Riesiger Supernova-Überrest an ungewöhnlichem Ort
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
3. März 2021
Astronominnen und Astronomen haben mithilfe des deutschen
Röntgentelekops eROSITA einen riesigen, bisher unbekannten Supernova-Überrest
weit außerhalb der galaktischen Ebene entdeckt. Der auf den Namen Hoinga
getaufte Fund wurde inzwischen durch Daten früherer Radio-Beobachtungen
bestätigt. Nun hofft man auf weitere Entdeckungen.

Zusammengesetztes Röntgen- und Radiobild von
Hoinga. Die von eROSITA entdeckte
Röntgenstrahlung (rot) wird von den heißen
Überresten des explodierten Vorläufersterns
emittiert, während die Radioantennen
Synchrotronemission von relativistischen
Elektronen empfangen (blau), die in der äußeren
Schale des Überrests abgebremst werden.
Bild: eROSITA / MPE (Röntgendaten), CHIPASS /
SPASS / N. Hurley-Walker, ICRAR-Curtin
(Radio-Daten) [Großansicht] |
Massereiche Sterne beenden ihr Leben in gigantischen Supernova-Explosionen,
wenn die Fusionsprozesse in ihrem Inneren nicht mehr genug Energie erzeugen, um
ihrem Gravitationskollaps entgegenzuwirken. Aber selbst in einer Galaxie mit
mehreren Hunderten Milliarden Sternen sind diese Ereignisse ziemlich selten.
Schätzungsweise ereignet sich eine Supernova-Explosion in unserer Milchstraße im
Durchschnitt nur alle 30 bis 50 Jahre. Während die Supernova selbst nur für
einen Zeitraum von mehreren Monaten beobachtet werden kann, können ihre heißen
Überreste für etwa 100.000 Jahre nachgewiesen werden.
Diese Überreste bestehen aus dem Material, das der explodierende Stern mit
hoher Geschwindigkeit in den Weltraum hinausschleudert und das beim Auftreffen
auf das umgebende kältere interstellare Medium Stoßfronten bildet. Etwa 300
solcher Supernova-Überreste sind heute bekannt – viel weniger als die
geschätzten 1200, die in unserer Heimatgalaxie verteilt sein sollten. Entweder
hat die Astrophysik also bisher die Supernova-Rate falsch eingeschätzt, oder die
große Mehrheit wurde bisher übersehen.
Ein internationales Team von Astronominnen und Astronomen nutzt nun die
Himmelsdurchmusterung des eROSITA-Teleskops, um nach bisher unbekannten
Supernova-Überresten zu suchen. Mit Temperaturen von Millionen von Grad senden
die Überbleibsel der Supernovae intensive thermische Röntgenstrahlung aus,
wodurch sie in den erstklassigen Daten der eROSITA Himmelsdurchmusterung
sichtbar werden.
"Wir waren sehr überrascht, als uns gleich der erste Supernova-Überrest ins
Auge gestochen ist", sagt Werner Becker vom Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik. "Hoinga" ist der größte Supernova-Überrest, der
jemals aufgrund seiner Röntgenstrahlung entdeckt wurde. Mit einem Durchmesser
von etwa 4,4 Grad bedeckt er am Himmel eine Fläche, die etwa 90-mal so groß ist
wie die Scheibe des Vollmondes. "Außerdem liegt er sehr weit oberhalb der
galaktischen Ebene, was für diese Objekte sehr ungewöhnlich ist", fügt er hinzu.
Bisher konzentrierten sich die meisten Suchen nach den Überresten
explodierter Sterne auf die Galaktische Scheibe, wo die
Sternentstehungsaktivität am höchsten ist und stellare Überreste daher häufiger
sein sollten. Allerdings scheint es gut möglich zu sein, dass diese
Suchstrategie bisher zahlreiche Supernova-Überreste übersehen hat. Nachdem die
Astronomen das Objekt in den Daten der eROSITA-Himmelsdurchmusterung gefunden
hatten, suchten sie in archivierten Röntgen- und Radiodaten früherer
Himmelsdurchmusterungen um seine Natur weiter zu erforschen.
Tatsächlich ist Hoinga – wenn auch nur sehr schwach – bereits in den 30 Jahre
alten Daten des ROSAT-Röntgenteleskops zu sehen; aufgrund seiner Leuchtschwäche
und seiner Lage bei hohen galaktischen Breiten fiel das riesengroße diffuse
Objekt bisher jedoch niemandem auf. Weitere wichtige Erkenntnisse und der
endgültige Beweis, dass es sich bei der Röntgenquelle um die Überreste eines
explodierten Sterns handelt, kamen dann aus Radiodaten, dem Spektralband, in dem
90% aller bekannten Supernova-Überreste gefunden wurden.
"Wir sind die Radio-Archivdaten durchgegangen und dieses Objekt hat nur
darauf gewartet entdeckt zu werden", staunt Natasha Walker-Hurley, die an der
Curtin University Teil des International Centre for Radio Astronomy
Research in Australien ist. "Die Radioemission in den zehn Jahre alten
Himmelsdurchmusterungen bestätigt eindeutig, dass Hoinga ein Supernova-Überrest
ist; also könnte es da draußen noch viele mehr geben, die nur auf scharfe Augen
warten, die sie finden."
Aufgrund seiner Größe sowie der spektralen Verteilung im Röntgen- und
Radiobereich schließen die Forschenden, dass es sich bei Hoinga um einen
Supernova-Überrest mittleren Alters ähnlich wie der berühmte Vela-Überrest
handelt, allerdings mit einer Distanz von rund 1500 Lichtjahren doppelt so weit
entfernt.
Das Röntgenteleskop eROSITA führt acht vollständige Himmelsdurchmusterung im
Röntgenbereich durch und ist damit etwa 25-mal empfindlicher als sein Vorgänger
- der Röntgensatellit ROSAT. Beide Observatorien wurden am Max-Planck-Institut
für extraterrestrische Physik in Garching konzipiert und gebaut und eROSITA wird
dort betrieben. Die Forschenden erwarteten in den nächsten Jahren weitere neue
Supernova-Überreste in den Röntgendaten zu entdecken, aber sie waren sehr
überrascht, den ersten Überrest bereits so schnell zu identifizieren.
Zusammen mit der Tatsache, dass das Signal auch schon in jahrzehntealten
Daten vorhanden ist, deutet der Fund darauf hin, dass viele Supernova-Überreste
in der Vergangenheit übersehen worden sein könnten, weil sie beispielsweise eine
niedrige Oberflächenhelligkeit haben, sich an ungewöhnlichen Orten befinden oder
von anderen galaktischen Objekten in der Nähe überstrahlt werden.
Zusammen mit zukünftigen Radiodurchmusterungen lässt die eROSITA-Himmelsdurchmusterung
überaus vielversprechende neue Erkenntnisse und Ergebnisse auf dem Gebiet der
Supernova-Forschung erwarten. "Wir sind überzeugt, viele der fehlenden
Supernova-Überreste zu finden und damit zur Lösung dieses langjährigen
astrophysikalischen Rätsels beizutragen", sagt Becker.
Der Name Hoinga für den Supernova-Überrest wurde zu Ehren des Heimatortes von
Becker gewählt: Hoinga war der mittelalterliche Name von Bad Hönningen am Rhein.
Über ihre Beobachtungen berichtete das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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