Spätestens seit Juni dieses Jahres weiß man: Neutrinos haben eine Masse.
Dies nämlich ist das Ergebnis einer Gruppe von amerikanischen,
kanadischen und britischen Forschern, die Neutrinos untersuchten, die von
der Sonne kommen. Sie bewiesen dabei, dass sich verschiedene Arten von
Neutrinos ineinander umwandeln können (so genannte Neutrino-Oszillationen)
und dies ist nur möglich, wenn die verschiedenen Neutrinosorten nicht
alle die gleiche Masse haben.
Wie schwer die Neutrinos nun tatsächlich sind, konnten die Forscher mit
ihrem Experiment aber nicht klären. Pionierexperimente der letzten Jahre
an der Universität Mainz (astronews.com berichtete) und am Institut für Nuklearforschung in Troitsk
bei Moskau geben für das Elektron-Neutrino Obergrenzen um 2
Elektronenvolt an. (Zum Vergleich: Das Elektron, das leichteste Bauteil
eines Atoms, ist mit einer Masse von 511 Elektronenvolt 250 mal
schwerer.) Mit dem in Karlsruhe geplanten Experiment KATRIN kann die Neutrinomasse auch
dann noch gemessen werden, wenn sie zehn mal kleiner als die bisherige
Obergrenze ist.
KATRIN nutzt den Effekt, aufgrund dessen der Physiker
Wolfgang Pauli das Neutrino schon 1931 vorhersagte (die erste direkte
Messung gelang erst
1957): Beim Beta-Zerfall in Atomkernen wird ein Neutron in ein Proton und
ein Elektron umgewandelt. Das entstehende Elektron hat aber keine feste
Energie, sondern kann bis zu einer Obergrenze, die der gesamten
freiwerdenden Energie entspricht, beliebige Energien haben. Da beim
Beta-Zerfall eines bestimmten Atoms aber immer die gleiche Gesamtenergie
frei wird, muss ein weiteres Teilchen den Energieunterschied zwischen der
Elektronen- und der Gesamtenergie tragen: das Neutrino. Aus der genauen
Beobachtung des Energiespektrums der Elektronen in der Nähe der
Gesamtenergie kann nun auf die Neutrinomasse geschlossen werden. Wenn das
Neutrino eine Masse hat und damit eine Mindestenergie mit sich trägt,
wird das Spektrum gegenüber einer kontinuierlichen Energieverteilung
modifiziert sein.
Als Beta-Strahler wird KATRIN Tritium verwenden, eine Form von
Wasserstoff, die mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren zerfällt. Beim
Beta-Zerfall von Tritium wird eine Gesamtenergie von 18.600 Elektronenvolt
frei, die sich auf Elektron und Neutrino verteilt. Die Neutrinos sind
nicht nachweisbar. Die Elektronen werden im Herzstück von KATRIN, einem
riesigen elektrostatischen Spektrometer, auf ihre Energie untersucht und
anschließend in einem Halbleiterdetektor nachgewiesen. Das zentrale
Spektrometer wird einen Durchmesser von 7 Metern und eine Länge von 20
Metern haben, die Gesamtlänge des Experiments wird bei 60 Metern liegen.
"Im Forschungszentrum Karlsruhe gibt es ideale Voraussetzungen, um ein
solches Großexperiment durchzuführen", erläutert Johannes Bluemer,
Leiter des Instituts für Kernphysik im Forschungszentrum Karlsruhe und
Professor am Institut für Experimentelle Kernphysik der Universität
Karlsruhe. "Hier steht mit dem Tritium-Labor ein europaweit einzigartiges
Laboratorium für die anspruchsvolle Tritiumhandhabung zur Verfügung.
Außerdem gibt es langjährige Erfahrungen mit Hochvakuum und Kryotechnik
in großen wissenschaftlichen Apparaturen und darüber hinaus das Know-how
und die Infrastruktur für den Bau und Betrieb solcher Anlagen."
Aus
diesem Grund hat sich eine internationale Kollaboration, an der neben
Hochschulen in Karlsruhe, Mainz und Fulda auch Forschungseinrichtungen in
Tschechien (Prag), USA (Seattle) und Russland
(Troitsk) beteiligt sind, für das Forschungszentrum Karlsruhe als
Standort des Experiments entschieden. Weitere internationale
Forschungsinstitute haben schon ihr Interesse an einer Zusammenarbeit
bekundet.