Zahlreiche Planeten ohne Sonnen aufgespürt
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Wien astronews.com
23. Dezember 2021
Bei Beobachtungen in einer der sonnennächsten
Sternentstehungsregionen entdeckte ein internationales Team die bisher größte
Ansammlung von Planeten ohne Sonnen, sogenannte freischwebende Planeten. Die
Menge der nun aufgespürten Welten liefert wichtige Hinweise auf den
Entstehungsprozess dieser Objekte, der bislang unklar war.
Künstlerische Darstellung eines Planeten
ohne Sonne.
Bild: ESO / M. Kornmesser [Großansicht] |
Einzelgänger-Planeten, kurz FFPs vom Englischen "free floating planets", also
Planeten, die keine Sonne umkreisen, geben der Wissenschaft seit Langem Rätsel
um ihre Entstehung auf. Hierbei kommen zwei Möglichkeiten infrage: Sie entstehen
entweder wie Sterne durch den Gravitationskollaps kleiner Gaswolken, oder sie
bilden sich wie Planeten um Sterne, werden dann jedoch aus ihrem Sternsystem
"herausgekickt". Bislang war es schwierig festzustellen, welcher
Entstehungsmechanismus wahrscheinlicher ist, da eine große homogene Probe von
FFPs fehlte.
Um dieses Problem zu lösen, haben Núria Miret Roig vom Institut für
Astrophysik der Universität Wien und ihre Kolleginnen und Kollegen die junge
Upper-Scorpius-Assoziation ins Visier genommen, wo sie nach diesen schwer
fassbaren Planeten suchten. Bei Sternassoziationen handelt es sich um offene
Sternhaufen, in denen die Sterne nicht mehr durch Gravitation aneinander
gebunden sind. "Es ist eine große Herausforderung, FFPs innerhalb eines
Sternhaufens aufzuspüren, ähnlich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen",
erklärt Miret Roig. "Man braucht Augen, die empfindlich genug sind, um die
'Nadeln' zu erkennen. Sterne sind relativ hell und leicht zu erkennen, während
Planeten mehrere tausend Mal schwächer strahlen und nur mit Teleskopen mit
großer Blende und empfindlichen Detektoren entdeckt werden können. Eine weitere
Schwierigkeit besteht darin, die Planeten von der überwältigenden Anzahl von
Feldsternen und Hintergrundgalaxien zu unterscheiden."
Das Team kombinierte eine riesige Menge an Bildern aus öffentlichen,
astronomischen Archiven mit neuen Weitfeldbeobachtungen, die mit den besten
optischen Teleskopen der Welt aufgenommen wurden. Auf diese Weise konnten
winzige Bewegungen, Farben und Helligkeiten von mehreren zehn Millionen Quellen
gemessen werden. Um Sternassoziationen zu identifizieren, analysierte das Team
zuerst Bewegungsmuster, da Objekte aus einer Assoziation aus der gleichen
Gaswolke stammen und daher ähnliche Eigenbewegungen zeigen. Objekte, die nicht
zu der Assoziation gehören, weisen hingegen zufällige Bewegungen auf.
Nach der Identifikation anhand der Bewegungsmuster verfeinerte das Team die
Auswahl anhand von Helligkeit und Farbe: zwei Merkmale, die Planeten von Sternen
und Galaxien unterscheiden. Ein wichtiger Teil der für die Studie verwendeten
Bilder stammt aus dem VISTA Star Formation Atlas (VISIONS), einem
Projekt unter der Leitung von João Alves vom Institut für Astrophysik der
Universität Wien. Darin sind im nahen Infrarotbereich alle nahen
Sternentstehungskomplexe abgebildet, die von der südlichen Hemisphäre aus
erkennbar sind.
Insgesamt untersuchte das Team mehr als 80.000 Weitwinkelaufnahmen, die über
einen Zeitraum von zwanzig Jahren entstanden sind. Gesamt sind das etwa 100
Terabyte an Information. Das Ergebnis: bis zu 170 bislang unbekannte FFPs, die
alle zur Upper-Scorpius-Assoziation gehören. Dies ist die größte Stichprobe von
FFPs in einer einzigen Sternassoziation, zudem verdoppelten die Funde die
Gesamtzahl der bisher bekannten FFPs.
"Die große Anzahl der entdeckten FFPs deutet darauf hin, dass der dynamische
Auswurf von Planetensystemen ein wichtiger Mechanismus für ihre Entstehung ist,
da der Kollaps von Gaswolken nicht zu so vielen FFPs führen würde. Dieses
Ergebnis lässt auf relativ kurze Entstehungszeiträume von Riesenplanetensystemen
im Rahmen von etwa drei bis zehn Millionen Jahren schließen", erklärt Miret
Roig.
Hervé Bouy, Leiter des europäischen Projekts COSMIC-DANCE, in das die Studie
eingebettet ist, betont, dass "die identifizierten FFPs hervorragende Ziele für
Folgestudien sind, insbesondere für die Untersuchung von Planetenatmosphären
ohne blendenden Wirtssterns. Darüber hinaus können wir das Vorhandensein von Gas
und Staub um FFPs untersuchen, um ihren Entstehungsprozess zu beleuchten."
Wenn der Anteil der FFPs im Upper Scorpius ähnlich hoch ist wie in anderen
Sternentstehungsgebieten, könnte es mehrere Milliarden Einzelgänger-Planeten in
der Größe des Jupiters geben, die in der Milchstraße ohne Wirtsstern unterwegs
sind. Bei erdgroßen Planeten könnte die Zahl sogar noch größer sein, da diese
häufiger vorkommen als massereiche Planeten.
Die genaue Anzahl der vom Team entdeckten Einzelgänger-Planeten ist schwer zu
bestimmen, da die Beobachtungen es den Forschenden nicht erlauben, die Massen
der untersuchten Objekte zu messen. Objekte mit einer Masse von mehr als dem
13-fachen der Jupitermasse sind höchstwahrscheinlich keine Planeten. Das Team
hat daher die Massen aufgrund der Helligkeit der Planeten geschätzt, was sehr
fehlerbehaftet ist. Die Zahl der entdeckten Objekte, die die Planetenkriterien
erfüllen, sollte aber zwischen 70 und 170 liegen - auf jeden Fall eine
beachtliche Anzahl.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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