Riesige Blasen im Halo der Milchstraße
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
10. Dezember 2020
Die erste vollständige Himmelsdurchmusterung mit dem
Röntgenteleskop eROSITA an Bord des SRG-Observatoriums hat eine große Struktur
in der Milchstraße aufgezeigt, die wie eine gigantische Sanduhr aussieht. Diese
"eROSITA-Blasen" zeigen eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Fermi-Blasen,
die vor einem Jahrzehnt bei noch höheren Energien entdeckt wurden.
Die eROSITA-Blasen. In dieser
Falschfarbenkarte ist die ausgedehnte Emission
bei Energien von 0,6-1,0 keV hervorgehoben. Der
Beitrag der Punktquellen wurde entfernt und die
Skalierung angepasst, um großräumige Strukturen
in unserer Galaxie deutlicher hervortreten zu
lassen.
Bild: MPE/IKI [Großansicht] |
Astronomen haben in der ersten vollständigen Himmelskarte des
Röntgenteleskops eROSITA an Bord des SRG-Observatoriums eine auffallende
Entdeckung gemacht: eine riesige kreisrunde Struktur aus heißem Gas unterhalb
der Milchstraßenebene, die den größten Teil des südlichen Himmels einnimmt. Eine
ähnliche Struktur am Nordhimmel, der sogenannte "Nordpolar-Sporn", ist seit
langem bekannt und man nahm an, dass er von einer frühen Supernova-Explosion
stammte. Zusammengenommen scheinen die nördliche und die südliche Struktur
stattdessen beide aus dem galaktischen Zentrum auszutreten und erinnern in ihrer
Form an eine Sanduhr.
"Dank seiner Empfindlichkeit sowie Energie- und Winkelauflösung kann eROSITA
den gesamten Röntgenhimmel mit bisher unerreichter Tiefe kartieren und so auch
die südliche Blase eindeutig nachweisen", erklärt Michael Freyberg, der als
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) schon
viele Jahre an eROSITA arbeitet. Das Röntgenteleskop durchmustert alle sechs
Monate den gesamten Himmel, und die Daten ermöglichen es den Wissenschaftlern,
nach großräumigen Strukturen zu suchen.
Die Röntgenemission, die von eROSITA in seinem mittleren Energieband (0,6-1,0
keV) beobachtet wird, zeigt dass die Blasen eine Ausdehnung von bis zu 50.000
Lichtjahren im Durchmesser haben, und damit fast so groß sind wie die
Milchstraße selbst. Diese 'eROSITA-Blasen' zeigen auffallende morphologische
Ähnlichkeiten mit den bereits bekannten 'Fermi-Blasen', die das Fermi-Teleskop
bei im Bereich der Gammastrahlen entdeckte, sie sind aber größer und
energiereicher.
"Die scharfen Grenzflächen dieser Blasen laufen höchstwahrscheinlich entlang
von Stoßwellen, die durch einen massiven Energieeintrag aus dem Innern unserer
Galaxie in den galaktischen Halo verursacht wurden", führt Peter Predehl vom
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik aus. "Solch eine Erklärung
wurde bereits früher für die Fermi-Blasen vorgeschlagen; mit eROSITA
ist jetzt ihr volles Ausmaß und ihre Morphologie offensichtlich geworden."
Diese Entdeckung wird den Astronomen helfen, den kosmischen Kreislauf der
Materie in und um die Milchstraße und andere Galaxien zu verstehen. Der größte
Teil der gewöhnlichen (baryonischen) Materie im Universum ist für unsere Augen
unsichtbar; alle Sterne und Galaxien, die wir mit optischen Teleskopen
beobachten, machen weniger als zehn Prozent ihrer Gesamtmasse aus. Man nimmt an,
dass sich riesige Mengen unbeobachteter baryonischer Materie in den Halos mit
geringer Dichte befinden, die die Galaxien und die Filamente im kosmischen Netz
wie Kokons umgeben. Diese Halos sind heiß, mit einer Temperatur von Millionen
von Grad, und daher nur für Teleskope sichtbar, die energiereiche Strahlung
nachweisen können.
Die Blasen, die eROSITA jetzt gefunden hat, zeigen Störungen in dieser heißen
Gashülle um unsere Milchstraße auf, die entweder durch eine Periode intensiver
Sternentstehung oder durch einen Ausbruch aus dem supermassereichen Schwarzen
Loch im galaktischen Zentrum verursacht wurden. Auch wenn das Schwarze Loch sich
jetzt ruhig verhält, könnte es in der Vergangenheit durchaus aktiv gewesen sein,
ähnlich wie man es bei aktiven Galaxienkernen (AGN) mit stark wachsenden
Schwarzen Löchern in fernen Galaxien beobachten kann.
In beiden Fällen muss die Energie, die für die Entstehung dieser riesigen
Blasen nötig ist, enorm gewesen sein, sie dürfte in etwa der Energie
entsprechen, die bei 100.000 Supernovae freigesetzt wird, und ist damit in einer
ähnlichen Größenordnung wie Schätzungen anderer AGN-Ausbrüche. "Die Narben, die
solche Ausbrüche hinterlassen, brauchen sehr lange, um in diesen Halos zu
heilen", fügt eROSITA-Projektwissenschaftler Andrea Merloni hinzu. "Die
Wissenschaftler haben lange und bei vielen Galaxien nach den gigantischen
Signaturen solch gewalttätiger Aktivitäten in der Vergangenheit gesucht."
Die eROSITA-Blasen liefern jetzt ein starkes Indiz für großräumige
Wechselwirkungen zwischen dem Galaxienkern und dem Halo um die Galaxie. Diese
Prozesse sind dabei energiereich genug, um die Struktur, den Energiegehalt und
die chemische Anreicherung des zirkumgalaktischen Mediums der Milchstraße zu
stören. "eROSITA schließt derzeit die zweite Durchmusterung des gesamten Himmels
ab und verdoppelt damit die Anzahl der Röntgenphotonen, die von den entdeckten
Blasen kommen", betont Rashid Sunyaev, wissenschaftlicher Leiter des
SRG-Observatoriums in Russland. "Wir haben noch enorm viel Arbeit vor uns, denn
die eROSITA-Daten ermöglichen es uns, viele Röntgen-Spektrallinien zu
identifizieren, die von dem hoch ionisierten Gas emittiert werden. Das bedeutet,
dass wir nicht nur die Fülle der chemischen Elemente, den Grad ihrer
Ionisierung, die Dichte und Temperatur des emittierenden Gases in den Blasen
untersuchen können, sondern wir können auch die Orte der Stoßwellen
identifizieren und charakteristische Zeitskalen abschätzen."
Das Röntgenteleskop eROSITA ist am 13. Juli 2019 an Bord der Mission
Spektr-RG ins All gestartet. Seine große Sammelfläche und sein weites Sichtfeld
sind für eine tiefe Durchmusterung des gesamten Himmels im Röntgenbereich
ausgelegt. Über sechs Monate hinweg, vom Dezember 2019 bis Juni 2020, hat SRG/eROSITA
die erste Durchmusterung des gesamten Himmels bei Energien von 0,2-8 keV
abgeschlossen. Dies ist deutlich tiefer als die einzige bisher existierende
Durchmusterung des gesamten Himmels mit einem Röntgenteleskop, die 1990 von
ROSAT bei Energien von 0,1-2,4 keV durchgeführt wurde.
Bei einer vorläufigen Analyse der Himmelskarte der ersten eROSITA-Durchmusterung
wurden mehr als eine Million Röntgenpunktquellen und etwa 20.000 ausgedehnte
Quellen nachgewiesen. Dies ist vergleichbar mit der Gesamtzahl der vor eROSITA
bekannten Röntgenquellen und könnte diese sogar übertreffen. Etwa 80 Prozent der
Punktquellen sind weit entfernte Aktive Galaktische Kerne (AGN), aber es gibt
auch etwa 20 Prozent Sterne mit einer heißen Corona in der Milchstraße, darunter
etwa 150 Sterne, um die Planeten kreisen.
Über die Beobachtung der "eROSITA-Blasen" berichtet das Team in einem
Fachartikel, der in der Zeitschrift Nature erschienen ist.
|