Abreise zum Startplatz steht bevor
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
21. Oktober 2019
Die europäische Sonde Solar Orbiter soll in den
kommenden Jahren den Sonnenwind, also den stetigen Teilchenstrom von der Sonne,
an seinem Ursprungsort untersuchen – und dafür so nah an die Sonne heranfliegen
wie kaum eine Sonde zuvor. Ende des Monats beginnt nun die erste Etappe der
Reise ins All: Die Sonde wird aus Bayern zum Startplatz in Florida gebracht.

Die ESA-Raumsonde Solar Orbiter wird sich
auf etwa 42 Millionen Kilometer an die Sonne
heranwagen.
Bild: ESA / ATG medialab [Großansicht] |
Wenige Monate vor ihrem Start ins All beginnt für die ESA-Raumsonde Solar
Orbiter die letzte Vorbereitungsphase. In den vergangenen Monaten musste
die Sonde in den Laboren der Firma IABG in Ottobrunn unter Beweis stellen, dass
sie den Strapazen einer mehrjährigen Forschungsexpedition zur Sonne gewachsen
ist. Nach erfolgreichem Abschluss aller Tests steht nun Ende Oktober der Umzug
in die USA an. Die NASA unterstützt die überwiegend europäische Mission unter
anderem mit dem Raketenstart aus Cape Canaveral in Florida.
Der Einfluss der Sonne erstreckt sich mehr als 10 Milliarden Kilometer weit
ins All. Bis dorthin, weit jenseits der Umlaufbahn des Neptuns, strömt das
Plasma aus hochenergetischen, geladenen Teilchen, das die Sonne kontinuierlich
ins All schleudert. Die riesige Plasmablase, die so entsteht, bezeichnet man als
Heliosphäre. Sie schirmt unser Sonnensystem vom interstellaren Medium ab, dem
dünnen Plasma zwischen den Sternen und ist unsere kosmische Heimat.
Dennoch sind viele Fragen rund um die Eigenschaften der Heliosphäre noch
immer offen. Während beispielsweise die 1977 gestartete Voyager-Sonde
der NASA Antworten am äußersten Rand des Sonnensystems sucht, liegt das Ziel von
Solar Orbiter in entgegengesetzter Richtung: nah an der Sonne möglichst
dicht am Ursprung des Sonnenwindes. Nur etwa 42 Millionen Kilometer, weniger als
ein Drittel des Abstandes zwischen Erde und Sonne, sollen die Sonde zeitweise
von unserem Zentralgestirn trennen. Allein die NASA-Sonde Parker Solar Probe
hat sich bisher näher an das Sonnenfeuer herangewagt.
"Bis heute ist unklar, wie die Sonne den Sonnenwind ins All beschleunigt und
mit ihm die Heliosphäre erzeugt“, erklärt Prof. Dr. Sami K. Solanki, Direktor am
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) und Leiter des
Wissenschaftlerteams um das Solar Orbiter-Teleskop PHI (Polarimetric
and Helioseismic Imager). Welche Prozesse in den äußeren Schichten und in der
Atmosphäre der Sonne ermöglichen es ihr, durchschnittlich eine Million Tonnen
Masse pro Sekunde mit Geschwindigkeiten von zum Teil mehr als drei Millionen
Kilometern pro Stunde ins All zu katapultieren? Und wie wirkt sich das
wechselhafte Wesen der Sonne auf den Sonnenwind aus?
Einem etwa elfjährigen Zyklus folgend zeigt sich die Sonne mal als ruhiger
Gasball, mal als unberechenbares Feuerwerk aus Teilchen- und
Strahlungsausbrüchen. Um diese Fragen zu klären, braucht es nicht nur einen
Beobachtungsstandort möglichst nah an der Sonne, sondern auch zwei Arten von
Instrumenten. Während vier der zehn Solar Orbiter-Instrumente den
Sonnenwind, der die Raumsonde vor Ort umströmt, direkt untersuchen, blicken
sechs weitere auf seinen Ursprungsort, die äußeren Schichten und die Atmosphäre
der Sonne.
"Nur so lassen sich die Eigenschaften des Sonnenwindes mit den Vorgängen,
durch die er entsteht, in Beziehung setzen", so Dr. Udo Schühle vom MPS, der das
Team um das Solar Orbiter-Instrument EUI (Extreme-Ultraviolett Imager)
mitleitet. Zu den Sonnenspähern unter den Instrumenten zählt auch das
Doppel-Teleskop PHI, das unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut wurde. Es
wird unter anderem die Magnetfelder in den äußeren Schichten der Sonne
vermessen. Während das eine Teilteleskop den gesamten Sonnenball im Auge behält,
blickt das andere auf einzelne Regionen auf der Sonne und kann so am
sonnennächsten Punkt magnetische Strukturen mit einer Größe von nur 200
Kilometern sichtbar machen.
"Die Magnetfelder der Sonne sind der Schlüssel zu ihrem wechselhaften Wesen",
so Solanki. "Nur mit ihrer Hilfe lassen sich die Vorgänge verstehen, die den
Sonnenwind erzeugen und ins All beschleunigen", fügt er hinzu. Zudem gelingt PHI
ein Blick ins Innere – zumindest indirekt. Das Instrument bestimmt, mit welcher
Geschwindigkeit sich das Plasma an der Oberfläche der Sonne auf den Beobachter
zu- oder von ihm wegbewegt. Dies erlaubt Rückschlüsse darauf, wie sich das
Plasma in den tiefer liegenden Schichten der Sonne ausbreitet – und ermöglicht
so Zugang zu den Regionen, in denen die wechselhaften Magnetfelder der Sonne
entstehen.
Zu drei weiteren Solar Orbiter-Instrumenten, die auf die Sonne schauen, trägt
das MPS ebenfalls bei. EUI untersucht die extrem kurzwellige ultraviolette
Strahlung von der Sonne. Diese hat ihren Ursprung in der Korona, der äußeren
Atmosphäre der Sonne, und ermöglicht es, die Feinstruktur dieser Gashülle zu
untersuchen. Ebenfalls auf die Korona richtet sich das Augenmerk von SPICE (Spectral
Imaging of the Coronal Environment). Der Spektrograph spaltet das Licht aus
dieser Region in seine einzelnen Wellenlängen auf und sucht so nach
Informationen über Ursprungsregionen des Sonnenwindes.
Die Verbindung zwischen der Sonnenatmosphäre und der inneren Heliosphäre
stellt Metis her. Der Koronograph macht den Bereich um die Sonne herum, der bis
zu zwei Millionen Kilometer ins All reicht, sichtbar. So lässt sich beobachten,
wie sich die Sonnenwindteilchen ganz am Anfang ihrer langen Reise durchs
Sonnensystem verhalten.
Wie alle Instrumente, die an Bord von Solar Orbiter zur Sonne
blicken, verbergen sich auch diese hinter einem robusten Schutzschild, der das
Innere der Sonde vor der Strahlung und Hitze von der Sonne schützt. Nur durch
kleine "Gucklöcher", deren Türen während der Beobachtungsphasen geöffnet werden,
können die Instrumente herauslugen. Am sonnennächsten Punkt ihrer Flugbahn
erreicht der Hitzeschild Temperaturen von bis zu 500 Grad Celsius.
Der Flug in Richtung Sonne gelingt nur durch mehrfache Vorbeiflüge an der
Erde und der Venus. Auf diese Weise nimmt die Sonde Schwung auf und wird auf
eine stark elliptische Umlaufbahn katapultiert. Den Schub aus diesen Begegnungen
nutzt das Raumschiff zudem, um schrittweise die Ebene, in der die Planeten um
die Sonne kreisen, zu verlassen. Gegen Ende der auf zunächst sieben Jahre
angesetzten Mission steht die Umlaufbahn von Solar Orbiter in einem
Winkel von 24 Grad zu dieser Ebene. Sollte danach eine weitere Verlängerung der
Mission möglich sein, werden sogar 33 Grad erreicht.
"Bisher haben alle Sonnenmissionen ihr Forschungsobjekt innerhalb der
Bahnebene der Erde beobachtet – und der Sonne sozusagen auf den Bauch geschaut",
erklärt MPS-Wissenschaftler Prof. Dr. Hardi Peter, leitendes Mitglied des
SPICE-Teams. Von der Perspektive, die sich erdgebundenen Sonnenteleskopen
bietet, unterscheidet sich dies prinzipiell nicht. Erst Solar Orbiter
gelingt der Perspektivwechsel und mit ihm ein Blick auf die höheren Breiten
unseres Sterns. Dort in den Polregionen strömt der Sonnenwind beständig mit
besonders hoher Geschwindigkeit ins All. Zudem gelten diese Bereiche als
Schlüssel zum Verständnis des solaren Magnetfeldes.
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