Aktiver Kryovulkanismus auf Ceres?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
11. August 2020
Der Zwergplanet Ceres, der größte Körper im
Asteroidengürtel, war bis vor eine Million Jahren Schauplatz kryovulkanischer
Ausbrüche und könnte noch heute aktiv sein. Dies ergab die detaillierte
Auswertung von Bildern, die die NASA-Sonde Dawn in den letzten Monaten
ihrer Mission gemacht hat. Ceres präsentiert sich danach als sehr eigentümliche
Welt.

Diese Bildmosaike des Occator-Kraters wurden
zusammengesetzt aus vielen Einzelbildern der Dawn
Framing Camera, die aus einer Entfernung von 35
Kilometern aufgenommen wurden. Innerhalb des
Kraters, der einen Durchmesser von 92 Kilometern
hat (A), finden sich zwei Bereiche mit hellen
Ablagerungen. Die Ablagerungen im Zentrum des
Kraters, genannt Cerealia Facula (B), messen nur
einige Kilometer im Durchmesser. In ihrer Mitte
wölbt sich eine Kuppe nach oben. Die Ablagerungen
im Nordosten des Kraters tragen den Namen Vinalia
Faculae (C).
Bild: Nathues et al., Nature Astronomy [Großansicht] |
Kryovulkanismus galt lange Zeit als ein Phänomen des äußeren Sonnensystems,
das ausschließlich auf einigen Eismonden von Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun
auftritt. Durchgewalkt von den gewaltigen Gravitationskräften ihrer
Mutterplaneten bieten diese Monde in ihrem Innern so viel Wärme, dass dort
Wasser trotz der beachtlichen Entfernung von der Sonne nicht vollständig
gefriert und in zum Teil spektakulären Fontänen ins Weltall sprüht.
Ganz anders dürfte es im Asteroidengürtel zugehen: Die vielen Millionen
größerer und kleinerer Brocken, die dort zwischen den Umlaufbahnen von Mars und
Jupiter um die Sonne kreisen, gelten gemeinhin als einfach aufgebaute,
wasserlose und inaktive Körper. Dass sich diese Sichtweise nicht
aufrechterhalten lässt, beweisen jetzt neue Studien: Ceres, das mit einem
Durchmesser von 950 Kilometern größte Objekt des Asteroidengürtels, entpuppt
sich darin als rätselhafter Sonderling.
Die Ergebnisse der Forscherinnen und Forscher beruhen in erster Linie
auf Messdaten aus der letzten Phase der NASA-Mission Dawn, die Ceres
von 2015 bis 2018 aus der Nähe untersuchte. Auf einer stark elliptischen
Umlaufbahn wagte sich die Raumsonde in ihren letzten fünf Monaten bis auf 35
Kilometer an die Oberfläche heran – näher als je zuvor. Dem wissenschaftlichen
Kamerasystem der Dawn-Sonde, das unter Leitung des Max-Planck-Instituts
für Sonnensystemforschung (MPS) entwickelt und gebaut wurde, gelangen in dieser
Zeit einzigartige Aufnahmen.
Besonderes Augenmerk richtete das Team, zu dem auch Forscherinnen und
Forscher der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) in Münster und des
National Institute of Science Education and Research in Bhubaneswar (Indien)
zählen, auf den Occator-Krater, einen markanten Einschlagskrater auf der
Nordhalbkugel von Ceres. Mit einem Durchmesser von etwa 92 Kilometern
übertreffen seine Ausmaße selbst die der allermeisten irdischen Krater.
Noch auffälliger ist seine zum Teil leuchtend weiße Färbung, die bereits in
der Anflugphase auf Ceres zu Spekulationen um etwaige Wasservorkommen anregte.
"Genau betrachtet hat der Occator-Krater eine sehr komplexe Struktur mit
Erhöhungen, Absenkungen, Ablagerungen, Rissen und Furchen. In allen Einzelheiten
ist dies erst in der letzten Missionsphase deutlich geworden", erklärt Dr.
Andreas Nathues vom MPS, wissenschaftlicher Leiter des Kamerateams von Dawn.
"Aus der heutigen Morphologie des Kraters können wir seine Entstehungsgeschichte
rekonstruieren – und so einen Blick in die bewegte Vergangenheit von Ceres
werfen", fügt er hinzu.
Die hochaufgelösten Aufnahmen lassen es zu, das Alter der einzelnen
Kraterbereiche zu bestimmen. Zu diesem Zweck analysieren die Forscher Anzahl und
Beschaffenheit kleinerer Einschläge, die jeden Körper im Sonnensystem
überziehen. Je jünger eine Oberfläche ist, desto weniger Mini-Krater weist sie
auf. Wie sich zeigte, entstand der Occator-Krater vor etwa 22 Millionen Jahren
durch einen großen Einschlag. Wie in vielen anderen Einschlagskratern auf der
Erde und auf anderen Planeten bildete sich dabei ein Zentralberg, der allerdings
nach einiger Zeit wieder einstürzte.
Vor etwa 7,5 Millionen Jahren stieg unter den Resten des Zentralbergs Sole
aus dem Innern an die Oberfläche empor. Das Wasser verdunstete und bestimmte
Salze, so genannte Karbonate, lagerten sich ab. Sie sind für die markanten
hellen Ablagerungen, genannt Cerealia Facula, im Zentrum des Occator-Kraters
verantwortlich. Durch den Materialverlust im Innern sackte der innere Teil des
Kraters ab. Es bildete sich eine runde Vertiefung mit einem Durchmesser von etwa
15 Kilometern.
In den folgenden Jahrmillionen konzentrierte sich die Aktivität vor allem auf
den östlichen Bereich des Kraterbodens. Durch Risse und Furchen quoll auch dort
Sole an die Oberfläche und erzeugte weitere helle Ablagerungen, die Vinalia
Faculae. Vor etwa zwei Millionen Jahren wachte das Zentrum des Kraters wieder
auf: Erneut drang Sole an die Oberfläche, innerhalb der zentralen Vertiefung
wölbte sich eine Kuppe aus hellem Material nach oben. "Dieser Prozess dürfte
mindestens bis vor einer Million Jahre angedauert haben", fasst Dr. Nico
Schmedemann von der WWU die Ergebnisse zusammen.
"Bemerkenswert ist vor allem, wie lange der Occator-Krater aktiv war und
möglicherweise noch immer ist", so Nathues. Theorien, wonach die ausgetretene
Flüssigkeit ausschließlich auf Schmelzwasser vom ursprünglichen Einschlag
zurückzuführen ist, sieht er dadurch widerlegt. Die Wärme, die bei einem solchen
Einschlag entsteht, hätte sich nicht über so viele Millionen Jahre im Inneren
halten können. Stattdessen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich tief
unterhalb des Occator-Kraters Reste eines globalen, salzigen Ozeans finden.
Ähnlich wie Streusalz im Winter sorgt das gelöste Salz dafür, dass die Sole
trotz der tiefen Temperaturen im Inneren des Körpers flüssig bleibt.
Diese Interpretation stützt eine zweite Studie, an der ebenfalls das MPS
beteiligt ist. Darin werten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter
Leitung des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA Dawns
Gravitationsmessungen aus. Ihrer Analyse zufolge liegt eine Blase aus flüssiger
Sole etwa 40 Kilometer unterhalb des Occator-Kraters. Möglich ist sogar, dass
aus dem Zwergplaneten noch immer Wasser austritt und verdampft.
Bereits 2014 hatten Messungen mit dem Weltraumteleskop Herschel
Anzeichen einer extrem dünnen, wasserhaltigen und möglicherweise nur sporadisch
auftretenden Exosphäre gefunden. Im Zuge der späteren Dawn-Mission
fanden Nathues und sein Team Hinweise auf eine Art dünnen Dunst, der täglich
über dem Occator-Krater liegt. Zu diesen Puzzlestücken gesellt sich nun die
Studie des Spektrometer-Teams von Dawn unter Leitung des Istituto
di Astrofisica Spaziale e Fisica Cosmica in Rom. Die Forscherinnen und
Forscher konnten in dem hellen, abgelagerten Material unter anderem
Salzverbindungen nachweisen, die Wasser enthalten.
Das nur leicht gebundene Wasser verdunstet an der Oberfläche von Ceres jedoch
innerhalb von Wochen; die Ablagerungen können somit nicht alt sein. "Wir gehen
davon aus, dass Ceres noch immer gelegentlich kryovulkanisch aktiv ist", folgert
Nathues. Während einiges dafür spricht, dass die Ausbrüche in der frühen
Entwicklungsphase des Occator-Vulkanismus teilweise geradezu explosiv waren,
dürfte sich Ceres‘ Kryovulkanismus mittlerweile deutlich beruhigt haben. Die
Forscherinnen und Forscher vermuten, dass Wasser nun in erster Linie durch
Verdampfen entweicht. "Ein solcher Kryovulkanismus ist nach bisherigem
Kenntnisstand im Sonnensystem einzigartig", so Schmedemann.
Die Ergebnisse erschienen in mehreren Fachartikeln in Nature Astronomy,
Nature Geoscience and Nature Communications.
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