Was wiegt ein Neutrino?
Redaktion / idw / Universität
Münster
astronews.com
12. Juli 2005
Milliarden von Neutrinos durchdringen in jeder Sekunde die Erde, doch welche
Masse diese Teilchen haben, ist bislang nicht bekannt. Das Weltbild der Physik
kommt ohne diese Elementarteilchen allerdings nicht aus. Kein Wunder, dass man
mit viel Energie daran arbeitet, die Neutrinomasse zu bestimmen. Unter anderem
auch an deutschen Universitäten.
Neutrinoquelle Sonne: Pro Quadratzentimeter mehr als 65
Milliarden Neutrinos jede Sekunde. Bild: NSSDC/NASA |
Sie sind nicht zu sehen, sie sind nicht zu messen, doch blieben sie reine
Theorie, das Weltbild der Physiker würde zusammenbrechen. Neutrinos, so vermuten
sie, sind eine Milliarde mal häufiger als alle anderen Teilchen im Universum,
doch ihre Masse ist unbekannt. Um diese herauszufinden, beteiligt sich Prof. Dr.
Christian Weinheimer vom Institut für Kernphysik der Universität Münster an dem
Experiment "Katrin", dem "Karlsruher Tritium Neutrinoexperiment", das von rund
100 Wissenschaftlern aus fünf Ländern am Forschungszentrum Karlsruhe aufgebaut
wird.
Er ist mit seinem Team verantwortlich für Teile der Technologie und der
Kalibrierung des 36 Millionen teuren Experiments, das von ihm und Prof. Dr.
Guido Drexlin vom Institut für Experimentelle Kernphysik der Universität
Karlsruhe geleitet wird.
Insgesamt existieren zwölf fundamentale Elementarteilchen, von denen neun
sehr gut bekannt und beschrieben sind. Dazu gehören beispielsweise die
Elektronen, die die Atomhüllen bilden und Quarks, aus denen der Atomkern
besteht. Auch Neutrinos gehören zu den fundamentalen Bausteinen der Natur.
Nachgewiesen wurden sie erstmals 1957 beim radioaktiven Beta-Zerfall, in der
Fusion der Sonne. Größtenteils kosmischen Ursprungs, wird ihnen eine
grundlegende Rolle bei der Entstehung des Universums zugeschrieben.
"Lange Zeit
ist man davon ausgegangen, dass Neutrinos keine Masse haben", sagt Weinheimer.
"Inzwischen konnte man nachweisen, dass sie sehr wohl ein Gewicht haben." Da
Neutrinos so häufig sind, ist ihre Masse von entscheidender Bedeutung, um zu
verstehen, wie das Universum entstanden ist und was es zusammenhält. "Zwei
Drittel des Universums bestehen aus so genannter Dunkler Energie, rund ein
Drittel aus der so genannten Dunklen Materie, zu denen auch die Neutrinos
gehören. Diese Begriffe liefern im Grunde die Erklärung für bestimmte Phänomene,
doch verstanden haben wir sie deswegen noch lange nicht", so Weinheimer.
Direkt wiegen lassen sich die Neutrinos, die praktisch alles im All ohne
Energieverlust durchdringen, nicht. Bei den bisherigen Experimenten konnte man
durch die Umwandlung von Neutrinos zwar Unterschiede in der Masse feststellen,
aber nicht das absolute Gewicht. Mit "Katrin" soll sich das ändern. Kernstück
des Experiments ist das "beste Elektronenspektrometer" der Welt, das derzeit in
Karlsruhe gebaut und vom Bundesforschungsministerium finanziert wird.
Mit einem
Durchmesser von zehn Metern und einer Gesamtlänge von 23 Metern wird es auch zu
den größten der Welt gehören. "Von der Sonne kommen auf der Erde pro
Quadratzentimeter mehr als 65 Milliarden Neutrinos in der Sekunde an, trotzdem
sind sie nicht zu spüren. Sie durchdringen die Materie und damit auch die
Detektoren", erklärt Weinheimer die Probleme.
Um sie trotzdem nachzuweisen, nutzen die Physiker das Gesetz der
Energieerhaltung: Zerfällt das Wasserstoffisotop Tritium in Elektronen und
Neutrinos, lässt sich die Zerfallsenergie des Elektrons messen. Da man diese gut
kennt, lässt sich durch die Differenz auch die Energie des Neutrinos und damit
dessen Masse bestimmen. Das gasförmige Tritium hat eine Halbwertzeit von zwölf
Jahren. Die Elektronen, die beim Zerfall entstehen, haben eine Energie von
maximal 18600 Elektronenvolt.
Supraleitende Magneten fokussieren die Elektronen
im größten je gebauten Ultrahochvakuumtank und leiten sie zu dem
Elektronenspektrometer. "Magnete benutzen wir, weil die Elektronen sofort an
Energie verlieren würden, wenn sie auf Materie träfen und dadurch das Ergebnis
verfälscht würde", so Weinheimer. Am Ende fliegen die Elektronen durch eine
Gegenspannung. Für jene Elektronen, die sie überwinden, kann nun die
Zerfallsenergie und im Umkehrschluss auch die der Neutrinos bestimmt werden.
Dabei ist extreme Präzision notwendig. Sie zu erreichen, gehört zu den
Grundproblemen des Experiments. "Münster ist dafür verantwortlich, dass das
elektronenmagnetische Design der ganzen Apparatur mit über 30 supraleitenden
Magneten und den zwei Spektrometern stimmt", so Weinheimer. Noch schwieriger ist
es, die immer gleiche Spannung zu halten. Zur Eichung vermessen die münsterschen
Wissenschaftler Elektronen, deren Spannung immer auf dem gleichen Level bleibt.
Kein Voltmesser auf der Welt kann 18.600 Volt messen, deshalb wird am Institut
ein Präzisionsspannungsteiler entwickelt. Die Gefahr, dass der Elektronenstrom
aus dem Tritiumzerfall durch andere Elektronen verunreinigt wird, ist sehr hoch.
Deshalb entwirft Weinheimer mit seiner Gruppe feine Drahtgitter, die das
verhindern sollen. "Wegen der Hochspannung und des Vakuums ist das allerdings
keine triviale Aufgabe", so der Physiker.
Noch wird "Katrin" gebaut, die ersten Messungen sind erst 2008 zu erwarten. Bis
die notwendige Menge an Daten gesammelt ist, werden weitere Jahre vergehen. Was
ein Neutrino wiegt, wird also vermutlich noch einige Zeit im Dunklen bleiben.
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