Forschung mit tiefgekühlten Neutronen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
9. Mai 2011
Wissenschaftler der Universität Mainz haben die derzeit stärkste Quelle
für ultrakalte Neutronen aufgebaut. Durch Experimente mit diesen
Elementarteilchen, hoffen die Wissenschaftler mehr über die Geschehnisse
in der Anfangsphase des Universums erfahren zu können, etwa über die
Ursache der Dominanz der Materie über die Antimaterie und die Entstehung
von Elementen.
In den Reaktor eingeschobene UCN-Quelle am Tag
der heißen Inbetriebnahme: Durch das
Edelstahlrohr laufen die UCN von der Quelle bis
zum Neutronendetektor.
Foto: idw / Universität Mainz / T. Lauer
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Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben die
derzeit stärkste Quelle für ultrakalte Neutronen aufgebaut. Ultrakalte
Neutronen, abgekürzt UCN für "ultra-cold neutron", wurden in Mainz zum
ersten Mal vor fünf Jahren erzeugt. Sie sind wesentlich langsamer als
thermische Neutronen und zeichnen sich dadurch aus, dass sie in
geeigneten Gefäßen gespeichert werden können. Diese Eigenschaft macht
sie zu einem wichtigen Werkzeug für Experimente, mit denen Fragen zur
Dominanz von Materie gegenüber Antimaterie im Universum oder zur
Entstehung der leichtesten Elemente direkt nach dem Urknall erforscht
werden können.
"Wir haben eine neue UCN-Quelle in Betrieb genommen und das Verfahren
insgesamt so verbessert, dass wir nun wesentlich mehr ultrakalte
Neutronen erzeugen und speichern können als bisher und als irgendjemand
sonst", freut sich Prof. Dr. Werner Heil vom Institut für Physik. Mit
einer Dichte von bislang 10 UCN pro Kubikzentimeter setzen sich die
Mainzer Wissenschaftler, beteiligt sind sowohl Chemiker als auch
Physiker, an die Weltspitze auf diesem Forschungsgebiet. Den Mainzern
war 2006 in einer Kooperation mit der TU München zum ersten Mal die
Herstellung von ultrakalten Neutronen an einem gepulsten TRIGA-Reaktor
gelungen.
Bei dem Verfahren werden zunächst im Forschungsreaktor TRIGA Mainz durch
Kernspaltung Neutronen erzeugt. Diese Spaltneutronen haben
Geschwindigkeiten bis 30.000 Kilometer pro Sekunde – das ist ein Zehntel
der Lichtgeschwindigkeit. Noch im Reaktor werden sie durch
Wechselwirkung mit leichten Atomkernen auf eine "thermische"
Geschwindigkeit von 2.200 Meter pro Sekunde abgebremst. Dann kommt die
Entwicklung der Mainzer Wissenschaftler zum Tragen: Ein Rohr von
insgesamt drei Meter Länge wird in den Reaktor an die Stelle des
höchsten thermischen Neutronenflusses geschoben. In diesem Rohr werden
die thermischen Neutronen extrem verlangsamt.
Bei der neuen UCN-Quelle im Strahlrohr D des TRIGA Mainz, die gerade die
erste Heißerprobung hinter sich hat, erfolgt die Abbremsung der
Neutronen in zwei Stufen: zuerst durch Wasserstoff und dann durch einen
Eisblock aus Deuterium bei minus 270 Grad Celsius. "Jetzt sind die
Neutronen so langsam, dass wir praktisch hinterherlaufen könnten",
beschreibt Heil das Ergebnis. Mit einem Tempo von 5 Meter pro Sekunde
gleiten die UCN zum Experimentierplatz am anderen Ende des Rohrs. Damit
auf dem Weg dorthin keine Neutronen verloren gehen, ist das
Edelstahlrohr mit Nickel beschichtet.
Die entscheidende Maßzahl für die Wissenschaftler ist jetzt die
UCN-Dichte am Experimentierort - was die Attraktivität einer Anlage zur
Durchführung von Hochpräzisionsexperimenten ausmacht. "Im ersten Test
haben wir 10 UCN pro Kubikzentimeter in typischen Speichervolumina von
10 Litern erhalten. Mit Wasserstoff als Vormoderator und geringen
Veränderungen können 50 UCN pro Kubikzentimeter erhalten werden", so Dr.
Thorsten Lauer und Dr. Yuri Sobolev, die die Anlage betreuen.
Das reicht voll und ganz, um etwa Langzeitexperimente zur Messung der
Lebensdauer des Neutrons durchzuführen, und sichert den Mainzer
Forschern den Spitzenplatz beim Wettlauf um die höchsten
Speicherdichten, an dem sich unter anderem Einrichtungen in Los Alamos,
Grenoble, München und dem schweizerischen Villigen beteiligen. Die
Lebensdauer des Neutrons beträgt nach derzeitigem Stand der Wissenschaft
rund 885 Sekunden, ist jedoch wegen der schwierigen Messung nicht mit
höchster Genauigkeit bekannt.
Gemessen wird nach dem Prinzip "Counting the Survivors": Von der
Anfangsmenge wird die Endmenge abgezogen, die nach dem Zerfall der
Neutronen nach einer bestimmten Zeit noch übrig ist. "Die
Lebensdauermessung leidet bisher darunter, dass es zu wenige ultrakalte
Neutronen gibt", erläutert Juniorprof. Dr. Christian Plonka-Spehr vom
Institut für Kernchemie. Die UCN-Forschungen in Mainz sind in den
Exzellenzcluster "Precision Physics, Fundamental Interactions and
Structure of Matter" (PRISMA) eingebunden, der sich derzeit in der
Bundesexzellenzinitiative bewirbt. Der Aufbau der neuen UCN-Quelle
erfolgte in Eigenbau durch die Werkstätten der Physik und Kernchemie auf
dem Campus der Universität. Über die letzten drei Jahre waren mit dem
Projekt 17 Diplomanden, zwei Doktoranden und zwei Postdocs befasst.
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