Die Suche nach der Neutrinomasse
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Karlsruher Instituts für Technologie astronews.com
13. März 2017
Die exakte Masse des Neutrinos gehört zu den spannendsten
Fragen der aktuellen Teilchenphysik. Ab Ende dieses Jahres soll in Karlsruhe
dazu die präziseste Waage der Welt ihren Betrieb aufnehmen und fünf Jahre lang
Daten sammeln. Für die weiteren Forschungen auf diesem Gebiet wurden die
Aktivitäten nun in dem internationalen Netzwerk Neutrinomasse gebündelt.
Präzisere Sensoren und Detektoren für
teilchenphysikalische Experimente wie KATRIN sind
das Ziel des internationalen Netzwerks
Neutrinomasse.
Bild: KIT [Großansicht] |
Neutrinos spielen eine wichtige Rolle bei der Untersuchung des Ursprungs der
Materie und bei der Gestaltung der sichtbaren Strukturen im Kosmos. Ihre Masse,
die über eine Milliarde Mal kleiner sein muss als die eines Wasserstoffatoms,
ist ein wichtiger, aber noch ungenau bestimmter Parameter. Um diesen zu messen,
entwickeln Forscher in Karlsruhe und Heidelberg zusammen mit ihren nationalen
und internationalen Partnern extrem präzise Sensoren und Detektoren für
teilchenphysikalische Experimente wie KATRIN und ECHo.
"Wir stellen nun die Weichen, damit Deutschland noch lange ein Mekka der
Neutrinoforschung bleibt", freut sich Guido Drexlin vom KIT, einer der beiden
Sprecher von KATRIN – dem KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment. "Die
Technologien, die von KATRIN und ECHo entwickelt werden, werden von Relevanz
sein für das ganze Forschungsfeld der Teilchenphysik."
"Durch die Zusammenarbeit der Experimente aus Karlsruhe und Heidelberg
erhöhen wir die Schlagkraft und internationale Sichtbarkeit", unterstreicht
Christian Enss von der Universität Heidelberg und Sprecher der
DFG-Forschergruppe ECHo — dem Electron Capture Holmium Experiment. "Die
Sensoren, an denen wir arbeiten, sind für Grundlagenforschung und Anwendung
gleichermaßen interessant, etwa in der Materialanalyse oder Massenspektroskopie
schwerer Biomoleküle."
Um die bestehenden Kontakte zu bündeln und zu intensivieren haben die
Kooperationen nun die Leitlinien der zukünftigen Zusammenarbeit mit einem
Memorandum of Understanding festgelegt. Im nun gegründeten internationalen
Netzwerk Neutrinomasse werden sich rund 230 Wissenschaftler aus Deutschland,
Frankreich, Indien, Russland, der Schweiz, der Slowakei, Spanien, Tschechien,
und den USA einbringen.
Zentrales Ziel ist es, neue Technologien auf den Gebieten der
Sensorentwicklung und Probenaufbereitung zu entwickeln und in gemeinsamen
Experimenten zu testen. Auch Workshops und Nachwuchsförderung soll gemeinsam
abgestimmt werden. Die Leitung des internationalen Netzwerks Neutrinomasse
(Absolute neutrino mass scale from nuclear ß-decay and electron capture) werden
gemeinschaftlich Katrin Valerius, Leiterin der
Helmholtz-Hochschul-Nachwuchsgruppe bei KATRIN, und Loredana Gastaldo,
Sprecherin von ECHo, übernehmen.
Das Experiment ECHo in Heidelberg möchte im nächsten Jahrzehnt die
Neutrinomasse aus dem Elektroneneinfangprozess am Isotop Holmium-163 bestimmen.
Dazu arbeitet die ECHo-Kollaboration an der Herstellung von ultrareinem Holmium
und entwickelt derzeit metallische magnetische Kalorimeter, die sich bei sehr
niedrigen Temperaturen durch hohe Energieauflösung und schnelle Ansprechzeit
auszeichnen. Sie lassen sich gut auf verschiedenste Teilchensorten und
Energiebereiche optimieren und werden über Helium-Verdünnungskryostate auf
wenige Millikelvin gekühlt.
Es verfolgt damit einen komplementären Ansatz zum aktuellen Experiment KATRIN
am KIT. Zahlreiche Technologien und Komponenten spielen bei KATRIN zusammen. Auf
dem 70 Meter langen Weg eines Elektrons durch das gesamte Experiment liegen
supraleitenden Magnete und Kältefallen, gasgefüllte Bereiche und Vakuum, Zonen
mit Temperaturen unter vier Kelvin und mit Raumtemperatur, deren Betrieb optimal
aufeinander abgestimmt werden muss, damit nach einer Flugzeit von wenigen
Millionstel Sekunden Elektronen auf den Detektor treffen.
Der Detektor aus Silizium-Halbleitermaterial besitzt einen Durchmesser von
rund 125 Millimetern und beinhaltet 148 Pixel, die ähnlich einer Dartscheibe
angeordnet sind und damit einen räumlichen "Blick" in die Welt von KATRIN
ermöglichen. Das internationale Experiment KATRIN wird die Neutrinomasse mit
einer Genauigkeit eingrenzen, die mehr als eine ganze Größenordnung besser sein
wird als bislang.
Dazu werden ab dem Jahreswechsel 2017/18 Elektronen aus dem Beta-Zerfall von
Tritium, in dem Neutrinos eine tragende Rolle spielen, in einem 24 Meter langen
Spektrometer exakt vermessen. Erste interessante Ergebnisse zur Neutrinomasse
werden bereits für Mitte 2018 erwartet. Dann wird die Mess-Empfindlichkeit von
KATRIN bereits deutlich besser sein als die von allen anderen Tritiumzerfalls-Experimenten
der letzten 3 Dekaden zusammen. Die endgültige, geplante Sensitivität erreicht
KATRIN aber erst nach fünf Kalenderjahren Messzeit.
Die Technologien für die Zeit danach werden nun im internationalen Netzwerk Neutrinonmasse
zwischen den nordbadischen Standorten Karlsruhe und Heidelberg sowie ihren
nationalen und internationalen Partnern entwickelt. Die nationalen Partner des
Netzwerkes sind die Max-Planck-Institute für Kernphysik, Heidelberg und für
Physik, München, die Universitäten Berlin (HU), Bonn, Dresden, Mainz, Münster,
Türbingen, Wuppertal und die Fachhochschule Fulda.
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