Sterne durch Gravitationslinsen wiegen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Heidelberg astronews.com
2. August 2018
Der europäische Astrometriesatellit Gaia misst seit
vier Jahren mit hoher Präzision die Position und Bewegung von Sternen - so
genau, dass sich auch Begegnungen von Sternen am Himmel vorhersagen lassen, die
zu einem Gravitationslinseneffekt führen sollten. Für zwei Sterne wollen dies
Astronomen nun überprüfen und so die Masse der Sterne bestimmen.
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Der Satellit Gaia misst die Position und die
Bewegung von Millionen von Sternen der
Milchstraße.
Bild: ESA/ATG medialab, ESO/S. Brunier
(Hintergrund )[Großansicht] |
Mithilfe der Daten des Astrometriesatelliten Gaia haben Astronomen
der Universität Heidelberg die Bewegung von Millionen von Sternen in der
Milchstraße analysiert. Die Wissenschaftler konnten dabei erstmals mit höchster
Präzision gegenseitige Sternbegegnungen vorhersagen. Hierbei treten
charakteristische Effekte einer sogenannten relativistischen Lichtablenkung auf,
die zur genauen Messung der Masse von Sternen genutzt werden kann.
"Die Sterne der Milchstraße stehen nicht still, sondern bewegen sich relativ
zueinander wie Mücken im Schwarm. Daher kommt es hin und wieder vor, dass sich –
von der Erde aus gesehen – ein Vordergrundstern dicht an einem Stern im
Hintergrund vorbei bewegt. Lichtstrahlen, die vom Hintergrundstern ausgehend auf
dem Weg zu uns den Vordergrundstern passieren, werden dabei durch dessen
Gravitationsfeld um einen winzigen Betrag aus seiner Richtung abgelenkt",
erläutert Prof. Dr. Joachim Wambsganß, Direktor des Astronomischen
Rechen-Instituts (ARI), das zum Zentrum für Astronomie der Universität
Heidelberg (ZAH) gehört.
Durch diesen sogenannten "astrometrischen Gravitationslinseneffekt" ändert
sich die Position dieses Sterns am Himmel um einen winzigen, aber dennoch
messbaren Betrag. Aus dieser Verschiebung und der relativen Position der sich
begegnenden Sterne lässt sich die Masse des Vordergrundsterns ableiten. "Diese
Methode der Massenbestimmung ist auf wenige Prozent genau. Schwierig war bislang
jedoch die Vorhersage, für welches Sternenpaar sich zu welchem Zeitpunkt eine
günstige Begegnung ergibt, denn hierzu muss man die sogenannte Eigenbewegung von
Sternen am Firmament mit höchster Präzision kennen", betont Wambsganß.
Die erforderliche Genauigkeit lieferte jüngst der Astrometriesatellit
Gaia, der bereits seit rund vier Jahren die Position und Eigenbewegung von
rund 1,5 Milliarden Sternen misst. Der umfangreiche Datensatz wurde im April
dieses Jahres veröffentlicht. Diese Daten nutzte Jonas Klüter, Doktorand von
Wambsganß, um in den riesigen Datenmengen genau nach solchen günstigen
Sternbegegnungen zu fahnden. Die Ereignisse sollten dabei nicht in ferner
Zukunft, sondern innerhalb der nächsten 50 Jahre beobachtbar sein. Über diesen
Zeitraum sind mit Gaia zuverlässige Vorhersagen möglich.
Übrig blieben nach der umfangreichen Auswertung rund 70.000 Kandidaten, wobei
nicht für alle eine messbare Verschiebung zu erwarten ist. Für zwei Sterne, die
sich zur Zeit nahe eines Hintergrundsterns befinden, konnten die Wissenschaftler
einen messbaren Effekt voraussagen. Es handelt sich dabei um Luyten 143-23 und
Ross 322, so die Katalog-Namen der beiden Sterne. Sie bewegen sich mit einer
Geschwindigkeit von rund 1600 beziehungsweise 1400 Millibogensekunden pro Jahr
über die Himmelssphäre.
Einer der Sterne, so Jonas Klüter, hat sich den Hintergrundsternen bereits
Anfang Juli dieses Jahres maximal angenähert, bei dem anderen wird das Anfang
August der Fall sein. Durch den Gravitationslinseneffekt führt das zu einer
Verschiebung der Position der Hintergrundsterne um 1,7 beziehungsweise 0,8
Millibogensekunden. Diese Veränderung ist ausschließlich mit den besten
Teleskopen von der Erde aus messbar.
Klüter führt daher eine Beobachtungskampagne unter anderem mit den Teleskopen
der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile durch. Mit ihrer Hilfe verfolgt er
die Annäherung der Sternenpaare und wird - wenn alles läuft wie vorausberechnet
- durch die Messung der Positionsveränderung erstmals die Massen zweier Sternen
mithilfe des Graviationslinseneffekts bestimmen.
Über ihre Auswertung berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics Letters erschienen ist.
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