Erstmals ist es Forschern am europäischen Teilchenphysik-Zentrum CERN
gelungen, einen Blick in das Innere von Antiwasserstoff-Atomen zu werfen. Der
spektakuläre Nachweis der Antiwasserstoff-Atome gelang durch ein eindeutiges,
störungsfreies Signal. Die Wissenschaftler sind jetzt in der Lage, pro Stunde
mehr Antiwasserstoff-Atome zu erzeugen als jemals zuvor nachgewiesen wurden. In
einer Veröffentlichung in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Physical
Review Letters berichten die Forscher von mehr als 1400 kalten
Antiwasserstoff-Atomen.
Wasserstoff ist das einfachste Atom und besteht aus einem Elektron und einem
Proton. Der Antimaterie-Partner des Protons ist das Antiproton, der des
Elektrons das Positron. Aus diesen Antimaterie-Bausteinen setzt sich das
Antiwasserstoff-Atom zusammen. Die elementaren Teilchen und ihre entsprechenden
Antiteilchen haben dieselbe Masse und dieselbe Ladung, aber ein
entgegengesetztes Ladungsvorzeichen. Wenn ein Teilchen mit seinem Antiteilchen
zusammenstößt, vernichten sie sich gegenseitig. Dabei wird die Energie
freigesetzt, die der Masse entspricht.
Die gegenwärtig akzeptierte Theorie besagt, dass das Antiwasserstoff-Atom und
das gewöhnliche Wasserstoff-Atom identische Eigenschaften haben. Diese
Vorhersage wurde allerdings noch nie experimentell überprüft. Neuere Modelle
lassen geringe Unterschiede zwischen Antiwasserstoff und Wasserstoff zu. Die
Aufklärung dieser wichtigen Frage wird ein zentraler Bestandteil der zukünftigen
Untersuchungen sein.
Im Rahmen der ATRAP-Kollaboration am europäischen Teilchenphysik-Zentrum CERN
in der Nähe von Genf arbeiten Wissenschaftler der Harvard-Universität, des
Forschungszentrums Jülich, des CERN, des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik
sowie der Ludwig-Maximilians-Universität in München und der York-Universität in
Toronto in dieser Frage zusammen. Im Lauf des Jahres hat die Kollaboration
mehrere Methoden zur Erzeugung von Antiwasserstoff geprüft, um optimale
Voraussetzungen für physikalische Untersuchungen dieses Atoms zu schaffen.
Inzwischen können die Forscher pro Stunde nicht nur mehr
Antiwasserstoff-Atome erzeugen als jemals zuvor nachgewiesen wurden - es ist
ihnen sogar gelungen, erstmals einen flüchtigen Blick in das Innere jener Atome
zu werfen, die ganz aus Antimaterie bestehen. Die Temperatur der erzeugten
Antiwasserstoff-Atome lag dabei nur wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt
(minus 273 Grad Celsius).
Diese Temperatur reicht fast aus, um die Antiatome in
Magnetfeldern für Präzisionsmessungen genügend lange zu speichern. Die
Möglichkeit, viele Antiwasserstoff-Atome zu speichern, wird Laserexperimente
erlauben, die winzige Unterschiede zwischen Antiwasserstoff und Wasserstoff
offenbaren könnten. Mit solchen Messungen lassen sich grundlegende Theorien
prüfen und vielleicht sogar das Rätsel lösen, warum unser Universum
ausschließlich aus Materie besteht und nichts auf die Existenz einer Welt aus
Antimaterie deutet.
Wie aber gelang es den ATRAP-Forschern die Antiwasserstoff-Atome zu
studieren? Die Grundidee ist - wie so oft - recht einfach: Wenn man ein
Antiwasserstoff-Atom zwischen die beiden Pole einer Batterie bringt, wird die
positive Ladung des Positrons zum negativen Pol gezogen, während die negative
Ladung des Antiprotons vom positiven Pol der Batterie angezogen wird. Ist die
Batteriespannung groß genug, zerbirst das Atom. Bei hinreichend weitem Abstand
von Positron und Antiproton im Antiwasserstoff-Atom genügt eine kleine Spannung,
um das Atom auseinander zu reißen.
Sind Positron und Antiproton dagegen näher
beieinander, muss eine höhere Spannung angelegt werden, um das
Antiwasserstoff-Atom zu zerlegen. Die quantenmechanischen Zustände der Atome
unterscheiden sich in dem mittleren Abstand von Antiproton und Positron. Sie
verraten dem Physiker wichtige Details über die Struktur des Antiwasserstoffs.
Bei welchen elektrischen Feldern werden die Antiwasserstoff-Atome in der
Apparatur zerlegt? Die Untersuchung dieser Frage gab den Forschern einen ersten
Hinweis auf solche atomaren Zustände.
Indem sie die Antiwasserstoff-Atome in der beschriebenen Weise zerlegen,
können die ATRAP-Wissenschaftler Störsignale beim Nachweis der Antiatome
vollkommen unterdrücken - eine Methode, die so niemals zuvor angewandt wurde.
Bei herkömmlichen Experimenten entstehen typischerweise Störereignisse, die
nicht von echten Antiwasserstoff-Signalen unterschieden werden können. Dies
erlaubte lediglich eine Abschätzung des Mittelwerts der falschen Ereignisse.
Einzelne Signale können nicht "wahr" oder "falsch" zugeordnet werden. In dem
jetzt erreichten störungsfreien Nachweis dagegen ist jedes beobachtete
Antiwasserstoff-Signal "echt".
Am CERN untersucht neben ATRAP noch ein zweites Experiment die
Antiwasserstoff-Atome: ATHENA. Die in beiden Versuchen verwendeten Antiprotonen
liefert der "Antiprotonen-Abbremser" (engl. Antiproton Decelerator) am CERN. Die
Positronen stammen von einer radioaktiven Quelle mit "ß+-Zerfall". Wie kürzlich
in der Zeitschrift Nature berichtet, wurde die Erzeugung von
Antiwasserstoff im ATHENA-Experiment dadurch nachgewiesen, dass die produzierten
Antiwasserstoff-Atome auf gewöhnliche Materie treffen und ihre Existenz dann
durch die gleichzeitige Vernichtung der Bestandteile (Antiprotonen und
Positronen) verraten.