei Kiruna ist wetterabhängig für den 25.
November 2011 vorgesehen. So soll unter anderem ein Videosystem
aufzeichnen, wie sich ein Granulat aus kleinen Kügelchen in
Schwerelosigkeit verhält, wenn man es zuvor kontrolliert in Bewegung
versetzt.
Seit Tagen bereiten die DLR-Wissenschaftler im nordschwedischen Kiruna
ihre Experimente vor und machen sie flugbereit. 80 Sekunden nach dem
Start, sobald der Antriebsmotor der Forschungsrakete Mapheus-3
(Materialphysikalische Experimente unter Schwerelosigkeit) ausgebrannt
und somit kein Schub mehr vorhanden ist, beginnen die entscheidenden
Minuten, in der die Gravitation der Erde keine Rolle mehr spielt - dann
kann kaum noch in den Versuchsablauf eingegriffen werden. "Alle Versuche
sind so konzipiert, dass sie uns in der kurzen Zeit von dreieinhalb
Minuten wichtige Erkenntnisse liefern", sagt Prof. Dr. Andreas Meyer vom
Institut für Materialphysik im Weltraum. Das Kölner Institut des DLR hat
alle vier Experimente konzipiert und gebaut. "Die Prozesse, die wir
beobachten wollen, laufen alle relativ schnell ab."
Schon kurz vor dem Start werden in einigen der Experimentboxen kleine
Öfen die verschiedenen Metall-Proben aufheizen und später schmelzen, um
sie rechtzeitig zum Beginn der Schwerelosigkeit in einen flüssigen
Zustand bei bis zu 1.500 Grad Celsius zu versetzen. Tritt die Rakete mit
ihrer Nutzlast wieder in die Atmosphäre ein, wird sie vom Luftwiderstand
abgebremst, ein Fallschirm öffnet sich und bringt die Experimente sicher
zum Boden. Bereits während des Flugs können die Forscher über ein
Videosystem an Bord der Rakete den Weg des Flugkörpers verfolgen. Auch
über Funk besteht kontinuierlich Kontakt, so dass nach der Landung von
Mapheus-3 ein Bergungshubschrauber starten und die Experimente
wieder einsammeln kann.
Mit an Bord ist auch ein transparenter, mit Granulatkügelchen gefüllter
Behälter, mit dem die Wissenschaftler das Stoßverhalten des Granulats
während der Schwerelosigkeit untersuchen. Die Teilchen mit einem
Durchmesser von weniger als einem Millimeter sind von vier Magneten
umgeben, die sie im Flug kontrolliert beschleunigen. Eine Videokamera
zeichnet dabei auf, wie die Kügelchen diese Energie durch den Aufprall
untereinander und auf die Behälter-Innenwand wieder verlieren. Die
Ergebnisse des MEGraMa-M-Experiments (Magnetically Excited Granula
Matter on Mapheus) liefern wichtige Hinweise für die zukünftige
Modellierung von granularen Medien und insbesondere granularen Gasen,
erläutert Institutsdirektor Meyer.
Das Gemeinsame bei allen vier Experimente auf der Mapheus-3-Höhenforschungsrakete:
Um die Eigenschaften der Materialien zu verstehen, sollen die Effekte
minimiert werden, die in Laboren auf der Erde die Ergebnisse verfälschen
würden. "Indem wir die Experimente mit der Mapheus-3-Forschungsrakete
in der Schwerelosigkeit durchführen, können wir die Materialien ohne den
störenden Einfluss der Erdanziehungskraft untersuchen", erklärt Meyer.
Einige der Versuche geschehen dabei nicht zum ersten Mal – auf zwei
vorherigen Flügen der Mapheus-Forschungsrakete wurden sie
bereits durchgeführt (astronews.com berichtete).
Allerdings: Um die Eigenschaften der verschiedenen Materialien – zum
Beispiel von Kupfer und Kobalt - genau zu erforschen, verändern die
Wissenschaftler in ihren Versuchen sowohl die Mischverhältnisse der
Metalle als auch den Temperaturverlauf in den Öfen. Da die Mapheus-Versuche
des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt jährlich stattfinden,
können die Materialphysiker die von ihnen konzipierten Versuche zeitnah
umsetzen und dabei auch auf aktuelle Forschungsergebnisse kurzfristig
reagieren, betont Projektleiter Martin Siegl vom DLR-Institut für
Raumfahrtsysteme in Bremen.
Damit die Experimente in Schwerelosigkeit ablaufen können, sind auch
einige Tricks notwendig. So setzt das Team der "Mobilen Raketen Basis"
MORABA des DLR-Raumflugbetriebs beispielsweise ein Jo-Jo-System ein,
das den Drall der Rakete in 70 Kilometern Höhe reduziert. Erst mit der
Hemmung des Dralls, der eine Rakete normalerweise auf ihrer Flugbahn
stabilisiert, und der Reduzierung jeglicher Drehbewegung durch ein
Gasdüsensystem kann Schwerelosigkeit im Flug entstehen. "In der
Schwerelosigkeit der Mapheus-Rakete würde ein Ball über 500
Sekunden brauchen, um aus einem Meter Höhe auf den Boden zu fallen",
erklärt Raumfahrtingenieur Josef Ettl.
Sein Team ist unter anderem auch für das Bergungssystem sowie den
eigentlichen Start der Höhenrakete zuständig. Mit dem erfolgreichen Flug
durch die Schwerelosigkeit beginnt für die Wissenschaftler dann die
Auswertung der geborgenen Experimente. Die erstarrten Metallproben
werden im Labor untersucht, der Videofilm des MEGraMa-M-Experiments
analysiert. "Wenn wir in Zukunft Materialien am Computer entwickeln
wollen, müssen wir den physikalischen Basisdaten auf die Spur kommen",
sagt Institutsdirektor Meyer.
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