Erklärung für ein ungewöhnliches Gravitationswellensignal
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Jena astronews.com
21. November 2022
Forschende aus Jena und Turin haben die Entstehung eines
ungewöhnlichen Gravitationswellensignals rekonstruiert: Das Signal GW190521
könnte aus der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher resultieren, die sich
gegenseitig mit ihrem Gravitationsfeld eingefangen und sich anschließend auf
einer exzentrischen Bahn umeinander bewegt haben.
Numerische Simulation, die die Krümmung der
Raumzeit während der Verschmelzung der beiden
Schwarzen Löcher darstellt.
Bild: AG Bernuzzi / Universität Jena[Großansicht] |
Wenn Schwarze Löcher im Universum aufeinanderprallen, dann beben Raum und
Zeit: Die bei der Verschmelzung freiwerdende Energiemenge ist so groß, dass sie
die Raumzeit in Schwingung versetzt – ähnlich wie Wellen auf einer
Wasseroberfläche. Diese Gravitationswellen breiten sich durch das gesamte
Universum aus und lassen sich auch in Tausenden von Lichtjahren Entfernung noch
messen – so wie am 21. Mai 2019, als die beiden Gravitationswellenobservatorien
LIGO in den USA)und Virgo in Italien ein solches Signal einfingen.
Das nach dem Datum seiner Entdeckung GW190521 benannte
Gravitationswellenereignis hat seither in der Fachwelt für Gesprächsstoff
gesorgt, da es sich von den zuvor gemessenen Signalen deutlich unterscheidet.
Das Signal war zunächst so interpretiert worden, dass es sich bei der Kollision
um zwei Schwarze Löcher handelte, die sich auf nahezu kreisförmigen Bahnen
umeinander bewegen. "Solche binären Systeme können durch eine Reihe
astrophysikalischer Prozesse entstehen", erklärt Prof. Dr. Sebastiano Bernuzzi,
theoretischer Physiker von der Universität Jena. So seien die meisten von LIGO
und Virgo entdeckten Schwarzen Löcher stellaren Ursprungs. "Das heißt, sie sind
die Überreste von massereichen Sternen in Doppelsternsystemen", so Bernuzzi
weiter, der die aktuelle Studie leitete. Solche Schwarzen Löcher umrunden
einander auf quasi kreisförmigen Bahnen, so wie es die ursprünglichen Sterne
zuvor auch schon taten.
"GW190521 verhält sich aber deutlich anders", macht Rossella Gamba deutlich,
die im Jenaer Graduiertenkolleg 2522 promoviert und zu Bernuzzis Team gehört.
"Seine Morphologie und seine explosionsartige Struktur unterscheiden sich extrem
von früheren Beobachtungen." Also machten sich Gamba und ihre Kollegen auf die
Suche nach einer alternativen Erklärung für das außergewöhnliche
Gravitationswellensignal. Mit einer Kombination aus modernsten analytischen
Methoden und numerischen Simulationen auf Supercomputern berechneten sie
unterschiedliche Modelle für die kosmische Kollision.
Sie kamen zu dem Ergebnis, dass diese statt auf einer quasi kreisförmigen auf
einer stark exzentrischen Bahn erfolgt sein musste: Ein Schwarzes Loch bewegt
sich dabei zunächst ungebunden in einer relativ dicht mit Materie gefüllten
Umgebung und kann, sobald es in die Nähe eines anderen Schwarzen Loches gelangt,
von dessen Gravitationsfeld "eingefangen" werden. Auch dies führt zur Entstehung
eines binären Systems, allerdings bewegen sich die beiden Schwarzen Löcher hier
nicht kreisförmig, sondern exzentrisch, in taumelnden Bewegungen umeinander.
"Ein solches Szenario erklärt die Beobachtungen deutlich besser als jede
andere bisher vorgestellte Hypothese. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 1:4300",
sagt Matteo Breschi, Doktorand und Koautor der Studie, der die Infrastruktur für
die Analyse entwickelt hat. Und Postdoktorand Dr. Gregorio Carullo ergänzt:
"Auch wenn wir derzeit noch nicht genau wissen, wie oft solche dynamischen
Begegnungen von Schwarzen Löchern überhaupt vorkommen, rechnen wir nicht damit,
dass sie häufig passieren." Das mache die aktuellen Ergebnisse umso spannender.
Dennoch bedarf es noch weiterer Forschungsarbeit, um die Entstehungsprozesse von
GW190521 zweifelsfrei aufzuklären.
Die Ergebnisse des Teams wurden in der Fachzeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht.
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