Neue Obergrenze für Masse des Neutrinos
Redaktion
/ Pressemitteilung der Karlsruher Institut für Technologie astronews.com
15. April 2025
Welche Masse haben Neutrinos? Die rätselhaften Teilchen sind
von großer Bedeutung für die Physik, aber nur schwer zu fassen. Aus den
aktuellen Daten des internationalen KArlsruhe TRItium Neutrino Experiments
konnte nun eine neue Obergrenze für die Masse des Neutrinos abgeleitet werden.
Neutrinos sind danach mindestens eine Million Mal leichter als Elektronen.

Blick ins Innere
des KATRIN-Hauptspektrometers.
Foto: M.
Zacher / KATRIN Collaboration [Großansicht] |
Neutrinos gehören zu den rätselhaftesten Teilchen des Universums. Sie sind
allgegenwärtig, reagieren aber äußerst selten mit Materie. In der Kosmologie
beeinflussen Neutrinos die Entwicklung großräumiger Strukturen, während sie in
der Teilchenphysik aufgrund ihrer winzigen Masse als Indikatoren für bisher
unbekannte physikalische Prozesse dienen. Die präzise Messung der Neutrinomasse
ist daher essenziell für ein vollständiges Verständnis der fundamentalen Gesetze
der Natur. Genau hier setzt das KATRIN-Experiment mit seinen internationalen
Partnern an.
KATRIN (KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment) nutzt den Beta-Zerfall von
Tritium, einem instabilen Wasserstoffisotop, um mithilfe der Energieverteilung
der entstehenden Elektronen die Neutrinomasse zu messen. Um dies zu erreichen,
sind hochentwickelte technische Komponenten notwendig: Das 70 Meter lange
Experiment beherbergt eine intensive Tritiumquelle sowie ein hochauflösendes
Spektrometer mit einem Durchmesser von zehn Metern. Diese Technologie ermöglicht
eine bislang unerreichte Präzision bei der Messung der Neutrinomasse. Mit den
aktuellen Daten aus dem KATRIN-Experiment konnten die Forschenden für die
Neutrinomasse eine Obergrenze von 0,45 Elektronenvolt/c2 (entspricht
8 x 10-37 Kilogramm) ableiten. Gegenüber den letzten Ergebnissen aus
dem Jahr 2022 konnten sie die Obergrenze damit fast um einen Faktor zwei senken.
Die Qualität der ersten Datensätze seit dem Start der Messungen im Jahr 2019
konnte über die letzten Jahre kontinuierlich verbessert werden. "Wir haben fünf
Kampagnen mit gut 250 Messtagen aus dem Zeitraum von 2019 bis 2021 analysiert –
das entspricht etwa einem Viertel der insgesamt mit KATRIN erwarteten Datennahme",
erklärt Professorin Kathrin Valerius vom Institut für Astroteilchenphysik des
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), eine der beiden Co-Sprecherinnen des
Experiments. "In jeder Messkampagne haben wir dazugelernt und die
experimentellen Bedingungen weiter optimiert", ergänzt Professorin Susanne
Mertens vom Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) und der Technische
Universität München (TUM).
Die Auswertung der komplexen Daten stellte für das internationale
Datenanalyseteam eine Herausforderung dar. "Die Analyse der KATRIN-Daten ist
hochanspruchsvoll, da eine bisher noch nie erreichte Genauigkeit benötigt wird",
betont Dr. Alexey Lokhov vom Institut für Experimentelle Teilchenphysik des KIT,
Co-Analysekoordinator. "Wir benötigen den Einsatz hochmoderner Analysemethoden,
wobei insbesondere Künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle spielt", fügt
Dr. Christoph Wiesinger vom MPIK und der TUM, ebenfalls Co-Analysekoordinator,
hinzu.
"Unsere Messungen zur Neutrinomasse werden noch bis Ende 2025 andauern. Durch
die kontinuierliche Verbesserung des Experiments und der Analyse, sowie durch
eine größere Datenmenge erwarten wir eine noch höhere Sensitivität – und
möglicherweise bahnbrechende neue Erkenntnisse", blickt das KATRIN-Team
optimistisch in die Zukunft. Schon jetzt führt KATRIN das weltweite Feld der
direkten Neutrinomassenmessung an und hat mit den ersten Daten die Ergebnisse
früherer Experimente um das Vierfache übertroffen. Das aktuelle Resultat zeigt,
dass Neutrinos mindestens eine Million Mal leichter sind als Elektronen, die
leichtesten geladenen Elementarteilchen. Diesen enormen Massenunterschied zu
erklären, bleibt eine Herausforderung für die Theoretische Teilchenphysik.
Neben der präzisen Neutrinomassenmessung plant KATRIN bereits die nächste
Phase. Ab 2026 wird ein neues Detektorsystem, TRISTAN, installiert. Dieses
Upgrade des Experiments ermöglicht die Suche nach sogenannten sterilen Neutrinos
im Kiloelektronenvolt/c2-Massenbereich. Sterile Neutrinos sind bisher
hypothetische Elementarteilchen, die nochmals deutlich schwächer interagieren
als die bekannten Neutrinos und geeignete Kandidaten für die Dunkle Materie
sind. Darüber hinaus wird mit KATRIN++ ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm
initiiert, um Konzepte für ein Experiment der nächsten Generation zu erarbeiten,
das eine noch präzisere direkte Messung der Neutrinomasse ermöglichen soll.
An KATRIN arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von über 20
Institutionen aus sieben Ländern mit. Über ihre Studie berichtet das Team in einem Fachartikel, der in
Science erschienen ist.
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