Project 8 zur Messung der Neutrinomasse erreicht Meilenstein
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
11. September 2023
Neutrinos sind allgegenwärtige Elementarteilchen, die nur
sehr schwach mit normaler Materie wechselwirken und über die sich daher nur
schwer etwas herausfinden lässt. Die internationale Project-8-Kollaboration ist
mit ihrem neuen Experiment zur Bestimmung der Neutrinomasse nun einen
entscheidenden Schritt vorangekommen.
Blick nach Seattle: Während sich die Mainzer
Project-8-Gruppe auf die Entwicklung atomarer
Quellen konzentriert, wurden in USA bereits erste
Prototypen des Experiments aufgebaut. Das hier
gezeigte Gerät ist das zweite, das die
Kollaboration gebaut hat, und das erste, in dem
Tritium verwendet wird.
Foto: Alec Lindman / Project 8 [Großansicht] |
Das Project-8-Experiment nutzt den Beta-Zerfall von radioaktivem Tritium, um
der Neutrinomasse auf die Spur zu kommen. Tritium ist ein schwerer Verwandter
des Wasserstoffs, ein sogenanntes Isotop. Es ist instabil und besteht aus einem
Proton und zwei Neutronen. Durch Umwandlung eines dieser Neutronen in ein Proton
zerfällt Tritium zu Helium und sendet dabei ein Elektron und ein Antineutrino
aus. "Und nun kommt der Clou", unterstreicht Prof. Dr. Martin Fertl von der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Da Neutrinos und ihre Antiteilchen keine
elektrische Ladung haben, sind sie sehr schwer nachzuweisen. Wir versuchen daher
erst gar nicht, sie aufzuspüren. Stattdessen messen wir die Energie der
entstehenden Elektronen über ihre Umlauffrequenz in einem Magnetfeld. Anhand der
Form des Energiespektrums der Elektronen bestimmen wir dann die Neutrinomasse
beziehungsweise setzen so eine Obergrenze für diese Masse."
Um belastbare Ergebnisse zu erhalten, muss die Energie der Elektronen extrem
präzise gemessen werden. Denn das entstehende (Anti)Neutrino ist unglaublich
leicht, mindestens 500.000 Mal leichter als ein Elektron. "Wenn Neutrinos und
Elektronen gleichzeitig erzeugt werden, hat die Neutrinomasse nur einen winzigen
Einfluss auf die Bewegung des Elektrons. Und diesen kleinen Effekt wollen wir
sehen", erläutert Fertls Kollege Prof. Dr. Sebastian Böser. Die Methode, die das
möglich macht, ist die Cyclotron Radiation Emission Spectroscopy, kurz
CRES. Mit ihr wird die Mikrowellenstrahlung registriert, die von den
entstehenden Elektronen ausgesandt wird, wenn sie in einem Magnetfeld auf eine
Kreisbahn gelenkt werden. Die Frequenz der emittierten Strahlung lässt sich
extrem präzise bestimmen und dann über die Elektronenenergie auf die Masse des
Neutrinos rückschließen.
Damit das funktioniert, hat Dr. Christine Claessens, ehemalige Doktorandin
von Böser und nun Postdoc an der University of Washington in Seattle in
den USA, einen entscheidenden experimentellen Beitrag geleistet: "Im Rahmen
meiner Doktorarbeit habe ich unter anderem ein Ereignis-Detektionssystem,
bestehend aus einem Echtzeit-Trigger und einer Offline-Ereignisrekonstruktion,
entwickelt. Dieses System sucht in dem kontinuierlich digitalisierten und
verarbeiteten Hochfrequenzsignal nach den charakteristischen CRES-Merkmalen. Die
Rekonstruktion der Startfrequenz jedes Elektronenereignisses ermöglicht die
hochpräzise Aufnahme eines Tritium-Zerfallsspektrums."
Auf dieser Grundlage gelang Claessens die Analyse des ersten mit CRES
aufgenommenen Tritium-Spektrums im Hinblick auf systematische Unsicherheiten –
und somit die Berechnung einer ersten Obergrenze für die Neutrinomasse mit
dieser neuen Technologie, die nun Eingang in die neueste Studie gefunden hat.
Dort berichtet die Project-8-Kollaboration konkret von 3770
Tritium-Beta-Zerfallsereignissen, die sie über einen Zeitraum von 82 Tagen in
einer Probenzelle von der Größe einer Erbse registriert hat. Die Probenzelle
wird auf sehr tiefe Temperaturen gekühlt und in ein Magnetfeld gebracht, das die
austretenden Elektronen so lange auf einer Kreisbahn laufen lässt, dass die
Detektoren ein Mikrowellensignal registrieren können.
Entscheidend ist, dass keine falschen Signale oder Hintergrundereignisse
registriert werden, die mit dem echten Signal verwechselt werden könnten oder
dieses überdecken. "Die daraus resultierende erstmalige Bestimmung der
Obergrenze für die Neutrinomasse mit einer rein frequenzbasierten Messtechnik
ist ein sehr vielversprechendes Resultat, da wir Frequenzen heutzutage sehr
genau messen können", so das Fazit von Böser und Fertl.
Nach dem erfolgreichen "Proof of Principle" steht der nächste Schritt an: Für
das finale Experiment brauchen die Forschenden einzelne Tritiumatome, die sie
aus der Spaltung von Tritium-Molekülen erzeugen. Das ist knifflig, da Tritium,
genau wie Wasserstoff, bevorzugt Moleküle bildet. Die Entwicklung einer solchen
Quelle – zunächst für atomaren Wasserstoff und später für atomares Tritium – ist
ein wichtiger Beitrag des Mainzer Teams.
Im Moment arbeitet die Project-8-Kollaboration, an der Mitglieder aus zehn
Forschungseinrichtungen weltweit beteiligt sind, an der Erprobung von Entwürfen
für die Vergrößerung des Experiments von einer erbsengroßen Probenkammer auf
eine tausendmal größere. So sollen noch weit mehr Beta-Zerfallsereignisse
registriert werden. Am Ende eines mehrjährigen Forschungs- und
Entwicklungsprogramms soll das Project-8-Experiment die Empfindlichkeit
bisheriger Experimente – wie des aktuellen KATRIN-Experiments – schließlich
übertreffen und so erstmals einen Wert für die Neutrinomasse ermitteln.
Über die Ergebnisse berichtet die Project-8-Kollaboration in einem
Fachartikel, der in der Zeitschrift Physical Review Letters erschienen
ist.
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