Zweites Gravitationswellen-Signal entdeckt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
16. Juni 2016
Am zweiten Weihnachtstag haben die beiden LIGO-Detektoren in
den USA eine zweite Gravitationswelle gemessen. Das beobachtete Signal stammt
von einem Paar verschmelzender Schwarzer Löcher, die mit rund 14 und acht
Sonnenmassen kleiner als die zuvor entdeckten sind. Mit dem zweiten Fund hat für
die Forscher nun tatsächlich ein neues Zeitalter der
Gravitationswellen-Astronomie begonnen.

Numerische Simulation des
Gravitationswellen-Ereignisses GW151226, das von
einer Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher
erzeugt wurde.
Bild: S.
Ossokine , A. Buonanno (Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik) und das Simulating eXtreme
Spacetime Project (numerisch-relavistische
Simulation), T. Dietrich, R. Haas
(Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik,
wissenschaftliche Visualisierung) [Großansicht] |
Gravitationswellen sind eine der wichtigsten Vorhersagen aus Einsteins
Allgemeiner Relativitätstheorie. Sie wurden erstmals am 14. September 2015 durch
die beiden identischen LIGO-Detektoren direkt nachgewiesen. Die Messung der
zweiten Gravitationswelle auf der Erde wurde gestern offiziell verkündet und von
einem Fachjournal zur Veröffentlichung angenommen.
Das Signal wurde in LIGOs erstem Beobachtungslauf "O1" am 26. Dezember 2015 um
4.38.54 Uhr MEZ von beiden LIGO-Instrumenten gemessen und in der Folge GW151226
genannt. Die Welle erreichte den Detektor in Livingston 1,1 Millisekunden vor
dem in Hanford. Die zweite Beobachtung GW151226 war deutlich schwächer als die
erste GW150914 und war im Rauschen der Detektoren verborgen. Daher war eine
sogenannte "matched-filter-Suche" entscheidend für den Nachweis.
Solche Suchen vergleichen (oder filtern) die Daten mit vielen vorab berechneten
Signalen (oder "templates") um die beste Übereinstimmung (englisch match) zu
finden. Diese "templates" basieren auf den hochpräzisen Wellenformmodellen, die
am AEI entwickelt wurden. Sie ermöglichten dem LIGO-Team den Nachweis, dass das
Signal von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern stammt.
Nach dem Aufspüren enthüllten Folgeanalysen, für die die Hälfte der
Rechenleistung vom AEI bereitgestellt wurde, die astrophysikalischen
Eigenschaften des Doppelsystems aus Schwarzen Löchern. Es besteht aus einem
Schwarzen Loch mit der 14-fachen Masse unserer Sonne und einem weiteren mit acht
Sonnenmassen. Sie verschmolzen in einer Entfernung von rund 1,4 Milliarden
Lichtjahren zur Erde. Die Verschmelzung strahlte das Äquivalent von einer
Sonnenmasse in Gravitationswellen-Energie ab und hinterließ ein rotierendes
Schwarzes Loch mit 21 Sonnenmassen.
Das aus dem Detektorrauschen extrahierte Signal unterscheidet sich deutlich vom
ersten gemessenen Signal. Weil die Massen der Schwarzen Löcher kleiner sind,
wurde das Signal von den Instrumenten über einen längeren Zeitraum (rund eine
Sekunde) gemessen und damit für rund 27 Umrundungen der Schwarzen Löcher vor der
Verschmelzung. (Beim ersten Signal ließen sich nur rund fünf Umrundungen
beobachten. Während dieser Zeit nahm die Frequenz der Gravitationswellen von 35
Hz auf 430 Hz zu. Die Maximalamplitude der relativen Längenänderung durch das
Signal von 3x10-22 ist etwa dreimal schwächer als die des ersten
Signals.
Forschende der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativität am AEI
in Potsdam spielten eine führende Rolle bei der Gestaltung der Matched-Filter-Analysen,
die GW151226 innerhalb einer Minute nach dessen Ankunft auf der Erde aufspürten
und im Folgenden dessen statistische Signifikanz zu mehr als fünf
Standardabweichungen berechneten. Diese Suchen benutzen Wellenformmodelle, die
am AEI in Potsdam und an der University of Maryland entwickelt wurden.
Max-Planck-Forschende stellten Folgeuntersuchungen an und nutzen die Modelle, um
die astrophysikalischen Eigenschaften von GW151226 zu ermitteln. Sie fanden
heraus, dass die einzelnen Schwarzen Löcher deutlicher weniger massereich als
die von GW150914 waren.
"Es ist fabelhaft, dass unsere Wellenformmodelle dieses
schwache, aber so unglaublich wertvolle Gravitationswellen-Signal aus dem
Rauschen extrahiert haben!", sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am AEI in
Potsdam und Professorin an der University of Maryland. "GW1512226 stimmt perfekt
mit unseren theoretischen Vorhersagen dafür überein, wie zwei Schwarze Löcher
einander mehrere Dutzend Mal umrunden und schließlich miteinander verschmelzen.
Bemerkenswerterweise konnten wir außerdem herausfinden, dass mindestens eines
der beiden Schwarzen Löcher sich dreht!"
Max-Planck-Forschende in der "Simulating eXtreme Spacetime"-Arbeitsgemeinschaft
haben außerdem numerisch-relativistische Simulationen von Verschmelzungen
Schwarzer Löcher mit Eigenschaften wie denen von GW151226 berechnet. Diese
stimmten exzellent mit den Wellenformmodellen, die benutzt wurden, um die
astrophysikalischen Eigenschaften der Quelle zu ermitteln, über die gesamte
Signaldauer überein. Dies bestätigt ebenfalls, dass GW151226 von der Kollision
zweier stellarer Schwarzer Löcher im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie
erzeugt wurde.
Mitglieder der Abteilung Beobachtungsbasierte Relativität und Kosmologie am AEI
Hannover entwickelten und implementierten viele der Algorithmen und Software,
die zur Analyse der LIGO-Daten genutzt werden. Diese Methoden kamen
beispielsweise zum Einsatz, um die statistische Signifikanz von GW151226 zu
berechnen und dessen Eigenschaften zu ermitteln. Etwa 50 Prozent der
Datenanalyse wurden auf dem Atlas-Supercomputer der Abteilung durchgeführt.
Atlas ist der weltweit leistungsfähigste zur Graviationswellen-Datenanalyse
konstruierte Computercluster und hat deutlich mehr Rechenleistung als alle
andere Systeme der LIGO- und Virgo-Kollaborationen beigetragen. "Nun müssen auch
Skeptiker zugeben, dass unsere erste Messung kein statistischer Zufall war",
sagt Bruce Allen, Geschäftsführender Direktor des AEI und Honorarprofessor an
der LUH. "Ich bin absolut zuversichtlich, dass wir in den nächsten paar Jahren
Dutzende ähnliche Verschmelzungen Schwarzer Löcher beobachten werden und viel
über das Universum erfahren werden. Ich bin sehr zufrieden, dass die
Datenanalyse-Methoden, die wir in den vergangenen zwanzig Jahren erfunden haben,
genau so gut funktionieren wie wir gehofft hatten."
"Mit dieser zweiten Beobachtung sind wir wirklich auf dem Weg zur echten
Gravitationswellen-Astronomie. Wir können nun anfangen, eine Vielzahl von
Quellen auf der unbekannten dunklen Seite des Universums zu erforschen", sagt
Karsten Danzmann, Direktor am AEI in Hannover und Direktor des Instituts für
Gravitationsphysik der LUH. "Nach so vielen Jahren von Forschung, Entwicklung
und Vorbereitung ist es sehr befriedigend unsere Vision endlich wahr werden zu
sehen."
Der nächste Beobachtungslauf "O2" von Advanced LIGO wird diesen Herbst beginnen
und soll etwa sechs Monate lang dauern. Bis dahin sollen weitere Verbesserungen
in der Detektorempfindlichkeit es LIGO erlauben ein 1,5- bis 2-mal so großes
Volumen des Universums wie bisher zu erreichen. Der Gravitationswellen-Detektor
GEO600 bei Hannover wird ebenfalls an dem Beobachtungslauf teilnehmen. Der Virgo-Detektor
wird voraussichtlich in der zweiten Hälfte von "O2" dazustoßen.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in den Physical Review Letters
erscheinen wird.
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