Genauester Vergleich von Materie und Antimaterie
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
6. Januar 2022
Am CERN wurde der bislang genaueste Vergleich zwischen
Protonen und Antiprotonen durchgeführt: Danach sind die Verhältnisse von Ladung
zu Masse von Antiprotonen und Protonen auf elf Stellen identisch. Außerdem
scheinen sich, wie erwartet worden war, Materie und Antimaterie unter
Schwerkraft gleich zu verhalten.
BASE-Experiment am Antiprotonen-Entschleuniger
am CERN in Genf: Zu sehen ist die
Kontrollperipherie, der supraleitende Magnet, in
dem sich die Penningfalle befindet, und das
Antiproton-Transfer-Strahlrohr.
Foto: Stefan Sellner, RIKEN/BASE [Großansicht] |
Symmetrie und Schönheit sind eng miteinander verbunden, nicht nur in der
Musik, der Kunst und der Architektur, sondern auch in den grundlegenden
physikalischen Gesetzen, die unser Universum beschreiben. Es ist in gewisser
Weise ironisch, dass wir unsere Existenz einer gebrochenen Symmetrie in der
besten fundamentalen Theorie die es gibt, dem Standardmodell der Teilchenphysik,
zu verdanken scheinen. Einer der Eckpfeiler des Modells ist die Invarianz bei
Umkehr von Ladung, Parität und Zeit, abgekürzt CPT (für charge, parity, time).
Auf die Gleichungen des Standardmodells angewandt, verwandelt die
CPT-Transformation Materie in Antimaterie. Als Folge der CPT-Symmetrie haben
Paare von Materie und Antimaterie die gleichen Massen, Ladungen und magnetischen
Momente, die beiden letzteren mit entgegengesetztem Vorzeichen. Eine weitere
Folge von CPT: trifft ein Teilchen auf sein Antiteilchen, vernichten sie sich zu
reiner Energie, was in zahlreichen Laborexperimenten bestätigt wurde. In diesem
Sinne ist die Existenz unseres Universums keineswegs selbstverständlich. Wir
haben Grund zu der Annahme, dass beim Urknall Materie und Antimaterie in
gleichen Mengen entstanden sind. Warum nur die Materie übrig blieb, aus der
unser Sonnensystem und die Himmelskörper im Universum bestehen, ist noch
ungeklärt.
Ein weiteres heißes Thema in der modernen Physik ist die Frage, ob sich
Materie und Antimaterie unter Schwerkraft gleich verhalten. In ihrer jetzt
vorgestellten Studie vergleichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
der BASE-Kollaboration am Forschungszentrum CERN die
Ladung-zu-Masse-Verhältnisse von Antiprotonen und Protonen sowie – während des
Umlaufs der Erde um die Sonne – die Ähnlichkeit von Uhren aus Antimaterie und
Materie. Sie sind also beiden Fragen gleichzeitig mit einer Messung
nachgegangen.
Für seine hochpräzisen Untersuchungen verwendete das Team um Stefan Ulmer,
leitender Wissenschaftler am RIKEN in Japan und Sprecher der BASE-Kollaboration,
eine Penning-Falle, also einen elektromagnetischen Behälter, der ein einzelnes
geladenes Teilchen speichern und nachweisen kann. Ein Teilchen in einer solchen
Falle schwingt mit einer charakteristischen Frequenz, die durch seine Masse
definiert ist. Ein "Abhören" der Schwingungsfrequenzen von Antiprotonen und
Protonen in derselben Falle ermöglicht es, deren Massen zu vergleichen.
"Durch Beladen eines zylindrischen Stapels mehrerer solcher Penning-Fallen
mit Antiprotonen und negativen Wasserstoffionen konnten wir einen
Massenvergleich innerhalb von nur vier Minuten durchführen, 50 Mal schneller als
bei früheren Proton/Antiproton-Vergleichen anderer Gruppen", erläutert Ulmer.
"Seit unseren früheren Messungen haben wir außerdem den Versuchsaufbau technisch
erheblich verbessert. Dies erhöht die Stabilität des Experiments und verringert
systematische Verschiebungen in den Messwerten."
Mit diesem optimierten Instrument hat das BASE-Team im Verlauf von eineinhalb
Jahren einen Datensatz von rund 24.000 einzelnen Frequenzvergleichen erfasst.
Durch Kombination aller Messergebnisse fanden die Forscher, dass das
Ladung-zu-Masse-Verhältnis von Antiprotonen und Protonen identisch ist, und zwar
mit einer Genauigkeit von 16 Teilen in einer Billion, also einer Zahl mit 11
signifikanten Stellen. Das verbessert die Genauigkeit der bisher besten Messung
– ebenfalls von BASE – um mehr als einen Faktor vier: ein erheblicher
Fortschritt in der Präzisionsphysik.
Und wie kommt nun die Schwerkraft ins Spiel? Ein Teilchen, das in einer
Penning-Falle schwingt, kann man als "Uhr" betrachten, ein Antiteilchen als
"Anti-Uhr". Bei starker Gravitation gehen die Uhren langsamer. Während der
Langzeitmessung von eineinhalb Jahren war die Erde auf ihrer elliptischen Bahn
unterschiedlich starker Anziehungskraft der Sonne ausgesetzt. Falls Antimaterie
und Materie verschieden auf Schwerkraft reagierten, würden die Materie- und
Antimaterie-Uhren entlang der Flugbahn der Erde unterschiedliche
Frequenzverschiebungen erfahren.
Das BASE-Team konnte bei der Analyse ihrer Daten aber keine derartige
Frequenzanomalie feststellen. So konnten es erstmals direkte und weitgehend
modellunabhängige Grenzen für ein anomales Verhalten von Antimaterie unter
Schwerkraft setzen – oder anders ausgedrückt: im Rahmen der Messgenauigkeit die
Gültigkeit des schwachen Äquivalenzprinzips für Uhren bestätigen.
Um mit noch höherer Präzision messen zu können, müssen die Antiprotonen aus
der Beschleunigerumgebung der Antimaterie-Fabrik des CERN in ein ruhiges Labor
gebracht werden. Dazu konstruiert das BASE-Team derzeit die transportable
Antiprotonenfalle BASE-STEP. Zunächst ist geplant, die Antiprotonen in ein
anderes Labor am CERN zu verlagern. Wenn das geklappt hat, könnten die
Antiprotonen an verschiedene Fallenlabors verteilt werden. Die verbesserten
Messbedingungen werden die Genauigkeit weiter steigern und hoffentlich zu
unserem Verständnis des Ungleichgewichts zwischen Materie und Antimaterie
beitragen.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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