Neuronales Netz hilft bei Signalanalyse
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut) astronews.com
10. Dezember 2021
Forschende haben ein neuronales Netz darauf trainiert, in
nur wenigen Sekunden die Eigenschaften verschmelzender Schwarzen Löcher anhand
der abgestrahlten Gravitationswellen präzise abzuschätzen. Das Verfahren könnte
künftig bei Verschmelzungen von Neutronenstern auch schnelle
Nachbeobachtungen mit Teleskopen zu ermöglichen.
![Gravitationswellen](../../../bilder/2021/2112-009.jpg)
Künstlerische Darstellung der
Gravitationswellen, die von zwei sich
umkreisenden Schwarzen Löchern ausgehen.
Bild: LIGO / T. Pyle [Großansicht] |
Schwarze Löcher sind eines der größten Rätsel des Universums und extrem
kompakte Objekte. So hat ein Schwarzes Loch von der Masse unserer Sonne nur
einen Radius von drei Kilometern. Schwarze Löcher, die einander umkreisen,
strahlen Gravitationswellen ab – Schwingungen von Raum und Zeit, die Albert
Einstein 1916 vorhergesagt hat. Dadurch wird die Umlaufbahn immer enger und die
Schwarzen Löcher werden immer schneller, bis sie schließlich in einem letzten
Ausbruch von Gravitationswellen miteinander verschmelzen.
Diese Gravitationswellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit durchs Universum
bewegen, werden mit Detektoren in den USA (LIGO) und Italien (Virgo)
nachgewiesen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergleichen die von den
Observatorien gesammelten Daten mit theoretischen Vorhersagen, um so die
Eigenschaften der Quelle abzuschätzen, z. B. wie groß die Schwarzen Löcher sind
und wie schnell sie sich drehen. Derzeit dauert dieses Verfahren mindestens
Stunden, oft sogar Monate.
Ein interdisziplinäres Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Intelligente
Systeme (MPI-IS) in Tübingen und des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut/AEI) in Potsdam nutzt modernste Methoden des
maschinellen Lernens, um diesen Prozess zu beschleunigen. Die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelten einen Algorithmus, der ein
tiefes neuronales Netz verwendet, einen komplexen Computercode, der aus einer
Abfolge einfacherer Operationen aufgebaut ist und der Funktionsweise des
menschlichen Gehirns nachempfunden wurde. Sekundenschnell schließt das System
auf alle Eigenschaften der beiden miteinander verschmelzenden Schwarzen Löcher.
"Unsere Methode kann in wenigen Sekunden sehr genaue Aussagen darüber
treffen, wie groß und schwer die zwei Schwarzen Löcher waren, die bei ihrer
Verschmelzung die Gravitationswellen erzeugt haben. Wie schnell rotieren die
schwarzen Löcher, wie weit sind sie von der Erde entfernt und aus welcher
Richtung kommt die Gravitationswelle? All diese Informationen können wir aus den
Beobachtungsdaten ableiten und darüber hinaus Aussagen über die Genauigkeit
dieser Berechnung treffen", erklärt Maximilian Dax, Doktorand in der Abteilung
für Empirische Inferenz am MPI-IS.
Das Forschungsteam trainierte das neuronale Netz mit vielen Simulationen -
vorausberechnete Gravitationswellen für hypothetische Doppelsysteme von
Schwarzen Löchern kombiniert mit dem Rauschen der Detektoren. Auf diese Weise
lernt das Netzwerk die Zusammenhänge zwischen den gemessenen
Gravitationswellendaten und den Parametern, die das zugrunde liegende System
Schwarzer Löcher charakterisieren.
Es dauerte zehn Tage, bis der Algorithmus namens DINGO (die Abkürzung steht
für "Deep INference for Gravitational-wave Observations") ausgelernt hatte. Dann
war er einsatzbereit: in nur wenigen Sekunden leitete das Netzwerk aus den Daten
neu beobachteter Gravitationswellen die Größe, die Eigendrehimpulse und alle
anderen Parameter ab, die die Schwarzen Löcher beschreiben. Die hochgenaue
Analyse entschlüsselt fast in Echtzeit die Kräuselungen der Raumzeit – das hat
es in dieser Geschwindigkeit und Präzision noch nie gegeben.
"Je weiter wir mit immer empfindlicheren Detektoren ins Weltall blicken,
desto mehr Gravitationswellen werden gemessen. Schnelle Methoden wie die unsere
sind daher unerlässlich, um all diese Daten in angemessener Zeit zu
analysieren", sagt Stephen Green, Wissenschaftler in der Abteilung
Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie am AEI. "DINGO hat den
Vorteil, dass es – einmal trainiert – neue Ereignisse sehr schnell analysieren
kann. Wichtig ist dabei auch, dass es detaillierte Schätzungen der Ungenauigkeit
von Parametern liefert, die in der Vergangenheit mit Methoden des maschinellen
Lernens nur schwer zu ermitteln waren."
Bislang verwenden die Teams der LIGO- und Virgo-Kollaborationen sehr
rechenintensive Algorithmen zur Analyse der Daten. Sie benötigen für die
Interpretation jeder Messung Millionen neuer Simulationen von
Gravitationswellen. Das dauert mehrere Stunden bis Monate - DINGO jedoch ist
weitaus schneller, da das trainierte Netzwerk keine weiteren Simulationen für
die Analyse neuer Beobachtungsdaten benötigt; ein Verfahren, das als
"amortisierte Inferenz" bekannt ist.
Vielversprechend ist die Methode auch für komplexere
Gravitationswellensignale von Kollisionen Schwarzer Löcher, deren Analyse mit
den bislang verfügbaren Algorithmen sehr lange dauert, sowie für zwei
verschmelzende Neutronensterne. Während bei der Kollision von Schwarzen Löchern
Energie ausschließlich in Form von Gravitationswellen freigesetzt wird, senden
verschmelzende Neutronensterne zusätzlich elektromagnetische Strahlung aus. Sie
sind daher auch für herkömmliche Teleskope sichtbar, die möglichst schnell auf
die entsprechende Himmelsregion ausgerichtet werden müssen, um das Ereignis
beobachten zu können. Dazu muss man sehr schnell feststellen, woher die
Gravitationswelle kommt, was durch die neue Methode des maschinellen Lernens
erleichtert wird.
In Zukunft könnten diese Informationen dafür genutzt werden, die Teleskope
rechtzeitig auszurichten, um elektromagnetische Signale von Kollisionen von
Neutronensternen oder eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch zu
beobachten. Alessandra Buonanno, Direktorin am AEI, und Bernhard Schölkopf,
Direktor am MPI-IS, freuen sich auf die nächste Phase ihrer erfolgreichen
Zusammenarbeit. Buonanno erwartet, dass "diese Konzepte in Zukunft eine viel
realistischere Behandlung des Detektorrauschens und der Gravitationssignale
ermöglichen werden, als dies heute mit Standardtechniken möglich ist", und
Schölkopf fügt hinzu: "Solche simulationsbasierten Erkenntnisse unter Verwendung
von maschinellem Lernen könnten wegweisend in vielen Bereichen der Wissenschaft
sein, in denen wir ein komplexes Modell aus verrauschten Beobachtungen ableiten
müssen."
Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift
Physical Review Letters veröffentlicht.
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