Seit dem Ende der Ariane-5-Flüge verfügt Europa über keine
größere Trägerrakete mehr. Der vorgesehene Nachfolger, die Ariane 6,
ist noch immer nicht fertig. Doch nun wurde auf dem Weg zum Erststart ein
wichtiger Meilenstein erreicht: Am Freitag fand in Lampoldshausen ein
erfolgreicher Heißlauftest statt, der bereits dem Flugszenario beim Erststart
entsprach.
Die neu konzipierte Oberstufe der europäischen Trägerrakete Ariane 6
muss vor ihrem ersten Einsatz im Weltall intensive Funktions-Checks
bestehen. Dazu hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
gemeinsam mit ArianeGroup in Lampoldshausen am 1. September 2023 einen
weiteren Heißlauftest durchgeführt. Das Besondere: Die Testanforderungen
entsprachen dem Flugszenario beim Erststart.
"Ich freue mich sehr über den gelungenen Test und beglückwünsche die
Teams von ArianeGroup, ESA und DLR zu der erfolgreichen Zusammenarbeit.
Dieser Test ist ein zentraler Meilenstein und elementar für die
Qualifikation der Oberstufe für ihren Erststart", erklärte Dr. Walther
Pelzer, DLR-Vorstandsmitglied und Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im
DLR. "Das DLR ist für seine einzigartige Testinfrastruktur weltweit bekannt
und setzt mit dem Prüfstand P5.2 neue Maßstäbe in Europa. Bei der
Ministerratskonferenz im November 2022 in Paris haben sich die
ESA-Mitgliedsstaaten auch darauf verständigt, dass Lampoldshausen als
Standort für Triebwerks- und Stufentests Teil der strategischen
ESA-Infrastruktur ist", so Pelzer weiter.
Bei der Ariane-6-Oberstufe handelt es sich um eine von Grund auf neu
entwickelte Raketenstufe. Konzipiert und gebaut hat sie das Unternehmen
ArianeGroup als Hauptauftragnehmer im Namen der europäischen
Weltraumorganisation ESA. Sie besteht aus zwei Haupttanks, die mit flüssigem
Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff gefüllt sind. Dazu kommt das bis zu
viermal wiederzündbare Vinci-Triebwerk und die APU (Auxiliary Power Unit),
eine innovative Antriebseinheit. Die APU erweitert die Einsatzmöglichkeiten
der Ariane 6: Mit zwei Zündungen des Vinci-Triebwerks und zwei
Zündungen der APU wurde bei diesem Heißlauftest ein sehr komplexes
Anforderungsprofil am Prüfstand nachgestellt.
"Bei den bisherigen Arbeiten und Tests haben wir wichtige Informationen
und Daten über die Stufe erhalten. Beim aktuellen Test haben wir einen
weiteren wichtigen Schritt geschafft: Es ist uns gelungen, auf dem Prüfstand
ein Szenario nachzustellen, das den Anforderungen des Erstflugs der
Ariane 6 entspricht", verdeutlichte Prof. Stefan Schlechtriem, Direktor
des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe. "Das Ergebnis ist eine umfassende
Datenbasis, die nun von ArianeGroup detailliert analysiert und ausgewertet
wird."
"Dieser erneute erfolgreiche Test stellt einen sehr wichtigen Meilenstein
auf dem Weg zum Erstflug der Ariane 6 dar. Dieser Erfolg ist das
Ergebnis einer seit vielen Jahrzehnten erfolgreichen, engen und
vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der ArianeGroup und dem DLR am
Standort Lampoldshausen. Bei diesen sogenannten 'Hot Firing Tests' wird die
am Standort Bremen gefertigte Ariane-6-Oberstufe – und die dazugehörige
Triebwerkstechnologie aus Ottobrunn – auf Herz und Nieren geprüft.
Anschließend wird sie dann in einem zweiten Schritt gemeinsam mit der in
Frankreich gefertigten Hauptstufe getestet. Ich möchte an dieser Stelle
meinen Dank an die beteiligten Teams an allen Standorten aussprechen und
mich auch für die sehr gute Zusammenarbeit mit dem DLR bedanken", so Pierre
Godart, CEO ArianeGroup GmbH.
Der ESA-Direktor für Raumtransport, Toni Tolker Nielsen, dankte den
Partnern DLR und ArianeGroup, dem Hauptauftragnehmer der Ariane 6, für die
Durchführung der Tests in Lampoldshausen: "Die Ariane 6 steigert
unsere Fähigkeiten beim Raumtransport dramatisch und die Oberstufe mit ihrem
wiederzündbaren Vinci-Triebwerk wird einen erheblichen Wandel bewirken. Die
Ergebnisse dieser Tests geben uns großes Vertrauen, dass wir mit der
Flexibilität dieses Startsystems allen Missionsanforderungen gerecht werden
können. Gemeinsam mit unseren Partnern machen wir enorme Fortschritte und
ich freue mich auf die nächsten Etappen unserer Ariane-6-Reise."
Bei der Oberstufe der Ariane 6 spielen viele neue Technologien
zusammen: Durch das mehrmals wiederzündbare Vinci-Triebwerk und die APU sind
flexiblere Missionsprofile möglich. Zudem ist die Oberstufe so konzipiert,
dass sie nach dem Einsatz komplett in der Erdatmosphäre verglüht, also keine
Trümmerteile hinterlässt. Das ist eine wichtige Maßnahme, um keinen weiteren
Weltraumschrott zu verursachen.
Das DLR am Standort Lampoldshausen ist mit seinem Portfolio an
Prüfständen für Tests von zukunftsweisenden Raumtransport-Systemen optimal
aufgestellt. Mit dieser einmaligen Forschungsinfrastruktur und seiner
umfassenden Expertise unterstützt das DLR die deutsche und europäische
Raumfahrtindustrie dabei, neuartige Antriebssysteme zu entwickeln.
Ein Testtag mit der Ariane-6-Oberstufe nimmt rund 22 Stunden in Anspruch
und erfordert mehrere Wochen intensiver Vorbereitung. Beim Test werden
Vorgänge simuliert, wie sie auch bei einem echten Startvorgang stattfinden.
Dazu zählt das Betanken der Oberstufe mit flüssigem Sauerstoff und flüssigem
Wasserstoff sowie das Entleeren der Tanks nach Ende des Tests. DLR und
ArianeGroup sammeln während der Versuche eine große Menge an relevanten
Daten: Dazu gehören auch Daten, die zum Beispiel Einblicke in die
ballistischen Phasen – wenn die Oberstufe ohne Schub fliegt – geben und für
die Auswertung wichtig sind.
Deutschland trägt aktuell mit 44 Millionen Euro in den nächsten drei
Jahren über seinen ESA-Beitrag zur Sicherung des Zentrums für
Triebwerkstests in Lampoldshausen bei. Die deutsche Raumfahrtagentur im DLR
steuert im Auftrag der Bundesregierung die deutschen ESA-Beiträge. Bei der
Ministerratskonferenz im November 2022 in Paris zeichnete Deutschland knapp
490 Millionen Euro für Aktivitäten im Trägerraketen-Bereich und ist nach
Frankreich zweitstärkster Ariane-6-Partner. Deutschland ist mit rund 23
Prozent am Ariane-6-Entwicklungsprogramm beteiligt. Die Oberstufe der
Trägerrakete wird am Standort Bremen der ArianeGroup integriert.