Erneut Gemüseanbau im ewigen Eis
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
5. Mai 2021
Mit einem Gewächshaus in der Antarktis wurde 2018
untersucht, wie sich die Gemüsezucht in vollkommener Abgeschiedenheit und ohne
Sonnenlicht realisieren lässt. Mit den Erfahrungen aus diesem ersten Experiment
beginnen nun neue Versuche auf der Neumayer Station III. Fernziel ist auch die
Versorgung von Menschen auf astronautischen Missionen.
Das Antarktisgewächshaus EDEN ISS steht auf
dem Ekströmeisschelf rund 400 Meter entfernt von
der deutschen Neumayer Station III.
Foto: DLR/NASA/Bunchek
[Großansicht] |
Neun Wochen Dunkelheit und Kälte bis minus 50 Grad Celsius. Unter den
harschen Bedingungen der Antarktis beginnt eine gemeinsame Versuchsreihe der
NASA und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zur Gemüsezucht
auf Mond und Mars. NASA-Gastwissenschaftlerin Jess Bunchek erforscht bis Anfang
2022, wie Astronautinnen und Astronauten zukünftig mit möglichst wenig Zeit- und
Energieeinsatz viel Salat, Gurken, Tomaten, Paprika und Kräuter züchten können:
Dafür arbeitet sie im DLR-Antarktisgewächshaus EDEN ISS. Sie stellt
Gewächshaustechnik und Pflanzensorten auf die Probe. Zudem erfasst sie, wie das
grüne Habitat und seine Früchte auf die isolierte Überwinterungscrew im ewigen
Eis wirken.
Bunchek ist Teil des zehnköpfigen Überwinterungsteams auf der vom
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)
betriebenen Neumayer Station III. "Hier auf dem antarktischen Ekström-Schelfeis
beginnt bald die Polarnacht. Allein mit den neun weiteren Mitgliedern der
Überwinterungscrew fühlt es sich fast so an, als würden wir auf einem anderen
Planeten ganz auf uns allein gestellt sein", sagt Bunchek. "Es ist faszinierend
in dieser lebensfeindlichen Welt das Grün ohne Erde unter künstlichem Licht
gedeihen zu sehen."
Bunchek ist Botanikerin am Kennedy Space Center der NASA, wo sie
zuvor vor allem das VEGGIE-Projekt auf der Internationalen Raumstation (ISS)
unterstützt hat. Nach einer technischen Überholung der Forschungsplattform EDEN
ISS durch das DLR-Team konnte sie in den vergangenen Wochen die ersten Samen
einsähen. Vor einigen Tagen folgte die erste Ernte von Salat, Radieschen und
verschiedenen Kräutern.
In der Antarktis kommen besonders robuste Sorten zum Einsatz, die vom
EDEN-ISS-Projektteam sowie bei Experimenten im Kennedy Space Center und
im Rahmen des VEGGIE-Projekts auf der ISS ausgewählt wurden. So ist es auch Ziel
der DLR/NASA-Mission, das Wachstum und den Ertrag der Sorten unter den
Bedingungen des Antarktisgewächshauses zu erfassen und zu vergleichen. Zudem
rückt in den Fokus, welche Mikroben mit der Pflanzenzucht im Gewächshaus
gedeihen.
Die NASA wird im EDEN-ISS-Modul auch ein Konzept zur Pflanzenbewässerung
testen, das unter Schwerelosigkeit wie auf der Internationalen Raumstation
funktionieren kann. Das System hält und transportiert das Wasser durch eine
passive Methode zu den Pflanzen. "Dies ermöglicht einen direkten Vergleich mit
den bisher bei EDEN ISS aktiv aeroponisch befeuchteten Pflanzen", sagt Dr. Ray
Wheeler, Pflanzenphysiologe am Kennedy Space Center. Bei der
aeroponischen Bewässerung, werden die Wurzeln der Pflanzen ohne Erde regelmäßig
mit einer Nährstofflösung besprüht.
Säen, ernten, pflegen, putzen, warten, kalibrieren, reparieren und
wissenschaftliche Tätigkeiten. Mit einem achtseitigen Spezialwürfel zur
Zeiterfassung registriert Bunchek jede Sekunde ihrer Tätigkeiten im
Antarktisgewächshaus. Denn Crew-Zeit wird bei späteren Missionen zu Mond und
Mars ein kostbares Gut sein. "In einem ersten Testlauf des Gewächshauses während
der Mission 2018 hatten wir festgestellt, dass der Betrieb noch zu viel Zeit in
Anspruch nimmt", erklärt EDEN-ISS-Projektleiter Dr. Daniel Schubert vom Bremer
DLR-Institut für Raumfahrtsysteme. "Nun arbeiten wir daran Abläufe und
Prozeduren zu optimieren. Wir haben viel über die Handhabung eines Gewächshauses
unter Extrembedingungen gelernt. Das setzen wir mit der jetzigen gemeinsamen
DLR/NASA-Mission voll um."
Neben der Zeit der Crew steht deren Wohlbefinden im Fokus. Regelmäßig
beantworten die Überwinterer Fragen zu ihren Essgewohnheiten oder wie die
Pflanzen auf die Stimmung wirkt. Wir hoffen, unser Verständnis für die
Versorgung mit Pflanzen und frischer Nahrung für Besatzungen in abgelegenen,
isolierten Umgebungen wie Neumayer III und letztendlich für den Weltraum zu
verbessern", sagt Wheeler.
Am 19. Januar erreichte Jess Bunchek mit dem Forschungsschiff Polarstern den
antarktischen Kontinent. Seit dem 19. März ist die zehnköpfige
Überwinterungscrew auf der vom Alfred-Wegener-Institut betriebenen Neumayer
Station III auf sich allein gestellt. "EDEN ISS ist in vielerlei Hinsicht eine
Bereicherung für die Crew. Ich weiß aus meiner eigenen Überwinterungserfahrung,
wie sehr einem frische Lebensmittel fehlen können. Dabei geht es nicht nur um
den Geschmack. Hinzu kommen die Gerüche, die Farben und die faszinierende
Tatsache, dass in unwirtlicher Umgebung etwas wächst", sagt Dr. Tim Heitland,
Medizinischer Koordinator und Operations Manager beim AWI. "Deshalb gibt es in
den Überwinterungsteams auch immer wieder Freiwillige, die bei der Aufzucht und
Ernte der Pflanzen helfen".
Am 21. Mai beginnt dieses Jahr die Polarnacht an der Neumayer Station III.
Erst ab dem 23. Juli werden wieder erste Sonnenstrahlen auf die Station
scheinen. Forschende der Sommersaison und neue Versorgungsgüter werden gegen
Anfang November die Isolation der diesjährigen Überwinterungscrew beenden. In
den sozialen Medien lassen sich die Aktivitäten im Antarktisgewächshaus EDEN ISS
über den Hashtag #MadeInAntarctica verfolgen. Das Antarktisgewächshaus ist mit
Kanälen auf Facebook und Instagram vertreten sowie mit einer Bildgalerie auf
Flickr. Im Blog schreibt Bunchek über ihre persönlichen Eindrücke zur
Antarktismission. Mit einem neuen Tool können die Pflanzen des
EDEN-ISS-Gewächshauses in der Antarktis beobachtet werden. Jeden Tag ermöglichen
die Bilder von 34 Kameras zu verfolgen, wie die Pflanzen wachsen.
Die weltweite Nahrungsmittelproduktion ist eine der zentralen
gesellschaftlichen Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Eine steigende
Weltbevölkerung bei gleichzeitigen Umwälzungen durch den Klimawandel erfordern
neue Wege, um Nutzpflanzen auch in klimatisch ungünstigen Regionen kultivieren
zu können. Ein geschlossenes Gewächshaus ist ein vielversprechendes Konzept für
zukünftige Missionen zu Mond und Mars. Auf der Erde ermöglicht es von Wetter,
Sonne und Jahreszeit unabhängige Ernten sowie weniger Wasserverbrauch und den
Verzicht auf Pestizide und Insektizide.
Mit dem Projekt EDEN ISS ist solch ein Modell-Gewächshaus der Zukunft unter
antarktischen Extrembedingungen in der Langzeiterprobung. In der ersten
umfangreichen Überwinterungsforschungskampagne 2018 wurden im Gewächshaus in
neuneinhalb Monaten insgesamt 268 Kilogramm Nahrung auf nur 12,5 Quadratmetern
produziert. Darunter waren unter anderem 67 Kilogramm Gurken, 117 Kilogramm
Salat und 50 Kilogramm Tomaten. Als Ergebnis der Forschungsarbeiten entstand
neues Gewächshaus-Konzept für die zukünftige Raumfahrtmissionen.
|