Uralte Sterne in der dünnen Scheibe der Milchstraße
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam astronews.com
5. August 2024
Mithilfe von maschinellem Lernen ist Forschenden ein neuer
Blick auf die Entstehungsgeschichte unserer Milchstraße gelungen: Die Auswertung
von Daten der Astrometriemission Gaia zeigte, dass sich überraschend
viele alte Sterne auf ähnlichen Bahnen wie unsere Sonne befinden. Damit sind
einige Strukturen der Milchstraße offenbar sehr viel älter als angenommen.
Rotationsbewegung
von jungen (blau), alten (rot) und
sonnenähnlichen Sternen (orange) in der
Milchstraße.
Bild: AIP /
Hintergrund: NASA / JPL-Caltech / R. Hurt (SSC /
Caltech) [Großansicht] |
Unsere Milchstraße besteht aus einem großen Halo, einer zentralen
Ausbuchtung, dem sogenannten Bulge, einem "Balken", einer dicken Scheibe und
einer dünnen Scheibe. Die meisten Sterne befinden sich in der sogenannten dünnen
Scheibe unserer Milchstraße und folgen einer organisierten Rotation um das
galaktische Zentrum. Sterne mittleren Alters, wie unsere 4,6 Milliarden Jahre
alte Sonne, gehören zur dünnen Scheibe, von der man annimmt, dass sie vor etwa
acht bis zehn Milliarden Jahren entstanden ist.
Zu verstehen, wie sich die Milchstraße gebildet hat, ist ein wichtiges Ziel
der "galaktischen Archäologie". Dazu werden detaillierte Karten der Galaxis
benötigt, die das Alter, die chemische Zusammensetzung und die Bewegungen der
Sterne zeigen. Diese Karten, die als chrono-chemo-kinematische Karten bezeichnet
werden, helfen dabei, die Geschichte unserer Galaxie zu verstehen. Die
Erstellung dieser detaillierten Karten ist eine Herausforderung, denn sie
erfordert große Datensätze von Sternen mit genau bekannten Altersangaben.
Ein gängiger Ansatz zur Bewältigung dieser Herausforderung ist die
Untersuchung sehr metallarmer, alter Sterne, die ein Fenster in die Frühzeit der
Milchstraße darstellen. Sehr metallarme Sterne sind als alt bekannt, weil sie zu
den ersten Sternen gehörten, die sich bildeten, als das Universum noch
größtenteils aus Wasserstoff und Helium bestand, bevor viele der schwereren
Elemente durch nachfolgende Generationen von Sternen erzeugt und verteilt
wurden.
Anhand eines Datensatzes der Gaia-Mission der europäischen
Weltraumorganisation ESA untersuchte ein internationales Team unter der Leitung
von Astronomen des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) Sterne in der
Sonnenumgebung, etwa 3200 Lichtjahre um die Sonne. Dabei entdeckten sie eine
überraschende Anzahl sehr alter Sterne in dünnen Scheibenbahnen; die meisten von
ihnen sind älter als zehn Milliarden Jahre, einige sogar älter als 13 Milliarden
Jahre. Diese alten Sterne weisen eine große Bandbreite an
Metallzusammensetzungen auf: einige sind sehr metallarm (wie erwartet), während
andere einen doppelt so hohen Metallgehalt wie unsere viel jüngere Sonne
aufweisen, was darauf hindeutet, dass in der frühen Phase der Entwicklung der
Milchstraße eine rasche Metallanreicherung stattgefunden hat.
"Diese alten Sterne in der Scheibe deuten darauf hin, dass die Bildung der
dünnen Scheibe der Milchstraße viel früher begann als bisher angenommen, etwa
vier bis fünf Milliarden Jahre", erklärt Samir Nepal vom AIP. "Diese Studie
zeigt auch, dass unsere Galaxie in frühen Epochen eine intensive Sternentstehung
hatte, die zu einer sehr schnellen Metallanreicherung in den inneren Regionen
und der Bildung der Scheibe führte. Diese Entdeckung bringt die Zeitspanne der
Scheibenbildung in der Milchstraße in Einklang mit der Zeitspanne von Galaxien
mit hoher Rotverschiebung, die vom James Webb Space Telescope und dem
Atacama-Large-Millimeter-Array-Radioteleskop beobachtet wurden. Die
Ergebnisse zeigen, dass sich kalte Scheiben schon sehr früh in der Geschichte
des Universums bilden und stabilisieren konnten, was neue Erkenntnisse über die
Entwicklung von Galaxien liefert."
"Unsere Studie deutet darauf hin, dass sich die dünne Scheibe der Milchstraße
viel früher gebildet haben könnte, als wir dachten, und dass ihre Entstehung eng
mit der frühen chemischen Anreicherung in den innersten Regionen unserer Galaxie
zusammenhängt", erklärt AIP-Kollegin Cristina Chiappini. "Die Kombination von
Daten aus verschiedenen Quellen und die Anwendung fortschrittlicher maschineller
Lerntechnologien haben es uns ermöglicht, die Zahl der Sterne mit qualitativ
hochwertigen stellaren Parametern zu erhöhen - ein wichtiger Schritt, der unser
Team zu diesen neuen Erkenntnissen geführt hat."
Die Ergebnisse wurden durch die dritte Datenveröffentlichung der Gaia-Mission
ermöglicht. Das Team analysierte die Sternparameter von mehr als 800.000 Sternen
mithilfe einer neuartigen Methode des maschinellen Lernens, die Informationen
aus verschiedenen Datentypen kombiniert, um verbesserte Sternparameter mit hoher
Präzision zu erhalten. Zu diesen präzisen Messungen gehören Schwerkraft,
Temperatur, Metallgehalt, Entfernungen, Kinematik und das Alter der Sterne. In
Zukunft wird ein ähnliches maschinelles Lernverfahren verwendet werden, um
Millionen von Spektren zu analysieren, die im Rahmen der
4MIDABLE-LR-Durchmusterung mit dem Instrument 4-Meter-Multi-Object
Spectroscopic Telescope (4MOST) gesammelt werden, das im Jahr 2025 am
VISTA-Teleskop der ESO seinen Betrieb aufnimmt.
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