Unser Mond etwas jünger als gedacht?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
13. Juli 2020
Über das ungefähre Alter des Mondes herrscht in der
Wissenschaft Einigkeit und auch über seine Entstehung: Der Erdtrabant entstand
vor rund 4,5 Milliarden Jahren durch eine gewaltige Kollision zwischen der
jungen Erde und einem marsgroßen Protoplaneten. Doch wann genau sich diese
kosmische Katastrophe ereignete, ist unklar. Nun gibt es eine neue Zeitangabe:
vor 4,425 Milliarden Jahren.

Der Mond entstand vor 4,425 Milliarden
Jahren durch eine gewaltige Kollision.
Bild: Ron Miller [Großansicht] |
Die Geburtsstunde des Mondes schlug etwas später, als bisher vermutet. Sie
ereignete sich, als ein marsgroßer Protoplanet bei der Kollision mit der jungen
Erde zwar zerstört wurde, aber aus den Trümmern dieser Katastrophe ein neuer
Körper entstand – der Mond. Planetengeophysiker um Maxime Maurice vom Deutschen
Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster (WWU) haben nun mit einem neuen numerischen Modell rekonstruiert, wann
dies geschah: vor 4,425 Milliarden Jahren. Die bisherigen Annahmen für die
Entstehung des Mondes gingen von 4,51 Milliarden Jahren aus, also 85 Millionen
Jahre früher als jetzt berechnet. Der Mond ist also fast 100 Millionen Jahre
jünger, als bisher angenommen.
Das Sonnensystem war vor viereinhalb Milliarden Jahren noch eine ziemlich
chaotische Welt. Die Erde wuchs gerade zu ihrer heutigen Größe heran: Der
Planet, auf dem wir heute leben, sammelte noch immer Materie in Form von so
genannten "Planetesimalen" auf, die sich zuvor in der die junge Sonne
umkreisenden Scheibe aus Staub und Gas gebildet hatten. Die junge Erde
konsolidierte, dabei wurde sie in ihrem Inneren ständig heißer. Immer größere
Anteile des Gesteinsmantels schmolzen auf und bildeten einen Magmaozean.
Zu jener Zeit bekam die Erde auch ihren Trabanten, der sie bis heute
umkreist. Er ist das Ergebnis einer gewaltigen kosmischen Kollision der Erde mit
einem Protoplaneten, bei dem Gestein aus der jungen Erde herausgeschleudert
wurde und sich zu einem neuen planetaren Körper zusammenballte, dem Mond. Über
die Entstehungsgeschichte sind sich die meisten Wissenschaftler im Prinzip zwar
einig, nicht aber über den Vorgang im Einzelnen und vor allem nicht über den
Zeitpunkt.
"Das Ergebnis unserer Modellierungen legt nahe, dass die junge Erde rund 140
Millionen Jahre nach der Geburt des Sonnensystems vor 4,567 Milliarden Jahren
von einem Protoplaneten getroffen wurde. Das geschah nach unseren Berechnungen
vor 4,425 Milliarden Jahren – mit einer Unsicherheit von 25 Millionen Jahren,"
fasst Maxime Maurice vom Berliner DLR-Institut für Planetenforschung die
Untersuchungen zusammen. "Das war die Geburtsstunde des Mondes."
Die Entwicklung der Erde zu einem Planeten war zu diesem Zeitpunkt gerade
abgeschlossen. In deren Verlauf sanken im Inneren der Erde die schweren,
metallischen Bestandteile ins Zentrum und bildeten einen Kern aus Eisen und
Nickel, der nun von einem mächtigen Mantel aus silikatischen Gesteinen umgeben
war. Die Mantelgesteine wurden durch die "Akkretion", dem Zusammenballen der
Materie, und der Wärme aus dem Zerfall radioaktiver Elemente immer heißer, so
dass eine Trennung von Metall und Silikat im Inneren der Erde innerhalb von
einigen Zehnermillionen Jahren stattfinden konnte.
In diesem Stadium wurde die Erde von einem vielleicht marsgroßen
Protoplaneten getroffen, der unter dem Namen Theia in der Sonnensystemforschung
kursiert; Theia ist in der griechischen Mythologie eine der Titaninnen und die
Mutter der Mondgöttin Selene. In der Frühzeit des Sonnensystems dürften
zahlreiche Körper dieser Art existiert haben: Zum Teil wurden sie aus dem
Sonnensystem hinausgeschleudert, oder aber sie wurden durch Kollisionen mit
anderen Körpern zerstört. Theia indes traf die Erde mit voller Wucht und
schleuderte so viel Material aus dem Erdmantel, dass sich daraus der Mond formen
konnte. Bei diesem heftigen Aufprall bildete sich auf der frühen Erde ein
Magmaozean aus glühend heißem, geschmolzenen Gestein von mehreren tausend
Kilometer Tiefe.
Von Theia gibt es nach dieser gewaltigen Kollision heute keine Spuren mehr,
die man nachweisen könnte. Um die bei diesem Ereignis ausgelöste Entstehung des
Mondes nachvollziehen zu können, erfordert es einiges an Vorstellungsvermögen
und Phantasie: Die Kollision der beiden Körper verdampfte mit ihrer gewaltigen
Energie auch eine riesige Menge an Gestein aus dem frühen Erdmantel. Es wurde
herausgeschleudert und sammelte sich in einem Ring aus Staub um die Erde, ehe es
sich dort wieder zu Gestein zusammenballte. "Daraus entstand in kurzer Zeit, in
vermutlich nur wenigen tausend Jahren, der Mond", erklärt Professorin Doris
Breuer vom DLR.
Über die Entstehungsgeschichte des Mondes herrscht unter
Wissenschaftlern weitgehend Einigkeit. Allerdings konnten sie bis jetzt die
Entstehung des Mondes nicht genau datieren, da es keine von den Astronauten der
sechs Apollo-Missionen und den drei robotischen sowjetischen Luna-Missionen
zur Erde gebrachten Mondgesteine gibt, die das Entstehungsalter des Erdtrabanten
direkt konservieren. Mithilfe einer neuen, indirekten Methode haben die Forscher
vom DLR und der WWU rekonstruiert, wann der Mond entstanden ist.
"Unsere Berechnungen zeigen, dass dies höchstwahrscheinlich ganz am Ende der
Erdentstehung geschah", schildert Sabrina Schwinger den zeitlichen Ablauf. Nicht
nur die Erde hatte in ihrer frühen Jugend einen Magmaozean. Auch im jungen Mond
konnte sich durch Akkretionsenergie ein Magmaozean entwickeln. Der Mond schmolz
fast vollständig auf und wurde, wie auch die Erde, von einem möglicherweise über
tausend Kilometer tiefen Magmaozean bedeckt. Dieser Magmaozean begann zwar
schnell zu kristallisieren und bildete an der Oberfläche, der "Schnittstelle"
zum kalten Weltall, eine Mondkruste aus aufschwimmenden leichten Kristallen.
Aber unter dieser isolierenden Kruste, die das weitere Abkühlen und
Auskristallisieren des Magmaozeans bremste, blieb der Mond noch lange
geschmolzen. Bisher konnten Wissenschaftler nicht feststellen, wie lange es
dauerte, bis der Magmaozean vollständig kristallisiert war – weshalb sie auch
nicht ausmachen konnten, wann sich der Mond ursprünglich bildete. Für die
Berechnung der Lebensdauer des Magmaozeans des Mondes verwendeten die
Wissenschaftler in ihrer aktuellen Studie ein neues Computermodell, das erstmals
die Vorgänge bei der Kristallisation des Magmaozeans umfassend berücksichtigte.
"Die Ergebnisse des Modells zeigen, dass der Magmaozean des Mondes langlebig
war und es fast 200 Millionen Jahre dauerte, bis er vollständig zu Mantelgestein
auskristallisierte", betont Maxime Maurice. "Die Zeitskala ist viel länger als
in früheren Studien berechnet", ergänzt DLR-Kollege Dr. Nicola Tosi, zweiter
Autor der Studie und Betreuer der Doktorarbeit von Maxime Maurice, deren
Ergebnis in der jetzt vorgestellten Studie zusammengefasst ist. "Ältere Modelle
gingen von einer Kristallisationsdauer von nur 35 Millionen Jahren aus."
Um auch das Alter des Mondes zu bestimmen, mussten die Wissenschaftler noch
einen Schritt weitergehen. Sie berechneten, wie sich die Zusammensetzung der
magnesium- und eisenreichen Silikatmineralien, die sich während der
Kristallisation des Magmaozeans bildeten, mit der Zeit veränderte. Das Ergebnis:
Die Forscher stellten eine kontinuierliche Veränderung der Beschaffenheit des
verbleibenden Magmaozeans im Laufe der fortschreitenden Kristallisation fest.
Diese Erkenntnis ist von Bedeutung, da die Autoren so die Bildung
verschiedener Gesteine vom Mond mit einem bestimmten Stadium in der Entwicklung
seines Magmaozeans in Verbindung bringen konnten. "Durch den Vergleich der
gemessenen Zusammensetzung der Mondgesteine mit der vorhergesagten
Zusammensetzung des Magmaozeans aus unserem Modell konnten wir die Entwicklung
des Ozeans bis zu seinem Ausgangspunkt, dem Entstehungsalter des Mondes,
zurückverfolgen", erklärt DLR-Planetenforscherin Schwinger.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler zeigen, dass der Mond vor 4,425+/-0,025
Milliarden Jahren entstanden ist. Dieses genaue Alter des Mondes stimmt
bemerkenswert gut mit einem zuvor aus dem Verhältnis von irdischen Uran- und
Bleiisotopen bestimmten Alter für die Bildung des metallischen Erdkerns überein,
mit dem die Entstehung des Planeten Erde ihren Abschluss fand. "Es ist das erste
Mal, dass das Alter des Mondes direkt mit einem Ereignis in Verbindung gebracht
werden kann, das ganz am Ende der Erdentstehung passierte, nämlich der
Entstehung des Kerns der Erde", betont Prof. Dr. Thorsten Kleine vom Institut
für Planetologie in Münster.
Über die Studie berichtet das Team in einem Fachartikel, die in der
Zeitschrift Science Advances erschienen ist.
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