Neutrinoexperiment auf Europatour
Redaktion / idw / Forschungszentrum
Karlsruhe
astronews.com
10. Oktober 2006
In Karlsruhe wird derzeit ein aufwendiges Experiment
aufgebaut, mit dessen Hilfe die Neutrinomasse mit bislang unerreichter
Genauigkeit gemessen werden soll. Eine Hauptkomponente der Anlage wurde im
bayerischen Deggendorf gebaut und trat nun ihre 8.800 Kilometer lange Reise nach
Karlsruhe an.
Das Hauptspektrometer, Herzstück des Karlsruhe Tritium Neutrino
Experiments KATRIN, in der Montagehalle in Deggendorf.
Foto: Forschungszentrum Karlsruhe |
Am Donnerstag, dem 28. September 2006 begann die zentrale Einheit des
Karlsruher Tritium Neutrino Experiments, das so genannte Hauptspektrometer,
seine 8.800 Kilometer lange Seereise vom bayerischen Deggendorf ins badische
Karlsruhe. Wegen der Dimensionen des Spektrometers mit einer Länge von 24 Metern
und einem Durchmesser von 10 Metern kommt der Landweg nicht in Frage.
So geht das Spektrometer auf eine Reise rund um Europa: Auf der Donau wird es
zum Schwarzen Meer transportiert, dort umgeladen und per Hochseeschiff über
Bosporus, Mittelmeer, Gibraltar, Atlantik und Nordsee nach Antwerpen gebracht.
Nach erneutem Umladen fährt das Spektrometer dann per Rheinschiff nach
Eggenstein-Leopoldshafen. Die größte logistische Herausforderung ist die letzte
Etappe vom Hafen zum Forschungszentrum Karlsruhe mit dem Tieflader. Mitte
Dezember wird der größte Kran Europas dann den 200 Tonnen schweren Behälter in
seine endgültige Position heben.
Im Forschungszentrum Karlsruhe entsteht zurzeit mit KATRIN (KArlsruher
TRItium Neutrino Experiment) die präziseste Waage der Welt für Neutrinos (astronews.com
berichtete). KATRIN nutzt den Effekt, aufgrund dessen der Physiker Wolfgang
Pauli 1930 das Neutrino voraussagte: Beim Beta-Zerfall eines Atomkerns wird
nicht nur ein Neutron in ein Proton umgewandelt und ein Elektron emittiert,
sondern es entsteht auch ein weiteres Teilchen, das Neutrino. Dieses elektrisch
ungeladene und schwer nachweisbare Teilchen trägt einen Teil der beim Zerfall
freiwerdenden Energie fort.
Die kleinstmögliche Energie, die das Neutrino forttragen kann, ist gemäß
Einstein seine Ruhemasse. Die Maximalenergie des emittierten Elektrons
entspricht dann der Zerfallsenergie vermindert durch die Ruhemasse des
Neutrinos. Der Verlauf des Energiespektrums der Elektronen gibt daher Aufschluss
über die Größe der Neutrinomasse. Das ideale Element für die Untersuchungen ist
der Beta-Strahler Tritium, ein Wasserstoffisotop, das mit einer Halbwertszeit
von 12,3 Jahren zerfällt.
KATRIN ist insgesamt 70 Meter lang und besteht aus drei Hauptkomponenten:
Einer hochintensiven Tritium-Quelle zur Erzeugung der Elektronen, einem System
aus zwei Spektrometern zur Bestimmung ihrer Energie sowie einem Detektor für den
Nachweis der Elektronen.
Das Herzstück ist dabei das Hauptspektrometer mit einer Länge von 24 Metern
und einem Durchmesser von 10 Metern. In diesem Spektrometer wird die Energie der
beim Tritiumzerfall entstehenden Elektronen mit bisher unerreichter Genauigkeit
gemessen werden. Hierzu muss der Tank auf eine extrem stabile Hochspannung von
18.600 Volt gelegt werden. Um diesen Messprozess ohne Störungen durchführen zu
können, muss im Spektrometertank ein Ultrahochvakuum (UHV) erzeugt werden. Mit
seiner Oberfläche von mehr als 600 Quadratmetern ist KATRIN der weltweit größte
bisher hergestellte UHV-Tank.
Die Anordnung ist so ausgelegt, dass die bisherige experimentelle
Empfindlichkeit zur Messung der Neutrinomasse um einen Faktor 100 verbessert
wird. KATRIN stößt damit erstmals in den kosmologisch interessanten
Massenbereich vor. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen der Kosmologen und
Teilchenphysiker an KATRIN - ebenso hoch sind aber auch die technologischen
Herausforderungen beim Aufbau der Neutrinowaage.
Das Forschungszentrum Karlsruhe ist als Standort für dieses Experiment ideal
geeignet. Weltweit nur hier sind alle notwendigen fachlichen Voraussetzungen zu
finden: das europaweit einmalige Tritiumlabor Karlsruhe (TLK), Erfahrungen mit
Hochvakuum und Kryotechnik für große wissenschaftliche Apparaturen, Erfahrungen
in der Supraleiterentwicklung, Know-how und Infrastruktur für Bau und Betrieb
solcher Großanlagen und natürlich Exzellenz in Neutrino- und
Astroteilchen-Physik.
Aus diesem Grunde hat sich eine internationale Kollaboration von mehr als 120
Wissenschaftlern, Technikern und Studenten zu einem 'Weltexperiment'
zusammengefunden, an dem praktisch alle auf dem Gebiet der
Neutrinomassenbestimmung engagierten Forschungseinrichtungen beteiligt sind und
ihre spezielle Expertise einbringen. Von deutscher Seite sind beteiligt die
Universitäten Karlsruhe, Münster, Mainz und Bonn sowie die Fachhochschule Fulda.
Sobald der Spektrometertank sein endgültiges "Zuhause" in der KATRIN
Experimentierhalle gefunden hat, beginnt für die Wissenschaftler und Techniker
vor Ort die Arbeit. In Reinraumkleidung werden sie im Innern des Tanks über
einen Zeitraum von mehreren Monaten zusätzliche Komponenten installieren, die
für die Messungen erforderlich sind. Nach Abschluss aller Arbeiten, auch an der Tritiumquelle, wird KATRIN 2009/10
mit den mehrjährigen Messungen beginnen, um endgültig die Frage zu beantworten:
Wie schwer ist ein Neutrino?
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