Blick auf das kosmische Netz
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
18. Dezember 2020
Kosmologische Simulationen zeigen, dass unser Universum von
Gasfilamenten durchzogen sein sollte, die große Materieansammlungen wie
Galaxienhaufen miteinander verbinden. Nun wurde mit dem Röntgenteleskop eROSITA
erstmals ein Gasfaden von 50 Millionen Lichtjahre Länge beobachtet. Sein Aufbau
ähnelt den Vorhersagen von Computersimulationen.
Mehr als die Hälfte der Materie in unserem Universum entzog sich bislang
unserem Blick. Astrophysiker hatten allerdings eine Vermutung, wo sie sich
aufhalten könnte: In sogenannten Filamenten, unvorstellbar großen fadenartigen
Strukturen aus heißem Gas, die Galaxien und Galaxienhaufen umgeben und
miteinander verbinden. Ein Team unter Federführung der Universität Bonn hat nun
erstmals einen Gasfaden von 50 Millionen Lichtjahren Länge beobachten können.
Sein Aufbau ähnelt frappierend den Vorhersagen von Computersimulationen. Die
Beobachtung würden daher auch unsere Vorstellungen von der Entstehung und
Entwicklung unseres Universums bestätigen, unterstreichen die Forschenden.
Wir verdanken unsere Existenz einer winzigen Unregelmäßigkeit. Vor ziemlich
genau 13,8 Milliarden Jahren bildeten sich im Urknall Raum und Zeit und
sämtliche Materie, aus der unser Universum heute besteht. Diese war zunächst auf
einen Punkt konzentriert, dehnte sich aber rasend schnell aus – eine gigantische
Gaswolke, in der die Materie nahezu gleichmäßig verteilt war. Nahezu, aber eben
nicht völlig: An manchen Stellen war die Wolke etwas dichter als an anderen. Und
allein deshalb gibt es heute Planeten, Sterne und Galaxien.
Denn von den dichteren Gebieten gingen etwas höhere Gravitationskräfte aus,
die das Gas aus ihrer Umgebung zu sich heranzogen. Mit der Zeit konzentrierte
sich in diesen Gegenden daher mehr und mehr Materie. Der Raum zwischen ihnen
wurde dagegen leerer und leerer. So entstand innerhalb von gut 13 Milliarden
Jahren eine Art Schwammstruktur: große "Löcher" ohne Materie, dazwischen
Bereiche, in denen sich auf engem Raum Tausende von Galaxien tummeln, sogenannte
Galaxienhaufen.
Wenn es sich tatsächlich so abgespielt hat, müssten die Galaxien und Cluster
noch immer durch Reste dieses Gases verbunden sein, wie durch die hauchdünnen
Fäden eines Spinnennetzes. "Berechnungen zufolge befindet sich in diesen
Filamenten mehr als die Hälfte der gesamten baryonischen Materie unseres
Universums – das ist die Materieform, aus der Sterne und Planeten bestehen,
ebenso wie wir selber", erklärt Prof. Dr. Thomas Reiprich vom Argelander-Institut
für Astronomie der Universität Bonn.
Dennoch entzog sie sich bislang unseren Blicken: Aufgrund der enormen
Ausdehnung der Filamente ist das Materiegas in ihnen extrem verdünnt: Es enthält
pro Kubikmeter gerade einmal zehn Teilchen – das ist sehr viel weniger, als in
dem besten Vakuum vorhanden sind, das wir auf der Erde herstellen können. Mit
dem Röntgenteleskop eROSITA konnten Reiprich und seine Kolleginnen und Kollegen
das Gas nun aber erstmals umfassend sichtbar machen.
"eROSITA hat sehr empfindliche Detektoren für die Art von Röntgenstrahlung,
die von dem Gas in Filamenten ausgeht", erklärt Reiprich. "Außerdem hat es ein
großes Gesichtsfeld – es bildet wie ein Weitwinkel-Objektiv einen relativ weiten
Teil des Himmels in einer einzigen Messung ab, und das in sehr hoher Auflösung."
Dadurch lassen sich in vergleichsweise geringer Zeit detaillierte Aufnahmen von
derart großen Objekten anfertigen, wie es die Filamente sind.
Die Wissenschaftler nahmen in ihrer Studie Abell 3391/95 unter die Lupe.
Dabei handelt es sich um ein System von drei Galaxienhaufen, das rund 700
Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist. Auf den eROSITA-Aufnahmen sind nicht
nur die Haufen und zahlreiche Einzelgalaxien zu erkennen, sondern auch die
Gasfäden, die diese Strukturen miteinander verbinden. Das gesamte Filament ist
50 Millionen Lichtjahre lang. Möglicherweise ist es aber noch riesiger: Die
Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Aufnahmen nur einen Ausschnitt zeigen.
"Wir haben unsere Beobachtungen mit den Ergebnissen einer Simulation
verglichen, die die Entwicklung des Universums nachstellt", erklärt Reiprich.
"Die eROSITA-Bilder ähneln den computergenerierten Grafiken frappierend. Das
spricht dafür, dass das weithin akzeptierte Standardmodell zur Entwicklung des
Universums korrekt ist." Vor allem zeigen die Daten aber, dass sich die fehlende
Materie wohl tatsächlich in den Filamenten verbirgt.
eROSITA wurde mit Mitteln der Max-Planck-Gesellschaft und des Deutschen
Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt. Das Teleskop wurde im
vergangenen Jahr an Bord eines russisch-deutschen Satelliten ins All geschossen,
dessen Bau durch die russische Weltraumagentur Roskosmos unterstützt wurde. Bei
dieser Arbeit kamen auch die Dark Energy Camera (DECam) am
4-Meter-Teleskop Víctor M. Blanco am Interamerikanischen Observatorium Cerro
Tololo und das von der CSIRO (Commonwealth Scientific and Industrial Research
Organisation) gebaute und betriebene Australian Square Kilometre Array
Pathfinder (ASKAP) Teleskop zum Einsatz.
Über die Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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