Verschmelzungen im Coma-Galaxienhaufen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik astronews.com
1. Februar 2021
Galaxienhaufen sind dynamische Systeme, die durch
Kollisionen und Verschmelzungen ständig weiter wachsen. Durch diesen Prozess
sollten in der Verteilung der Materie innerhalb der Haufen verschiedene
Strukturen entstehen. Beobachtungen des Coma-Galaxienhaufens mit dem
Röntgenteleskop eROSITA haben diese Strukturen nun sichtbar gemacht.
Röntgenbild des Coma-Haufens im 0,4-2 keV-Band,
aufgenommen von eROSITA. Die Seitenlänge des
Bildes beträgt ~6 Grad, was in der Entfernung des
Haufens etwa 33 Millionen Lichtjahre entspricht.
Die logarithmische Farbkodierung umfasst 5
Größenordnungen. Der Haupthaufen ist gerade
dabei, mit der Gruppe NGC 4839 zu verschmelzen
(der helle Fleck rechts unten vom Coma-Haufen).
Bild: SRG/eROSITA, IKI [Großansicht] |
Der Coma-Haufen (oder Abell 1656) ist ein ganz besonderer
Galaxienhaufen. Er ist sehr massereich (mit Tausenden von Galaxien) und relativ
nahe (nur rund 300 Millionen Lichtjahre entfernt), und er ist das allererste
Objekt, in dem Fritz Zwicky 1933 das Vorhandensein von Dunkler Materie nachwies.
Im Radiobereich war er der erste Sternhaufen, in dem in den 1950er Jahren ein
sogenannter Radiohalo gefunden wurde.
Aufgrund seiner Nähe ist Coma ein attraktives Ziel für Studien in allen
Energiebändern, obwohl die enorme Winkelgröße des Haufens diese Aufgabe oft
erschwert. Im Röntgenband ist das SRG-Observatorium mit den Teleskopen eROSITA
und ART-XC speziell für Weitwinkelbeobachtungen ausgelegt und konnte daher den
Coma-Haufen in seiner Gesamtheit erfassen. Das Röntgenbild, das während der
ersten beiden Rasterscan-Beobachtungen des gesamten Himmels erstellt wurde,
zeigt eine Region (mit einer Ausdehnung von etwa 33 Millionen Lichtjahren in der
Entfernung des Haufens).
Neben einer Vielzahl von Quellen (meist weit entfernte aktive Galaxienkerne)
sind zwei helle, diffuse Flecken zu erkennen, die dem Haupthaufen und der Gruppe
NGC 4839 (rechts unten vom Zentrum) entsprechen. Der Haufen und die Gruppe
verschmelzen gerade. Tatsächlich hat NGC 4839 den Kern des Haupthaufens bereits
einmal durchquert und ist dabei, wieder zurückzufallen.
Numerische Simulationen sagen eine Reihe von Signaturen voraus, die in diesem
besonderen Stadium der Verschmelzung auftreten sollten. Die Bugstoßwelle, die
von NGC 4839 während seines ersten Durchgangs durch den Haupthaufen erzeugt
wurde, sollte sich jetzt in den Außenbezirken des Haufens befinden, während das
aus dem Kern des Haupthaufens verdrängte Gas zurückfällt und eine "sekundäre"
Stoßwelle bildet. Die neuen Daten, die mit SRG/eROSITA gewonnen wurden, belegen,
dass die Struktur auf der rechten (westlichen) Seite des Kerns, die sich bis zu
einigen Millionen Lichtjahren erstreckt genau dieser "sekundären" Stoßwelle
entspricht.
Ergänzende Informationen lassen sich auch auf der Basis des sogenannten
Sunyaev-Zeldovich-Effekts gewinnen: Das Verhältnis des eROSITA-Röntgenbildes und
des Planck-Mikrowellenbildes des Coma-Haufens liefert einen
Näherungswert für eine Gastemperaturkarte. Wie im Fusionsszenario erwartet, ist
der Kern des Haupthaufens heiß, während die weniger massereiche NGC4839-Gruppe
einen Teil ihres kühlen Gases behalten konnte. Eine weitere interessante Folge
des Fusionsszenarios ist, dass der Radiohalo, der von der sekundären Stoßwelle
umschlossen wird, tatsächlich bereits zwei Stoßwellen durchlaufen hat – das
erste Mal die Bugstoßwelle, die von NGC 4839 bei der Durchquerung des Coma-Kerns
getrieben wurde, und in jüngerer Zeit die sekundäre Stoßwelle.
Die SRG-Raumsonde wurde am 13. Juli 2019 mit einer Proton-Trägerrakete
vom Kosmodrom Baikonur gestartet. Das SRG-Observatorium wurde unter Beteiligung
des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Rahmen des russischen
föderalen Raumfahrtprogramms auf Initiative der Russischen Akademie der
Wissenschaften, vertreten durch ihr Institut für Weltraumforschung (IKI),
gebaut. Das Observatorium trägt zwei einzigartige Röntgen-Teleskope: das
russische ART-XC und das vom Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik
entwickelte Teleskop eROSITA.
Die Ergebnisse präsentiert das Team in mehreren Fachartikeln, von denen einer
bereits in der Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society
veröffentlicht wurde.
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