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Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am CERN hat bei hybriden Atomen aus Antimaterie und Materie ein überraschendes Verhalten entdeckt, wenn diese in supraflüssiges Helium eingetaucht werden. Das Ergebnis könnte einen neuen Weg eröffnen, um mit Antimaterie die Eigenschaften von kondensierter Materie zu untersuchen – oder um Antimaterie in kosmischer Strahlung aufzuspüren.
Wenn sie einen Blick in die Schattenwelt der Antimaterie werfen will, muss die Forschung auf ausgeklügelte technische Tricks zurückgreifen. Sie sollen verhindern, dass die Antimaterieproben mit der uns umgebenden normalen Materie in Kontakt kommen. Diese Isolierung ist von entscheidender Bedeutung, da sich Antimaterie und Materie bei einem Kontakt miteinander sofort gegenseitig zerstören. Trotzdem schafften es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem internationalen Team unter Federführung des Garchinger Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ), Materie und Antimaterie zu exotischen, hybriden Atomen aus Helium zu kombinieren, die für kurze Zeit stabil bleiben. Nun hat das Team aus Italien, Ungarn und Deutschland überdies eine Möglichkeit entdeckt, die so gebundenen Antiteilchen sehr genau spektroskopisch zu untersuchen. Bei ihren Experimenten am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf tauchten sie die bizarren atomaren Gebilde in flüssiges Helium und kühlten dieses bis auf Temperaturen nahe beim absoluten Nullpunkt ab – wo das Helium in einen sogenannten superfluiden Zustand übergeht. Die Ergebnisse des Experiments waren für die Forschenden besonders überraschend, weil die hybriden Antimaterie-Materie-Atome trotz ihrer dichten, flüssigen Umgebung sehr empfindlich und genau auf das Laserlicht reagiert haben. "Spannend sind Experimente an Antimaterie vor allem im Hinblick auf fundamentale Gesetzmäßigkeiten der Physik", sagt Prof. Masaki Hori, der Leiter des Teams. So verlangt das Standardmodell der Teilchenphysik – die Grundlage des heutigen Verständnisses der Wissenschaft vom Aufbau des Universums und den darin wirkenden Kräften -, dass sich Teilchen und ihre Antiteilchen lediglich im Vorzeichen ihrer elektrischen Ladung unterscheiden. So trägt ein Antiproton – das Gegenstück zum positiv geladenen Proton, einem Baustein von Atomkernen, – eine negative Ladung. Nach dem Standardmodell der Physik sind die anderen Eigenschaften identisch. "In unseren bisherigen Experimenten haben wir keinen Hinweis darauf gefunden, dass sich die Massen von Protonen und Antiprotonen auch nur im Geringsten unterscheiden", berichtet Hori. "Wenn ein solcher Unterschied, wie gering er auch sein mag, nachgewiesen werden könnte, würde das die Grundlagen unseres derzeitigen Weltbildes erschüttern."
Doch vielleicht sind die verfügbaren experimentellen Verfahren nur nicht empfindlich genug, um möglicherweise vorhandene feine Unterschiede aufzuspüren? "Wir können das nicht ausschließen, bevor wir es nicht tatsächlich gemessen haben", meint Hori. Daher feilen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit an Techniken, um die Merkmale von Antiteilchen immer noch ein bisschen genauer zu untersuchen. "Dazu lässt man Atome oder Moleküle für spektroskopische Messungen beispielsweise in Vakuumkammern magnetisch schweben oder sperrt sie in Ionenfallen ein", erklärt Hori. "Das hybride Heliumatom haben wir im Team bisher dazu verwendet, die Massen von Antiprotonen und Elektronen präzise miteinander zu vergleichen." Mit den neuesten Erkenntnissen seines Teams hat der Garchinger Physiker nun den Weg zu einer weiteren, sehr sensiblen Messmethode geebnet: die hochaufgelöste optische Spektroskopie an Antiprotonen-Helium-Atomen in einer supraflüssigen Umgebung. Um die exotischen Heliumatome mit darin enthaltenen Antiprotonen zu erzeugen, nutzten die Forscher den Antiprotonen-Entschleuniger am CERN – eine weltweit einzigartige Anlage, die es ermöglicht, die Antimaterieteilchen, die bei Zusammenstößen von energiereichen Protonen entstehen, abzubremsen. Die langsame Geschwindigkeit der Antiprotonen macht sie ideal nutzbar für Experimente wie die des Teams um Hori. Die Forscherinnen und Forscher mischten die langsamen Antiprotonen mit flüssigem Helium, das sie auf Temperaturen von wenigen Grad über dem absoluten Nullpunkt bei minus 273 Grad Celsius abkühlten. Dabei fingen Atome des Heliums einen kleinen Teil der Antiprotonen ein. Jedes eingefangene Antiproton ersetzte eines der beiden Elektronen, die normalerweise einen Helium-Atomkern umgeben – und formten so ein Gebilde, das lange genug stabil blieb, um es spektroskopisch zu untersuchen. "Bisher dachte man, dass sich Antimaterie-Atome, die in Flüssigkeiten eingebettet sind, nicht durch hochauflösende Spektroskopie mit Laserstrahlen untersuchen lassen", berichtet Hori. Denn die im Vergleich etwa zu einem Gas intensiven Wechselwirkungen zwischen den dicht gepackten Atomen oder Molekülen der Flüssigkeit führen zu einer starken Verbreiterung der Spektrallinien. Diese Linien sind Abbilder von Resonanzen, bei denen Energie aus dem Laserstrahl zur Anregung bestimmter atomarer Zustände aufgenommen wird. Sie sind damit eine Art Fingerabdruck jedes atomaren Teilchens. Ihre genaue Lage auf der Frequenzskala sowie ihre Form verraten den ForscherInnen aufschlussreiche Details über die Eigenschaften der untersuchten Atome – und die Kräfte, die auf die Antiteilchen wirken. Doch durch die Verbreiterung der Linien werden diese Informationen überdeckt, weil quasi verschmiert. Hori und seinem Team gelang es nun erstmals, das "Verschmieren" der Spektrallinien in einer Flüssigkeit zu unterbinden. In einer Reihe von zahlreichen Experimenten nahmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die antiprotonischen Helium-Atome bei unterschiedlichen Temperaturen unter die spektroskopische Lupe. Dazu bestrahlten sie die Helium-Flüssigkeit mit dem Licht eines Titan-Saphir-Lasers, das zwei markante Resonanzen der Antiprotonen-Atome bei zwei verschiedenen Frequenzen anregte. Die überraschende Entdeckung: "Sank die Temperatur unter die kritische Temperatur von 2,2 Kelvin – also 2 Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt –, bei der das Helium in einen superfluiden Zustand übergeht, verwandelte sich schlagartig die Gestalt der Spektrallinien", berichtet Anna Sótér, die erste Doktorandin im Team des MPQ und inzwischen Assistenzprofessorin an der ETH Zürich. "Aus den bei höherer Temperatur sehr breiten und unregelmäßig geformten wurden schmale und gleichförmige Linien." Die superfluide Phase ist ein besonderer flüssiger Zustand, der unter anderem durch das Fehlen einer inneren Reibung gekennzeichnet ist. Das quantenphysikalische Phänomen ist typisch für Helium bei extrem tiefen Temperaturen. "Wie die markante Veränderung der Spektrallinien des Antiprotons in einer solchen Umgebung zustande kommt und was dabei physikalisch geschieht, wissen wir bislang nicht", sagt der MPQ-Physiker. "Wir waren davon selbst überrascht." Doch die Möglichkeiten, die der Effekt bietet, sind weitreichend. Denn die Verschmälerung der Resonanzlinien ist so drastisch, dass sich bei einer Anregung mit Licht die sogenannte Hyperfeinstruktur auflösen lässt, berichtet das Team. Die Hyperfeinstruktur ist eine Folge der gegenseitigen Beeinflussung des Elektrons und des Antiprotons in dem Atom. Das deutet darauf hin, dass sich in supraflüssigem Helium andere hybride Heliumatome mit verschiedenen Arten von Antimaterie oder mit exotischen Teilchen erzeugen lassen könnten, um ihre Reaktion auf Laserlicht im Detail zu untersuchen und ihre Masse zu bestimmen. Ein Beispiel dafür sind pionische Heliumatome, die vor Kurzem im 590-Megaelektronenvolt-Zyklotron des Paul-Scherrer-Instituts in Villingen in der Schweiz mittels Laserspektroskopie untersucht wurden. Zudem könnten die scharfen Spektrallinien hilfreich sein beim Nachweis von Antiprotonen und Antideuteronen in der kosmischen Strahlung. Ihnen sind Forscherinnen und Forscher bereits seit Jahren auf der Spur, etwa mit Experimenten an Bord der Internationalen Raumstation ISS. Demnächst werden Wissenschaftler auch einen Testballon über der Antarktis starten – mit einem Instrument an Bord, das Antiprotonen und Antideuteronen aufspüren kann, die möglicherweise in sehr großen Höhen in der Atmosphäre existieren. "Detektoren mit superfluidem Helium könnten solche Versuche unterstützen und wären geeignet, Antiteilchen aus dem All einzufangen und zu analysieren", spekuliert Hori. Das würde womöglich zur Lösung eines anderen großen Rätsels beitragen: der Frage nach dem Wesen der Dunklen Materie – einer ominösen und bislang unbekannten Materieform, die nicht sichtbar ist, aber offenbar einen Großteil der Masse im Universum ausmacht. In einigen Theorien wird angenommen, dass bei der Wechselwirkung Dunkler Materie im Halo unserer Galaxie Antiteilchen entstehen, die dann zur Erde gelangen können. Ausgerechnet Antimaterie könnte so Licht in dieses Dunkel bringen. Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Nature erschienen ist.
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