Experimente hoch über Schweden
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
15. Mai 2017
Hoch über Nord-Schweden wurden in der vergangenen Woche
wieder Experimente in Schwerelosigkeit durchgeführt: Für ihre Versuche an Bord der
Forschungsrakete Mapheus-6 unter Weltraumraumbedingungen hatten die
Wissenschaftler sechs Minuten und 19 Sekunden Zeit.
Dabei ging es unter anderem um materialwissenschaftliche Studien.
Mapheus-6 im Flug: Während des zehnminütigen
Flugs stieg die DLR-Forschungsrakete bis in 254
Kilometer Höhe auf.
Foto: DLR [Großansicht] |
Sechs Minuten und 19 Sekunden lang schwebten die Experimente an Bord der
Forschungsrakete Mapheus-6 in der Schwerelosigkeit, die am 13. Mai 2017
um 11:20 Uhr vom Raketenstartplatz Esrange in Nord-Schweden startete. An Bord:
biologische und materialphysikalische Versuche des Deutschen Zentrums für Luft-
und Raumfahrt (DLR). Gerade einmal 68 Sekunden nach dem Start waren die
richtigen Bedingungen für die Durchführung der Experimente erreicht.
Im Inneren der Rakete kamen dann das Röntgenradiographiemodul XRISE (X-ray
Investigation in Space Environment), der elektrostatische Levitator GOLD-ESL
(Gravity-impact On Levitated Droplets in ESL) und ein stark weiterentwickeltes
Modul zur Untersuchung von Kupfer-Kobalt Schmelzen (DEMIX) unter
Weltraumbedingungen zum Einsatz. Komplettiert wurde die 403 Kilogramm schwere
Mapheus-6-Nutzlast durch ein Experiment zur Untersuchung des Einflusses
der Schwerelosigkeit auf Zellmembranen (MemEx). Nach dem insgesamt zehnminütigen
Flug, bei dem die Rakete bis in 254 Kilometer aufstieg, landete der Behälter mit
den Experimenten in rund 60 Kilometern Entfernung vom Startplatz und wurde mit
einem Hubschrauber geborgen.
Das Experiment MemEx rückt biophysikalische Veränderungen von Zellmembranen
in der Schwerelosigkeit in den Fokus. Untersuchungsobjekt sind künstlich
hergestellte Lipidmembranen, die wie die Biomembran von Zellen aus einer
Lipiddoppelschicht bestehen. "In der Doppelschicht sind Lipide und Proteine
frei beweglich", sagt Dr. Jens Hauslage vom DLR-Institut für Luft- und
Raumfahrtmedizin. "Bereits vorausgegangene Experimente bei 22 Sekunden
Schwerelosigkeit im Parabelflug gaben uns erste Anhaltspunkte, dass sich die
Fluidität von Biomembranen in der Schwerelosigkeit ändert. Jetzt sind wir
gespannt auf die Auswertung der Proben, die wir direkt nach der Bergung von
Mapheus-6 beginnen."
Das Experiment X-RISE ermöglicht es, gleichzeitig in zwei Isothermalöfen die
Erstarrung in sogenannten untereutektischen Aluminium-Germanium-Schmelzen mit
unterschiedlichen Abkühlraten zu untersuchen. Die Durchleuchtung mit
Röntgenstrahlen eröffnet hier die Möglichkeit, das Wachstum der dendritischen
Strukturen während der Erstarrung direkt zu beobachten.
"Von diesen Experimenten versprechen wir uns grundlegende Mechanismen der ungerichteten Erstarrung unter rein strömungsfreien Bedingungen, die nur in
Schwerelosigkeit möglich sind, aufzuklären", sagt Prof. Florian Kargl vom
DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum. "Zudem wollen wir durch
vergleichende Experimente im Erdlabor den Einfluss gravitationsbedingter
Strömungen auf das Kristall-Wachstum quantifizieren." Die gewonnenen Daten aus
der Schwerelosigkeit werden mit Modellrechnungen und Daten aus dem irdischen
Labor verglichen; diese Ergebnisse können unter anderem dazu beitragen, in der
Industrie Gussprozesse zu optimieren.
Als Weiterentwicklung eines Entmischungsexperiments, das bereits auf
Mapheus-03 geflogen ist, wurden beim Experiment DEMIX insgesamt 16
Kupfer-Kobalt-Proben unterschiedlicher Zusammensetzung auf 1550 Grad Celsius
aufgeheizt und im Anschluss durch schnelles Abkühlen in Schwerelosigkeit so weit
im metastabilen Zustand unterkühlt, dass die Flüssigphasen sich entmischen. Die
Unterkühlung kann in solchen Systemen in kleineren Proben durch Einbettung in
ein Glas erreicht werden.
"In den nächsten Wochen steht dann bei uns am Kölner DLR-Institut für
Materialphysik im Weltraum die Analyse der geflogenen Proben am
Rasterelektronenmikroskop an", sagt Dr. Matthias Kolbe. "Von den
unterschiedlichen Mikrostrukturen der Proben versprechen wir uns ein
tiefgreifendes Verständnis der Entmischung unterkühlter Kupfer-Kobalt Proben."
Komplettiert werden die Mapheus-6-Ergebnisse durch ein Experiment
auf der Internationalen Raumstation im Elektromagnetischen Levitator EML, das
bereits 2016 durchgeführt wurde und derzeit auf eine Rückfluggelegenheit
wartet. "Unser elektrostatischer Levitator für die Mapheus-Rakete, das
GOLD-ESL Modul, ist ein Technologietreiber", ergänzt Prof. Andreas Meyer, Leiter
des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum. "Hier galt es zuvor ganz neue
Konzepte für die Probenpositionierung, Probenheizung und Diagnostik zu
entwickeln. Erst diese Neuentwicklungen haben es uns nun erlaubt ein Experiment,
das im Erdlabor eine Größe von etwa drei Kubikmetern und ein Gewicht von 450
Kilogramm hat, so kompakt, robust und automatisch-geregelt auf einer
Forschungsrakete fliegen zu lassen."
Als Trägersystem diente der zweistufige, auf Festtreibstoffen basierende
Raketenträger VSB-30, der von der Abteilung "Mobile Raketenbasis" wegen seiner
Leistungsfähigkeit zum zweiten Mal innerhalb des Mapheus-Programms
verwendet wurde. "Die beiden Raketenmotoren sind ausgebrannt nach dem Verlassen
der Erdatmosphäre abgetrennt worden", sagt Frank Scheuerpflug vom Team der
Mobilen Raketenbasis des DLR. "Ein Stickstoff-Kaltgassystem dämpfte zudem die
Drehraten während des Experiments für eine hochqualitative Schwerelosigkeit."
Nach dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wurde die Nutzlast über ein
zweistufiges Fallschirmsystem bis auf eine Sinkgeschwindigkeit von acht Metern
pro Sekunde heruntergebremst und sicher mit einem Hubschrauber geborgen.
Mittlerweile ist das Mapheus-Höhenforschungsprogramm eine feste
Größe im Programmbereich Raumfahrt des DLR. Der jährliche Flug, vorbereitet und
durchgeführt durch die Abteilung Mobile Raketenbasis des DLR, ermöglicht es den
Wissenschaftlern einen systematischen Zugang zu Experimenten in
Schwerelosigkeit. Dabei gehen in diesem Programm Fortschritte in Messtechniken
und die Realisierung hochentwickelter Flughardware Hand in Hand mit
richtungsweisenden Experimenten im Bereich der Eigenschaften metallischer
Flüssigkeiten, granularer Materie und der Schwerkraftwahrnehmung biologischer
Systeme.
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