Innovatives Gewächshaus vor Bewährungsprobe
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
10. Juli 2017
Die Versorgung von Astronauten auf Langzeitmissionen mit
frischem Obst und Gemüse ist eine große Herausforderung. Eine Lösung wäre ein
möglichst autarkes Gewächshaus, in dem entsprechende Pflanzen unter optimalen
und kontrollierten Bedingungen wachsen. Das DLR will im Rahmen des Projekts
EDEN-ISS ein solches Gewächshaus testen - im dunklen Winter der Antarktis.
Im Gewächshaus EDEN-ISS wachsen Pflanzen ohne
Erde und mit künstlichem Licht.
Bild: DLR (CC-BY.3.0) [Großansicht] |
Die weltweite Nahrungsmittelproduktion ist eine der zentralen
gesellschaftlichen Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Eine steigende
Weltbevölkerung bei gleichzeitigen Umwälzungen durch den Klimawandel fordern
neue Wege, um Nutzpflanzen auch in klimatisch ungünstigen Regionen kultivieren
zu können. Für Wüsten und Gebiete mit tiefen Temperaturen wie auch bei
Weltraummissionen zu Mond und Mars ermöglicht ein geschlossenes Gewächshaus von
Wetter, Sonne und Jahreszeit unabhängige Ernten sowie weniger Wasserverbrauch
und den Verzicht auf Pestizide und Insektizide.
Mit dem Projekt EDEN-ISS geht solch ein Modell-Gewächshaus der Zukunft Ende
2017 für ein Jahr unter antarktischen Extrembedingungen in die
Langzeiterprobung. Am Freitag wurde das weltweit einmalige Antarktis-Gewächshaus
beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) am Standort Bremen erstmals
der Öffentlichkeit vorgestellt.
"Im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts EDEN-ISS betreibt das DLR
anwendungsbezogene Forschung, die bei der Nahrungsmittelproduktion auf der Erde und
in der bemannten Raumfahrt neue Impulse setzt", sagt Prof. Hansjörg Dittus,
DLR-Vorstand für Raumfahrtforschung und -technologie. "Dabei treiben wir eine
Schlüsseltechnologie voran, die Bewohnern klimatisch anspruchsvoller Regionen,
wie zum Beispiel in der Antarktis, eine hochwertige, frische Ernährung
ermöglicht, ebenso wie Astronauten bei zukünftigen Langzeitmissionen."
Im Dezember 2017 wird DLR-Wissenschaftler Paul Zabel für ein Jahr mit dem
Gewächshaus EDEN-ISS in die Antarktis ziehen und dort zur Überwinterungscrew der
vom Alfred Wegener Institut (AWI) betriebenen Antarktisstation Neumayer III
gehören. "Gurken, Radieschen, Paprika, Salate und Kräuter gedeihen bereits jetzt
beim Testlauf in Bremen", sagt Projektleiter Daniel Schubert vom DLR-Institut
für Raumfahrtsysteme. "Unter speziellem künstlichen Licht, wohl temperiert und
ohne Erde, nur von ausgesuchten Nährlösungen versorgt, können wir die Pflanzen
schneller und produktiver als in ihrem natürlichen Umfeld wachsen lassen."
Die gesunde Kost und innovative Technik soll ganz praktisch den Speiseplan
der Überwinterer auf Neumayer III bereichern und gleichzeitig das
Versorgungsszenario einer bemannten Marsmission nachempfinden. "Neben der
Erprobung der Pflanzenzucht sind wir auch interessiert, wie die Mannschaft der
Station auf die frische Bereicherung des Nahrungsangebots reagiert", so Schubert
weiter. "Besondere Freude wird es sicher über die Erdbeeren geben."
Paul Zabel ist schon sehr gespannt auf seinen ausgedehnten Außeneinsatz, der
ihn gefühlt sehr weit von der Heimat in Deutschland wegbringt. "Wir können in
der Polarnacht ja keine Sonne sehen, sind Tausende Kilometer entfernt ohne
schnelle Rückkehrmöglichkeit", sagt Zabel. "Da fühlt man sich tatsächlich ein
wenig, als wenn man die Reise auf einen anderen Planeten antritt."
Trotz beschwerlicher Bedingungen in der Antarktis leben und arbeiten
ganzjährig Wissenschaftler in der Neumayer-Station III. Die Station auf dem
Ekström-Schelfeis im atlantischen Sektor der Antarktis ist die Basis für die
deutsche Antarktisforschung. Im antarktischen Sommer befinden sich bis zu 50
Menschen an der Station – im Winter wird es leerer: Dann sind normalerweise nur
noch neun Personen vor Ort, ein Koch, drei Ingenieure, ein Arzt und vier
Wissenschaftler. In dem kommenden Überwinterungsteam wird Paul Zabel als zehntes
Mitglied hinzukommen.
In der Zeit vom 21. Mai bis zum 22. Juli kommt die Sonne nicht über den
Horizont – es herrscht Polarnacht, lediglich mit einer kurzen Dämmerungsphase um
die Mittagszeit. Der bisherige Kälterekord an der Neumayer-Station III beträgt
minus 50,2 Grad Celsius. "Die Versorgung mit Proviant erfolgt einmal jährlich um
Weihnachten herum mit dem Schiff. Dann werden etwa 60 Tonnen Lebensmittel und
Getränke in sechs Containern angeliefert. So weit wie möglich wird Gemüse und
Obst für die Isolationsphase im Winter als Tiefkühlware verwendet", sagt der
langjährige Stationsleiter Dr. Eberhard Kohlberg.
In der sogenannten Sommersaison von November bis Februar erfolgt zusätzlich
in 3 bis 4-wöchigen Abständen noch eine Versorgung mit frischem Obst, Gemüse und
Salat aus Südafrika auf dem Luftweg. Die letzte derartige
Frischproviantlieferung gelangt Ende Februar zur Station. Dann gibt es für
Monate keinen frischen Salat oder frische Tomaten und Gurken. Nur ein paar
Obstsorten, die länger haltbar sind, reichen bis in den Mai. Lediglich
Kartoffeln und Zwiebeln sind länger lagerbar. "Umso mehr wird dann die erste
frische Lieferung von Salat und Tomaten im November erwartet", sagt Kohlberg.
Aeroponik ist das Zauberwort für Gärtnerei unter antarktischen Bedingungen,
die nun den Speiseplan der Crew bereichern soll. Bei dieser Technik werden
Pflanzen ohne Erde steril kultiviert und computergesteuert mit einem
Wasser-Nährstoffgemisch besprüht. Die Luft im Gewächshaus passen die Forscher
ebenfalls den Bedürfnissen der Pflanzen bestmöglich an. "Der CO2-Gehalt
wird gesteigert, mit speziellen Filtern reinigen wir die Luft von Pilzspuren und
Keimen und betreiben eine Anlage zur Luftsterilisation mittels UV-Strahlung", so
Schubert. "Damit können wir eine rein biologische Züchtung ermöglichen, die ohne
Insektizide und Pestizide auskommt."
Wie auf einer Raumstation hat das Gewächshaus einen vollständig geschlossenen
Luftkreislauf, inklusive einer Schleuse, durch die Paul Zabel Tag für Tag das
Gewächshaus betreten wird. Der geschlossene Kreislauf ermöglicht zudem,
sämtliches Wasser, das die Pflanzen an die Luft abgeben, wieder aufzufangen und
ihnen erneut zuzuführen. Die künstliche Sonne in der Polarnacht ist ein Cocktail
aus blauem, rotem und weißem Licht, der Behälter und Gewächse violett schimmern
lässt. Die Pflanzen sind in einem angedeuteten Tag-Nacht Rhythmus 16 Stunden
lang beleuchtet und bekommen anschließend acht Stunden Nachtruhe ohne Licht.
Wassergekühlte LED-Systeme, bei denen jede LED und deren Lichtwellenlänge
einzeln über einen Computer angesteuert werden kann, lassen jede Pflanzenart
individuell am effektivsten wachsen.
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