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Erste Nahaufnahmen von der Sonne
Redaktion
/ Pressemitteilung der ESA astronews.com
16. Juli 2020
Die europäische Weltraumagentur ESA hat heute die ersten
Aufnahmen ihrer Sonnensonde Solar Orbiter vorgestellt. Obwohl die
verschiedenen Instrumente an Bord noch gar nicht im Regelbetrieb arbeiten, ist
das Solar-Orbiter-Team von den Daten begeistert. So sind bereits neue
Phänomene auf der Sonne zu erkennen, die eventuell helfen könnten, das Rätsel um
die heiße Sonnenkorona zu lösen.

Ein Detailblick auf die Sonne am 30. Mai
2020 mit dem Extreme Ultraviolet Imager (EUI) von
Solar Orbiter. Zu sehen sind zahlreiche "Mini-Flares",
die den Spitznamen "Lagerfeuer" bekommen haben.
Bild: Solar Orbiter/EUI Team/ESA & NASA; CSL,
IAS, MPS, PMOD/WRC, ROB, UCL/MSSL [Großansicht] |
Laut den verantwortlichen Wissenschaftlern deutet die Beobachtung von
Phänomenen, die vor der Mission nicht im Detail beobachtet werden konnten, auf
das enorme Potenzial von Solar Orbiter hin, der gerade erst seine frühe
Phase der technischen Inbetriebnahme erfolgreich abgeschlossen hat. "Obwohl dies
nur die ersten Bilder sind, können wir bereits interessante neue Phänomene
sehen", erklärt Daniel Müller, ESA-Projektwissenschaftler für Solar Orbiter.
"Wir hatten nicht mit so großartigen Ergebnissen gleich zu Beginn gerechnet. Wir
können auch sehen, wie sich unsere zehn wissenschaftlichen Instrumente ergänzen
und ein ganzheitliches Bild von der Sonne und ihrer Umgebung liefern."
Die am 10. Februar 2020 gestartete Mission ist mit sechs
Fernerkundungsinstrumenten bzw. Teleskopen, die die Sonne und ihre Umgebung
abbilden, sowie mit vier sogenannten In-situ-Instrumenten ausgestattet, die den
Sonnenwind in der Umgebung der Raumsonde messen. Durch den Vergleich der Daten
aus beiden Instrumentengruppen erhoffen sich die Wissenschaftler Einblicke in
die Entstehung des Sonnenwindes, des stetigen Stroms geladener Teilchen, der von
der Sonne ausgeht und das gesamte Sonnensystem beeinflusst. Einzigartig an der
Solar Orbiter-Mission ist, dass bisher keine andere Raumsonde in der
Lage war, Bilder von der Sonnenoberfläche aus einer derart geringen Entfernung
aufzunehmen.
Mit dem Extreme Ultraviolet Imager (EUI) wurden etwa nahe dem ersten
Perihel, dem sonnennächsten Punkt auf der elliptischen Umlaufbahn von Solar
Orbiter, kleine Ausbrüche beobachtet, die die Forschenden "Lagerfeuer"
getauft haben. Zu diesem Zeitpunkt war die Raumsonde nur 77 Millionen Kilometer
von unserem Zentralgestirn entfernt, das entspricht etwa der Hälfte der
Entfernung zwischen Erde und Sonne. "Die 'Lagerfeuer' sind die kleinen
Geschwister der Sonneneruptionen, oder Flares, die wir von Satelliten nahe der
Erde aus beobachten können, nur millionen- oder milliardenfach kleiner", so
David Berghmans vom Königlichen Observatorium von Belgien (ROB), leitender
Wissenschaftler des EUI-Instruments, das hochaufgelöste Bilder der heißen
Sonnenatmosphäre, der so genannten Sonnenkorona, aufnimmt. "Die Sonne mag auf
den ersten Blick ruhig erscheinen, wenn man jedoch genauer hinsieht, erkennen
wir überall diese Miniatur-Flares."
Die Wissenschaftler wissen noch nicht, ob es sich bei den "Lagerfeuern" nur
um winzige Versionen von großen Flares handelt oder ob sie von anderen
Mechanismen angetrieben werden. Es gibt jedoch bereits Theorien, dass diese
Miniatur-Flares zu einem der geheimnisvollsten Phänomene auf der Sonne, der
koronalen Aufheizung, beitragen könnten.
"Diese 'Lagerfeuer' sind für sich genommen völlig unbedeutend, aber wenn man
ihre Gesamtwirkung auf der Sonne betrachtet, könnten sie den Hauptbeitrag zur
Heizung der Sonnenkorona leisten", meint Frédéric Auchère vom Institut
d'Astrophysique Spatiale (IAS)in Frankreich, der Co-Principal Investigator
des EUI. Die Sonnenkorona ist die heiße, äußere Schicht der Sonnenatmosphäre,
die sich über Millionen von Kilometern in den Weltraum erstreckt. Ihre
Temperatur beträgt mehr als eine Million Grad Celsius und ist damit um ein
Vielfaches heißer als die Oberfläche der Sonne, die nur "kühle" 5500 °C misst.
Nach jahrzehntelangen Untersuchungen sind die physikalischen Mechanismen, die
die Korona aufheizen, immer noch nicht vollständig bekannt, aber sie zu
identifizieren gilt als der "heilige Gral" der Sonnenphysik. "Es ist noch zu
früh für definitive Aussagen, aber wir hoffen, dass wir durch die Verbindung
dieser Beobachtungen mit Messungen unserer anderen Instrumente, die den
Sonnenwind erkunden, wenn er die Raumsonde passiert, einige dieser Rätsel lösen
können", so Yannis Zouganelis, stellvertretender ESA-Projektwissenschaftler für
Solar Orbiter.
Das Doppelteleskop PHI (Polarimetric and Helioseismic Imager) ist ein
weiteres Instrument an Bord von Solar Orbiter. Es führt hochauflösende
Messungen der Magnetfeldlinien auf der Oberfläche der Sonne durch. Es soll
aktive Regionen auf der Sonne beobachten, also Gebiete mit besonders starken
Magnetfeldern, die Sonneneruptionen verursachen können.
Bei Sonneneruptionen stößt die Sonne große Mengen energiegeladener Teilchen
aus, die den Sonnenwind verstärken, der ständig von der Sonne ausgesandt wird.
Bei einer Interaktion zwischen diesen Teilchen und dem Magnetfeld der Erde kann
es zu Magnetstürmen kommen, die Strom- und Telekommunikationsnetze auf der Erde
massiv stören können. "Im Moment befinden wir uns in dem Teil des elfjährigen
Sonnenzyklus, in dem die Sonne sehr ruhig ist", erklärt Sami Solanki, Direktor
des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen und leitender
Wissenschaftler des PHI. "Doch da Solar Orbiter in einem anderen Winkel
zur Sonne steht als die Erde, konnten wir bereits jetzt eine aktive Region
sehen, die von der Erde aus nicht beobachtet werden konnte. Das ist ein Novum.
Es ist uns noch nie zuvor gelungen, das Magnetfeld auf der Rückseite der Sonne
zu messen."
Die Magnetogramme, die zeigen, wie die Stärke des solaren Magnetfeldes über
die Sonnenoberfläche hinweg variiert, könnten dann mit den Messungen der
In-situ-Instrumente verglichen werden. "Das PHI-Instrument misst das Magnetfeld
auf der Oberfläche. Wir sehen Strukturen in der Korona der Sonne mithilfe des
EUI, aber wir versuchen auch, auf die Magnetfeldlinien zu schließen, die in den
interplanetaren Raum hinausgehen, wo sich Solar Orbiter befindet", sagt
Jose Carlos del Toro Iniesta vom spanischen Instituto de Astrofísica de
Andalucía, der Co-Principal Investigator des PHI.
Die vier In-situ-Instrumente auf Solar Orbiter charakterisieren dann
die Magnetfeldlinien und den Sonnenwind, wenn er an der Raumsonde vorbeiströmt.
Christopher Owen vom Mullard Space Science Laboratory des
University College London, der leitende Wissenschaftler des Solar Wind
Plasma Analyser (SWA), ergänzt: "Anhand dieser Informationen können wir
abschätzen, wo auf der Sonne ein bestimmter Teil des Sonnenwindes emittiert
wurde, und dann das gesamte Instrumentarium der Mission nutzen, um die in den
verschiedenen Regionen auf der Sonne ablaufenden physikalischen Prozesse, die
zur Entstehung von Sonnenwind führen, aufzudecken und zu verstehen."
„Wir freuen uns alle sehr über diese ersten Aufnahmen – aber sie sind erst
der Anfang", fügt Müller hinzu. "Solar Orbiter befindet sich auf einer
großen Reise durch das innere Sonnensystem und wird der Sonne in weniger als
zwei Jahren noch sehr viel näher kommen. Sein kleinster Sonnenabstand wird 42
Millionen Kilometer betragen, was nur gut einem Viertel der Entfernung zwischen
Sonne und Erde entspricht."
"Die ersten Daten zeigen bereits die Stärke einer erfolgreichen
Zusammenarbeit zwischen den Raumfahrtbehörden und den Nutzen eines vielfältigen
Datensatzes bei der Entschlüsselung der Geheimnisse der Sonne", meint Holly
Gilbert, Direktorin der Abteilung Heliophysik am NASA Goddard Space Flight
Center und NASA-Projektwissenschaftlerin für Solar Orbiter.
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