Den Geheimnissen der Sonne auf der Spur
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
6. Februar 2020
In der Nacht auf Montag soll die Sonnenmission Solar
Orbiter ins All starten. Ausgerüstet mit zehn wissenschaftlichen
Instrumenten wagt sich die Sonde der europäischen Raumfahrtagentur ESA in den
kommenden Jahren bis auf 42 Millionen Kilometer an unser Zentralgestirn heran
und blickt zudem erstmals auf die Pole des Sterns.

Auf Tuchfühlung mit unserem Stern: Am
sonnennächsten Punkt werden Solar Orbiter nur
etwa 42 Millionen Kilometer von der Sonne
trennen.
Bild: ESA/ATG medialab [Großansicht] |
Die Sonne zeigt sich derzeit von ihrer unspektakulären Seite: Nur wenige
Eruptionen schleudern geladene Teilchen und Strahlung ins All, kaum ein Fleck
ist auf der Oberfläche unseres Sterns zu sehen. Diese solare Ödnis ist ein
wiederkehrender Zustand. Im Mittel alle elf Jahre durchläuft der Gasball ein
solches Aktivitätsminimum. Zwischen den Minima hingegen verwandelt sich die
Sonne in einen Hexenkessel: Dann kommt es zu heftigen Gasausbrüchen, die
Strahlungsleistung steigt an, zahlreiche und zum Teil gigantische Flecken
überziehen die Oberfläche.
Warum vollzieht sich dieser markante Wechsel im Mittel alle elf Jahre? Und
warum kommt es immer wieder zu deutlichen Abweichungen von dieser sonst recht
verlässlichen Faustregel? Der Schlüssel zum Verständnis des unruhigen Wesens
unseres Sterns liegt in seinen Magnetfeldern. Sie sind die Ursache für heftige
Eruptionen, für spektakuläre bogenförmige Plasmaflüsse in der Sonnenatmosphäre,
für überraschend hohe Temperaturen in der Korona – den äußeren solaren
Gasschichten – und für alle sichtbaren Strukturen und Muster auf der Oberfläche
(Photosphäre). Und nicht zuletzt für den etwa elfjährigen Sonnenzyklus.
Doch trotz jahrzehntelangen Beobachtungen aus dem Weltraum sind viele
grundsätzliche Fragen noch unbeantwortet: Wie entsteht das Magnetfeld der Sonne
tief in ihrem Innern? Durch welche magnetischen Prozesse gelingt es der Sonne,
die Korona auf unvorstellbare eine Million Grad zu heizen? Und wie katapultiert
sie die Sonnenwindteilchen mit Geschwindigkeiten von teilweise mehr als 700
Kilometern pro Sekunde ins All? Antworten auf diese Fragen soll die Mission
Solar Orbiter finden.
Der Startschuss fällt am kommenden Montag, 10. Februar, um 5.03 Uhr
Mitteleuropäischer Zeit am John F. Kennedy-Weltraumzentrum in Florida. Die
US-amerikanische Raumfahrtagentur NASA ist maßgeblich an der Mission beteiligt
und übernimmt unter anderem den Raketenstart. In den folgenden sieben Jahren
soll Solar Orbiter einen bisher völlig neuen Blick auf unser
Zentralgestirn werfen. Eine Verlängerung um weitere drei Jahre ist bereits
geplant.
Die Besonderheit der Mission ist sozusagen Ansichtssache. Fast alle
Raumsonden, die bisher Messdaten von der Sonne gesammelt haben, flogen in der
Ebene, in der die Erde um die Sonne kreist. Ihnen bot sich somit im Prinzip
derselbe Blick wie allen erdgebundenen Sonnenteleskopen – mitten auf den "Bauch"
der Sonne. Die Pole hingegen lassen sich aus dieser Perspektive nur schlecht
untersuchen, selbst grundlegende Eigenschaften aus diesen Breiten sind noch
unbekannt. Das betrifft etwa die Magnetfelder an der Oberfläche des heißen
Plasmaballs oder seine Rotationsgeschwindigkeit.
"Die Pole sind mehr als ein Detail. Ohne das Puzzlestück, das uns an den
Polen fehlt, lässt sich die Sonne in ihrer Gesamtheit nicht verstehen", sagt
Sami K. Solanki, Direktor am Göttinger Max-Planck-Institut für
Sonnensystemforschung und wissenschaftlicher Leiter des
Solar-Orbiter-Instrumentes PHI (Polarimetric and Helioseismic Imager). In den
kommenden Jahren soll die Raumsonde deshalb die Bahnebene der Erde verlassen.
Den nötigen Schwung dazu erhält sie durch Vorbeiflüge an Erde und Venus. Schritt
für Schritt neigt sich dadurch die Umlaufbahn des Vehikels, bis es nach fünf
Jahren zunächst Regionen von 25 Grad heliografischer Breite überfliegt, nach
zehn Jahren sogar Regionen von 33 Grad.
Zudem sind die Bahnen stark elliptisch geformt: Am sonnenfernsten Punkt
bleibt Solar Orbiter auf Höhe der Umlaufbahn der Erde, am sonnennächsten Punkt
nähert sich die Sonde ihrem Studienobjekt bis auf etwas mehr als ein Viertel des
Abstandes zwischen Sonne und Erde. "So können wir den Sonnenwind ganz in der
Nähe seines Ursprungsorts untersuchen und gleichzeitig im Detail auf die
Prozesse und Vorgänge auf der Sonne und in ihrer Atmosphäre blicken, die diesen
Wind erzeugen", sagt Max-Planck-Wissenschaftler Udo Schühle, der zum
Leitungsteam des Instrumentes EUI (Extreme-Ultraviolet Imager) gehört.
Zu diesem Zweck ist die Raumsonde mit zehn Instrumenten ausgestattet. Vier
davon messen die Eigenschaften des Sonnenwindes. Sechs weitere – darunter EUI –
blicken auf die Sonne selbst, auf ihre sichtbare Oberfläche und auf die
Atmosphäre, die sie umgibt. Noch weiter heran an das Sonnenfeuer wagt sich die
Parker Solar Probe der NASA. Seit 2018 ist die Sonde im All unterwegs
und hält schon jetzt den Rekord für den kürzesten Abstand zum Zentralgestirn. Im
Jahr 2026 werden sogar knapp sechs Millionen Kilometer erreicht. "Beide
Missionen haben verschiedene Zielsetzungen und Stärken", sagt Hardi Peter, der
am Göttinger Institut zum Leitungsteam des Instrumentes SPICE (Spectral Imaging
of the Coronal Environment) zählt. "Die Messdaten ergänzen sich. Und beide Teams
arbeiten deshalb eng zusammen, um etwa gemeinsame Beobachtungskampagnen zu
koordinieren", sagt Peter.
Zwar untersucht Parker Solar Probe den Sonnenwind näher an seinem
Ursprungsort und somit unverfälschter, kann die Sonne selbst jedoch nicht
abbilden. Solar Orbiter hingegen liefert einen umfassenden Blick auf
alle Sonnenschichten. Auf diese Weise kann Solar Orbiter nicht nur die
Sonnenwindteilchen, sondern auch ihre Ursprungsorte in der Korona untersuchen.
Die geladenen Partikel – überwiegend Elektronen, Wasserstoff- und
Heliumatomkerne – strömen bis weit hinter die Umlaufbahn des Neptuns und hüllen
so das gesamte Sonnensystem in ein dünnes Plasma, das uns vom interstellaren
Medium trennt. Dieser gesamte Bereich wird als Heliosphäre bezeichnet.
Einige der Sonnenwindteilchen verlassen den Stern zum Teil mit
Geschwindigkeiten von 750 Kilometern pro Sekunde. Wie ist das möglich? Wie
gelingt es der Sonne, die Teilchen auf solch hohe Geschwindigkeiten zu
beschleunigen? Klar ist, dass magnetische Phänomene eine Rolle spielen. Denn je
nach Aktivität des solaren Gasballs fällt der Teilchenstrom mal stärker, mal
schwächer aus. Besonders schnelle Sonnenwindteilchen treten vor allem im
Aktivitätsminimum auf. Ihr Ausgangspunkt sind dunkle Strukturen in der polnahen
Korona, die Solar Orbiter erstmals genau untersuchen soll.
Doch der einzigartige Blick auf die Sonne hat ihren Preis: Der technische
Aufwand, ein Observatorium in solcher Nähe zu dem Glutball zu betreiben, ist
immens. An der sonnenzugewandten Seite der Sonde werden Temperaturen von mehr
als 500 Grad erwartet. Kein Wunder, dass Solar Orbiter auf dieser Seite
einem fliegenden Schutzschild gleicht. Die Sonnenwind-Instrumente reisen im
Schatten des Hitzeschildes gut geschützt. Die anderen Messgeräte, die freie
Sicht auf die Sonne brauchen, sind ebenfalls hinter dem Hitzeschild angebracht,
verfügen aber über verschließbare Gucklöcher.
Durch solche Öffnungen blicken drei der Instrumente, zu denen das Göttinger
Max-Planck-Institut Hardware beigetragen hat, auf die Korona. Während EUI
(Extreme-Ultraviolet Imager) Aufnahmen dieser äußeren Sonnenatmosphäre im
Sekundentakt liefert, zerlegt SPICE das Licht aus dieser Region in seine
einzelnen Wellenlängen. Der Koronograf Metis schließlich deckt die Sonnenscheibe
ab und kann so auf die Übergangsregion zwischen der Korona und der innersten
Heliosphäre blicken.
Die Korona ist eine Schlüsselregion der Sonnenforschung. Denn auch dort
verbirgt sich ein ungelöstes Rätsel: Mit etwa eine Million Grad ist sie geradezu
unvorstellbar heiß, deutlich heißer als die darunter gelegene Gasschicht mit
etwa 7000 Grad. Verschiedene Erklärungsversuche für dieses "verdrehte"
Temperaturgefälle identifizieren Stoßwellen, magnetohydrodynamische Wellen, lang
gezogene Plasmafinger und andere magnetische Phänomene als Energielieferanten.
Eine umfassende Theorie steht aber noch aus.
Auf und unter die "Haut" der Sonne schaut das Instrument PHI, das unter
Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung entstanden ist. Das
Instrument bestimmt nicht nur Stärke und Richtung der Magnetfelder in der
Photosphäre. Auf indirektem Weg erschließt das Instrument auch tieferliegende
Schichten. Denn die Vorgänge im Innern unseres Sterns führen zu Schwingungen,
die sich an der Oberfläche zeigen, und die PHI messen kann. "Auf diese Weise hat
Solar Orbiter Zugang zu der Region, in der die Magnetfelder der Sonne
vermutlich entstehen", sagt PHI-Projektmanager Joachim Woch.
Dort, an der äußeren Grenze der Strahlungszone, steigen – angetrieben von der
Hitze im Innern des Sterns – gewaltige Ströme elektrisch geladenen Plasmas auf,
kühlen sich ab und sinken wieder in die Tiefe. Durch die Drehung der Sonne
entstehen auf diese Weise in einer Art Dynamoprozess die solaren Magnetfelder.
Von dort werden die magnetischen Strukturen an die sichtbare Oberfläche
geschwemmt, durchbrechen sie, setzen sich bis in die Atmosphäre fort und werden
vom Sonnenwind, dem nie abreißenden solaren Teilchenstrom, bis ans Ende des
Planetensystems getragen. Noch fehlen Puzzleteile, um diese Vorgänge genau zu
verstehen. Einige wichtige davon soll Solar Orbiter liefern.
|