Gewaltiger Schlammvulkan entdeckt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. astronews.com
11. Juni 2019
Auf Bildern der NASA-Sonde Dawn haben
Wissenschaftler einen äußerst ungewöhnlichen Berg auf Ceres ausgemacht: Ahuna Mons
erhebt sich rund 4000 Meter über die von Kratern übersäte Oberfläche des
Zwergplaneten und weist selbst kaum Einschlagkrater auf. Nun gibt es eine
Erklärung: Es handelt sich um einen gewaltigen Schlammvulkan.

Der über 4000 Meter hohe Ahuna Mons auf dem
Zwergplaneten ist einer der ungewöhnlichsten
Berge im Sonnensystem. Seine glatten Flanken sind
fast frei von Einschlagskratern, was zeigt, dass
der Berg geologisch vergleichsweise jung ist.
Bild: NASA / JPL-Caltech / UCLA / MPS / DLR /
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Als die Wissenschaftler dieses Gebilde zum ersten Mal auf den Fotos ihrer
Kamera auf der Raumsonde Dawn sahen, trauten sie ihren Augen kaum: Aus
der von Kratern übersäten Oberfläche des Zwergplaneten Ceres ragt ein
ebenmäßiger, von glatten, steilen Flanken begrenzter und über 4000 Meter hoher
Berg empor. Es ist der höchste Berg auf dem tausend Kilometer großen, fast
kugelförmigen Zwergplaneten, und eine der merkwürdigsten Strukturen im gesamten
Sonnensystem.
In einer Studie, an der auch Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft-
und Raumfahrt (DLR) beteiligt sind, wurde nun auf der Grundlage von
Schwerefeldmessungen und Untersuchungen der geometrischen Form von Ceres das
Rätsel gelöst, wie Ahuna Mons, so der Name des Berges, entstanden sein dürfte:
Aus dem Inneren des Zwergplaneten stieg eine Blase mit einem Gemisch aus
Salzwasser und Schlamm und Gestein auf. Die Blase drückte die eisreiche Kruste
nach oben, und an einer strukturellen Schwachstelle wurde die schlammige Lauge
aus Salzen und hydrierten Silikaten auf die Oberfläche gedrückt, erstarrte in
der atmosphärelosen Kälte des Alls und wurde zu einem Berg aufgetürmt. Ahuna
Mons ist ein gewaltiger Schlammvulkan.
"Das Innere von Ceres ist in dieser Region nicht starr und fest, sondern
beweglich und zumindest zum Teil flüssig", erklärt Wladimir Neumann vom
DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof und der Westfälischen
Wilhelms-Universität in Münster. "Diese 'Blase', die sich im Mantel von Ceres
unter dem Ahuna Mons gebildet hat, ist eine Mischung aus salzhaltigem Wasser und
Gesteinsbestandteilen". Die Wissenschaftler sprechen in Anlehnung an eine
Magmakammer bei Vulkanen auf den erdähnlichen Planeten hier von einer "Kryokammer",
vom griechischen Wort Kryos für Eis.
Ceres ist ein Zwergplanet am äußeren Rand des Asteroidengürtels. Der größte
Körper der von Kleinplaneten bevölkerten Zone zwischen den Planeten Mars und
Jupiter besteht hauptsächlich aus silikatischen Gesteinen, aber auch zu einem
beträchtlichen Anteil aus Eis und vermutlich auch Wasserschichten. Die
Wissenschaftler gehen davon aus, dass bis zu einem Viertel der Masse von Ceres
Eis oder Wasser ist, das wäre sogar mehr als die Süßwasser- und Eisvorräte der
Erde.
Nach dem Asteroiden Vesta umkreiste die Raumsonde Dawn den
Zwergplaneten Ceres als zweites Ziel ihrer 2007 begonnen Mission zwischen dem 6.
März 2015 bis Ende Oktober 2018. Dabei fotografierten und kartierten zwei
baugleiche, gemeinsam vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und dem
DLR-Institut für Planetenforschung entwickelten "Framing Cameras" Ceres aus
unterschiedlichen Höhen. Zahlreiche Gebiete wurden dabei stereoskopisch erfasst,
so dass DLR-Wissenschaftler der Fachrichtung Planetengeodäsie daraus digitale
Geländemodelle berechnen konnten, mit denen die Topographie der Ceres-Oberfläche
dargestellt werden konnte.
Das Innere von Ceres ist nicht homogen, sondern, wie es in der Terminologie
der Geologen heißt, zum Teil "differenziert", was bedeutet, dass sich nach der
Entstehung des Himmelskörpers die Bestandteile – zumindest teilweise – entmischt
und getrennt haben: Komponenten mit einem höheren Anteil an schweren Elementen
wie Magnesium oder Eisen sanken ins Zentrum des Körpers, leichtere Bestandteile
wie Gesteine mit einem hohem Anteil an Aluminiumsilikaten oder Wasser stiegen
auf. Durch Wärme, die auch heute noch, viereinhalb Milliarden Jahre nach der
Entstehung von Ceres, durch den Zerfall radioaktiver Elemente entsteht, bilden
sich Blasen und Dome.
Das Vorhandensein von Flüssigkeiten hat die innere Entwicklung auf andere Art
und Weise geprägt als bei den klassischen Gesteinsplaneten. Aufgrund ihres im
Vergleich zur Umgebung geringeren spezifischen Gewicht steigen diese Blasen auf
und drücken von unten gegen die Kruste. Die kilometerhohen Dome deformieren die
Kruste, und wenn sie durchbrochen wird, dringt flüssiges Material an die
Oberfläche.
Als die Dawn-Mission bei Ceres ankam fielen außergewöhnliche, fast
schneeweiße Flächen auf dem Zwergplaneten auf, von denen man heute weiß, dass es
sich um hydriertes Natriumkarbonat oder ammoniumhaltige Tone handelt, helle
Salze, die durch "Kryovulkanismus", also der Eruption von wässrigen Lösungen,
die bei Oberflächentemperaturen von etwa minus 100 Grad Celsius sofort
gefrieren.
Auch der Ahuna Mons, benannt nach dem Erntedankfest der Sumi-Naga-Ethnie in
Indien, ist in geologisch jüngerer Vergangenheit auf diese Art entstanden. Mit
einer Grundfläche von 20 Kilometern Durchmesser und Höhen von 4000 bis 5000
Metern über der Umgebung hat er Ausmaße wie in etwa der Mont Blanc, der höchste
Berg der Alpen. "Um die Entstehung des Ahuna Mons erklären zu können, mussten
wir ein neues und auf Ceres zugeschnittenes geophysikalisches Modell anwenden,
um an die hinter den Daten der Raumsonde 'versteckten' Informationen zu
gelangen", erläutert Antonio Genova von der Universität La Sapienza in Rom.
Ottaviano Ruesch von der Europäischen Weltraumorganisation ESA ergänzt: "Wir
waren begeistert, dass wir herausfinden konnten, welcher Prozess im Mantel von
Ceres genau unter dem Ahuna Mons dafür verantwortlich ist, dass Material an die
Oberfläche befördert wird. Der Ahuna Mons war natürlich schon aufgrund seiner
Form als Vulkan 'verdächtig'."
Die Wissenschaftler lasen aus den Daten heraus, dass das Schwerefeld von
Ceres bei Ahuna Mons eine Anomalie aufweist und dort die Anziehungskraft, der
auch die Raumsonde Dawn im Orbit um Ceres unterworfen ist, ein wenig
größer ist. Dadurch erhöht sich über dieser Stelle die Geschwindigkeit des
Raumschiffs ein wenig und gleichzeitig senkt sich die Umlaufbahn der Raumsonde
geringfügig ab. Das lässt sich anhand des Dopplereffekts beim Funkverkehr mit
der Raumsonde messen: Deren Wellenlängen werden je nach geometrischer
Konstellation der Funkverbindung gestaucht oder gedehnt.
"Diese Anomalie haben wir uns genauer angesehen und sind nach weiteren
Modellierungen darauf gestoßen, dass es sich um eine Aufwölbung des Mantels von
Ceres handeln musste", so Ruesch weiter. "Da lag der Rückschluss auf der Hand,
dass das Gemisch aus Flüssigkeiten und Gestein auf die Oberfläche austrat und
den Ahuna Mons auftürmte." Kryovulkanismus ist im äußeren Sonnensystem weit
verbreitet. Spuren dieses Eisvulkanismus‘ wurden auf Monden des Jupiter und
Saturn entdeckt, auch auf Pluto scheinen manche Strukturen auf diese Art
entstanden zu sein.
Ceres ist der erste Körper im Asteroidengürtel, auf dem diese Form der
Extrusion beobachtet wurde. Anders als auf den Jupitermonden Europa und Ganymed
oder dem Saturnmond Enceladus, auf denen Wasser auf die Oberfläche gedrückt
wird, ist das 'Magma' in der aufsteigenden Blase auf Ceres aus einem Gemisch aus
salzhaltigem Wasser und Schlamm oder Gesteinspartikeln zusammengesetzt.
Beobachtungen zur mineralogischen Zusammensetzung von Ahuna Mons mit einem
Spektrometer an Bord von Dawn scheinen diesen Befund zu bestätigen. Das Ergebnis
der Untersuchung zeigt, dass große Asteroiden oder Zwergplaneten, die aus
silikatischem Gestein und Eis aufgebaut sind, in ihrem Inneren Blasen aus
Salzwasser und Gesteinsbestandteilen bilden können, die zur Oberfläche
aufsteigen und dort austreten können. Dieser Prozess, vermuten die
Wissenschaftler, könnte über lange Zeiträume, möglicherweise Milliarden von
Jahren in diesen Körpern stattfinden und Kryovulkane auf der Oberfläche
entstehen lassen.
Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in der
Fachzeitschrift Nature Geoscience.
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