Neutronenstern-Paare im Visier
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
10. Mai 2016
Welches Gravitationswellensignal geht von Neutronensternen
aus, die sich in einem Doppelsternsystem umkreisen? Eine möglichst präzise
Antwort auf diese Frage ist wichtig, um solche Signale mithilfe von
Gravitationswellendetektoren aufspüren zu können. Jetzt haben Wissenschaftler ihre
Modelle in einem nicht unwichtigen Punkt noch einmal verbessert.
Gravitationswellen von zwei sich
umkreisenden Neutronensternen.
Bild:
R. Hurt / Caltech-JPL [Großansicht] |
Mit dem ersten Nachweis von Gravitationswellen verschmelzender Schwarzer Löcher,
die im Februar dieses Jahres bekannt gegeben wurde, begann die Ära der
Gravitationswellenastronomie - eine einzigartige Methode zur Erforschung der
gewaltigsten astrophysikalischen Prozesse. Eine vielversprechende Quelle von
Gravitationswellen sind kollidierende Neutronensterne. Sie gehören zu den
exotischsten Objekten im Universum: Bei einem Durchmesser von weniger als 20
Kilometern kann ihre Masse bis zum Doppelten der Sonne betragen.
Der Zustand solch extrem dichter Materie ist schon seit Jahrzehnten ein
ungelöstes Rätsel. Könnten wir in das Innere von Neutronensternen schauen, so
könnten wir die rätselhafte Physik dieser extremen Himmelskörper verstehen.
Gravitationswellen-Astronomie wird das ermöglichen, denn auch beim Verschmelzen
zweier Neutronensterne entstehen Wellen in der Raumzeit. Sie tragen
charakteristische Informationen über die Neutronensterne selbst.
Allerdings sind diese astrophysikalischen Signale schwach im Vergleich zum
Detektorrauschen. Dennoch ist es möglich, mit genauen theoretischen Modellen der
erwarteten Signale die Wellen aus dem Rauschen herauszufiltern und zu
analysieren. Das "Effective One Body-Modell" für Doppelsysteme Schwarzer Löcher,
entwickelt am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam und der
Universität Maryland, war für die Analyse besonders wichtig. Damit optimierten
die Wissenschaftler die statistische Signifikanz des Signals und zogen so den
größtmögliche Erkenntnisgewinn aus dem kürzlich erfolgten erstmaligen direkten
Nachweis von Gravitationswellen mit den LIGO-Detektoren.
Die neue Arbeit erweitert das "Effective One Body-Modell" auf Neutronensterne
und untersucht, wie sich deren physikalisches Verhalten auf die
Gravitationswellen auswirkt. Umkreist ein Neutronenstern ein anderes kompaktes
Objekt – einen zweiten Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch - so wird er
aufgrund der Gezeitenkräfte deformiert. Dieser Effekt erinnert an die
Meeresgezeiten auf der Erde, hier verursacht durch die Anziehung des Mondes. In
ähnlicher Weise verformt sich der Neutronenstern als Reaktion auf seinen
Begleiter.
In mehreren früheren Studien wurde dieser Effekt bereits untersucht. Die
vorliegende Arbeit verbessert die Modellierung der Gezeiteneffekte deutlich,
denn nun werden auch innere Schwingungen des Neutronensterns berücksichtigt.
Diese entstehen, wenn die Gezeitenkraft des Begleiters sich mit einer Frequenz
ändert, die der Eigenfrequenz des Neutronensterns nahekommt. Ein Vergleich: ein
Spielmannszug kann eine Brücke in Schwingungen versetzen, wenn er mit einer
Schrittfrequenz marschiert, die der Eigenfrequenz der Brücke entspricht.
Die Eigenfrequenz von Neutronensternen liegt im kHz-Bereich und wird erreicht,
kurz bevor der Neutronenstern und sein Begleiter verschmelzen. Dann umkreist der
Neutronenstern den zweiten Stern in weniger als einer Millisekunde und mit etwa
der Hälfte der Lichtgeschwindigkeit. Sowohl die Stärke der Deformation als auch
die Eigenfrequenz des Neutronensterns hängen direkt mit den mikrophysikalischen
Eigenschaften der Neutronensternmaterie zusammen. Jede Veränderung durch den
Gezeiteneffekt hinterlässt deutliche Spuren in den Gravitationswellen, die von
dem Doppelsternsystem emittiert werden. So können Gravitationswellen das
exotische Innere der Neutronensterne enthüllen.
"Unser detailliertes Modell zeigt, wie die Wellenformen genau aussehen und
wonach wir in den Daten suchen müssen", sagt Dr. Andrea Taracchini,
Wissenschaftler in der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische
Relativitätstheorie am AEI. "Wir haben unser Modell mit Ergebnissen numerischer
Simulationen von unseren Kooperationspartnern aus den USA und Japan verglichen.
Es stimmt besser mit den numerischen Resultaten überein als Modelle, die die
Eigenfrequenz nicht berücksichtigen."
"Das bedeutet, dass unser Modell echte physikalische Effekte abbildet," sagt Dr.
Tanja Hinderer von der University of Maryland und derzeit langfristig
zu Besuch am AEI. "Zwar bieten numerische Simulationen die realistischsten
Vorhersagen für die Gravitationswellen, sie sind aber zu aufwändig, um genügend
Wellenformen für die Detektoren zu liefern. Das nun entwickelte analytische
Modell kann nicht nur sehr viel mehr Wellenformen generieren, sondern auch
bestimmte Charakteristika der Wellen physikalisch erklären."
Die Suche und Analyse von Gravitationswellen erfordert detaillierte Kenntnisse
über eine enorme Anzahl unterschiedlicher Wellenformen. Es müssen sehr viele
verschiedene Parameterkombinationen – unterschiedliche Zusammensetzungen des
Doppelsternsystems, verschiedene Massenverhältnisse, Eigendrehimpulse und
dynamische Verformungen der Neutronensterne - berechnet werden. Mit dem
entwickelten analytischen Modell können viele tausend Wellenformen innerhalb
kurzer Zeit berechnet werden; mit diesen Schablonen werden dann die Daten der
Gravitationswellendetektoren wissenschaftlich ausgewertet.
Über ihre Studie berichten die Wissenschaftler jetzt in der Zeitschrift
Physical Review Letters.
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