Nach zahlreichen Verzögerungen soll es in der kommenden
Woche endlich soweit sein: Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6,
Nachfolger der erfolgreichen Ariane-5-Raketen, soll erstmals von Kourou in
Französisch-Guyana aus ins All starten. Mit der Ariane 6 will Europa
sich weiterhin einen eigenständigen, aber auch günstigeren und flexibleren Zugang ins All sichern.
Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 soll am 9. Juli 2024 zum
ersten Mal starten. Sie soll den unabhängigen europäischen Zugang zum
Weltraum genauso leistungsfähig wie ihre Vorgängerin, die Ariane 5, aber
wesentlich günstiger und flexibler für das nächste Jahrzehnt und darüber
hinaus sichern. Deutschland ist nach Frankreich zweitgrößter Beitragszahler
des Ariane-6-Programms der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Die
deutschen ESA-Beiträge werden von der Deutschen Raumfahrtagentur im
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn koordiniert. Das DLR
ist zudem über verschiedene Triebwerkstests und insbesondere die Tests der
neu entwickelten Oberstufe am DLR-Institut für Raumfahrtantriebe in Lampoldshausen maßgeblich an der Entwicklung der
Ariane 6 beteiligt.
Vor
allem institutionelle Raumfahrtmissionen – insbesondere von der ESA, der
Europäischen Union, nationalen Raumfahrtagenturen sowie der Europäischen
Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten EUMETSAT – sollen
mit diesem neuen Träger starten. 28 Flüge sind für Ariane 6 aktuell in
Auftrag gegeben – darunter auch die Starts für die Megakonstellation
Kuiper
des US-Unternehmens Amazon. Bei dem Erstflug werden aber zunächst 17
kleinere Nutzlasten an Bord sein. Ein Wiedereintrittsdemonstrator, ein Deployer zum Aussetzen von Cubesats sowie drei Kleinsatelliten kommen aus
Deutschland.
"Ein eigenständiger europäischer Zugang zum All ist sowohl für
unser tägliches Leben wie auch für Wirtschaft und Wissenschaft
unverzichtbar. Die akute Launcher-Krise in Europa hat uns dies umso mehr
bewusst gemacht. Jetzt drücken wir die Daumen für den Erststart nächste
Woche und danken dem gesamten Ariane-6-Team und allen Beteiligten für die
unglaublichen Anstrengungen der letzten Jahre. Der Start einer neuen
Trägerrakete ist immer auch eine Faszination, was die Menschheit mit
exzellenter Forschung und Technik erreichen kann und damit eine wichtige
Inspiration für unseren europäischen Innovationsstandort", betont Dr. Anna
Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsche Luft- und
Raumfahrt und Bundestagsabgeordnete.
"Die deutsche Forschung und Industrie
spielen im Gesamtpaket der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 eine
Hauptrolle. Die Stärken der deutschen Standorte liegen dabei im
Flüssigkeitsantrieb, in der Oberstufentechnologie sowie in den Tanks und
Strukturen. Dazu gehört auch der Forschungs- und Industriestandort Lampoldshausen – Europas modernstes Test- und Produktionszentrum für diese
Flüssigkeitsantriebe. Dieser Standort wird langfristig eine wesentliche
Rolle bei der Ariane 6 spielen. Auch viele wichtige Teile des
Ariane-6-Startplatzes in Kourou wurden von deutschen Unternehmen gefertigt.
Die Ariane 6 ist damit ein Beleg dafür,"dass deutsche Technologie und
Know-how im Trägersektor unverzichtbar sind, betont Dr. Walther Pelzer,
DLR-Vorstandsmitglied und Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im
DLR.
Seit dem Eintreffen der ersten Oberstufe der europäischen
Trägerrakete Ariane 6 am 14. Februar 2021 am DLR-Standort Lampoldshausen absolvierte sie mehrere umfangreiche Tests im neuen Prüfstand
P5.2. Um die komplette Stufe zu testen, hat das DLR diesen Prüfstand
speziell für diese Tests entwickelt und aufgebaut. Da bei der Ariane 6
eine
von Grund auf neu entwickelte Oberstufe zum Einsatz kommt, musste sie vor
dem Erstflug auf Herz und Nieren durchgetestet werden. Konzipiert und gebaut
wurde sie von ArianeGroup in Bremen als Hauptauftragnehmer der ESA. Die neue
Oberstufe hat einen Durchmesser von 5,4 Meter, eine Länge von circa zehn
Metern und wiegt rund sieben Tonnen ohne Treibstoff. Betankt bringt sie rund
38 Tonnen auf die Waage. Sie besteht aus zwei Haupttanks, die mit flüssigem
Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff gefüllt sind, die auf minus 183
beziehungsweise minus 253 Grad Celsius extrem tief heruntergekühlt werden
müssen.
Dazu kommt
das bis zu viermal wiederzündbare Vinci-Triebwerk und die sogenannte APU (Auxiliary
Power Unit, eine innovative Antriebseinheit) – beides mit Kern-Komponenten
der ArianeGroup aus Ottobrunn. Die APU erweitert die Einsatzmöglichkeiten
der Ariane 6 erheblich: Durch das mehrmals wiederzündbare Vinci-Triebwerk
und die APU sind flexiblere Missionsprofile möglich. Zudem ist die Oberstufe
so konzipiert, dass sie nach dem Einsatz komplett in der Erdatmosphäre
verglüht, also keine Trümmerteile hinterlässt. Das ist eine wichtige
Maßnahme, um weiteren Weltraumschrott zu vermeiden.
Mit mehreren Zündungen
des Vinci-Triebwerks und wiederholten Zündungen der APU wurden bei
Heißlauftest in Lampoldshausen sehr komplexe Anforderungsprofile am
Prüfstand nachgestellt. Bei einem der Tests ist es zum Beispiel gelungen,
ein Szenario nachzustellen, das den Anforderungen des Erstflugs der Ariane 6
entspricht. Durch die gesamten Versuche konnten wichtige Informationen und
Daten über die Stufe gesammelt werden, die für einen erfolgreichen Erststart
und die Etablierung eines neuen zuverlässigen Trägers unverzichtbar sind.
In der deutschen
Trägerraketen-Industrie arbeiten rund 1000 Ingenieurinnen und Ingenieure
von ArianeGroup an den Hauptstandorten Bremen, Lampoldshausen und Ottobrunn
sowie 500 bei MT Aerospace in Augsburg und Bremen. Hinzu kommen mehr als 50
kleine und mittlere Unternehmen, deren spezielles Know-how einen
wichtigen Beitrag zum Ariane-6-Programm liefert. In der Hansestadt werden
zum Beispiel alle wiederzündbaren Oberstufen der Ariane 6 gebaut. Hier kommt
auch Industrie-4.0-Technologie zum Einsatz. Modernste automatisierte
Schweißverfahren und serienmäßiger 3D-Druck in vielen Bauteilen,
insbesondere bei den Triebwerken, belegen zudem die Spitzentechnologie aus
Europa und aus Deutschland.
So kommen in Ottobrunn für die
Brennkammerfertigung – das "Herzstück" eines jeden Triebwerks – innovative
Techniken wie 3D-Druck zum Einsatz. Das
Verfahren hat große Vorteile gegenüber gegossenen oder geschmiedeten
Produkten, denn die hergestellten Teile können nahezu ohne mechanische
Nachbearbeitung in hoher Stückzahl auch bei komplexer Struktur hergestellt
werden. Die Einsparung verschiedener teurer Fertigungsschritte und die
Vereinfachung der Triebwerkstruktur senken die Kosten bei jedem Start
erheblich. Die Spezialisten von MT Aerospace stellen unter Verwendung
modernster Fertigungsverfahren Tanks und Strukturen für alle
Ariane-6-Raketen her. Diese Strukturen halten trotz ihres minimalen Gewichts
den enormen Belastungen beim Start einer Ariane stand.
Alle diese Neuerungen "made in Germany" machen die Ariane 6 in der Produktion deutlich günstiger
als das Vorläufermodell. Zudem soll in naher Zukunft eine neue
"Kick-Stage"-Lösung aus Bremen, Ottobrunn und Lampoldshausen im Rahmen des
so genannten ASTRIS-Programms der ESA die Ariane 6 noch vielseitiger
einsetzbar machen. Mit dieser zusätzlichen Oberstufe kann die Trägerrakete
mehrere Nutzlasten effizient in unterschiedlichen Orbits absetzen oder
Satelliten direkt in deren Zielorbit bringen. Die Kick-Stage wird von dem
wiederzündbaren BERTA-Triebwerk angetrieben, dessen Entwicklung von der
Deutschen Raumfahrtagentur im DLR gefördert wurde.
Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 hat zudem einen neuen Startplatz am europäischen Raumflughafen in Kourou
in Französisch-Guyana bekommen. Ein Firmenkonsortium unter der Leitung des
französischen EIFFAGE-Konzerns war für den Bau des "ELA 4" genannten Areals
zuständig. Mit dabei waren auch vier deutsche Unternehmen: Die Hannoveraner
Stahltechnologiefirma SEH hat das sogenannte Infrastrukturpaket übernommen.
Dazu zählt vor allem die flache Montagehalle BAL (Bátiment Assemblage
Lanceur). Hier werden die Haupt- und Oberstufe der Ariane 6 vorbereitet und
liegend zum sogenannten Zentralkern – dem "Central Core" – miteinander
verbunden. Auch die rund 100 Meter hohe und 8000 Tonnen schwere so genannte
Mobile Gantry – eine fahrbare Riesengarage auf Schienen – war Teil dieses
Pakets. Mit seinen gigantischen Ausmaßen gilt die "Mobile Gantry" als eines
der größten und schwersten beweglichen Gebäude der Welt, das die Rakete auf
der Startrampe während ihres finalen Zusammenbaus umgibt. Kurz vor dem Start
fährt die riesige Stahlkonstruktion dann in einen sicheren Abstand zurück.
Die OHB Digital Connect GmbH aus Mainz war als ein Tochterunternehmen des
Bremer Raumfahrtkonzerns OHB für das sogenannte Mechanikpaket
verantwortlich. Das Unternehmen hat den 650 Tonnen schweren Starttisch
gebaut, auf dem die Rakete errichtet wird, den Startturm, über dessen
wichtige Verbindungen die Rakete mit Treibstoff und Strom versorgt wird,
sowie weitere mechanische und metallische Elemente. Die Firma RMT aus Kehl
am Rhein legte die Stromversorgung und baute die Elektroanlagen auf, während
die Actemium Cegelec GmbH aus Mannheim die Gas- und
Flüssigkeitsinfrastruktur zur Betankung der Ariane 6 eingerichtet hat.