Inbetriebnahme mit Hindernissen
von Stefan Deiters astronews.com
19. Juni 2014
Die Inbetriebnahme des Astrometrie-Satelliten Gaia
der europäischen Weltraumagentur ESA läuft nicht so glatt, wie sich das die
Astronomen gewünscht hätten. Ein besonderes Problem ist offenbar Streulicht, das
in einem größeren Ausmaß in den Satelliten gelangt, als erwartet worden war. Dies
dürfte die Genauigkeit der Messungen beeinträchtigen.
Gaia soll über
fünf Jahre rund eine Milliarde Sterne erfassen.
Bild: ESA / ATG medialab / ESO / S. Brunier
(Hintergrund) |
Der europäische
Astrometrie-Satellit Gaia war am 19. Dezember 2013
an Bord einer Sojus-Trägerrakete vom europäischen Raumfahrtbahnhof in
Kourou aus gestartet (astronews.com berichtete). Nach einem problemlosen Flug
zum sogenannten Lagrange-Punkt L2, der 1,5 Millionen Kilometer von der Erde
entfernt auf der sonnenabgewandten Seite unseres Planeten liegt, begann man mit
der Überprüfung und Kalibrierung des Satelliten.
Gaia soll mit seinen zwei Teleskopen ständig den Himmel abtasten und
im Verlauf der auf fünf Jahre ausgelegten Mission die Position und Bewegung von etwa einer Milliarde Sternen mit großer
Genauigkeit vermessen. Zudem sind Beobachtungen vorgesehen, die etwas über die
Temperatur, Helligkeit und chemische Zusammensetzung der Sterne verraten. Das Ergebnis soll
die bislang genauste Karte unserer Milchstraße in 3D sein, die den
Wissenschaftlern auch wichtige Informationen über die Geschichte unserer
Heimatgalaxie liefern wird.
Erste Hinweise darauf, dass bei der Inbetriebnahme von Gaia nicht alles so
glatt läuft, wie man beim Gaia-Team gehofft hatte, gab es im April:
Während alle Komponenten, die zum Betrieb des Satelliten nötig waren, die Tests
ohne Probleme durchliefen und auch das Teleskop und die Elektronik wie gehofft
funktionierte, war man mit einer Schwierigkeit konfrontiert, die man so nicht
vorhergesehen hatte: Gaia war am Himmel weniger hell als vorausberechnet. Der
Satellit hat von der Erde aus nur eine Helligkeit von 21 Magnituden und nicht -
wie erhofft - von 18 Magnituden.
Da für die exakte Messung von Sternenpositionen auch die Position des
Satelliten sehr genau bekannt sein muss, sollte Gaia mit einen Netzwerk aus
optischen Teleskopen erfasst werden. Die geringere Helligkeit bedeutete nun
aber, dass der Satellit mit eigentlich vorgesehenen Instrumenten, die einen
Durchmesser von weniger als einen Meter aufweisen, nicht mehr beobachtet werden
kann. Das Problem konnte dadurch umgangen werden, dass man nun größere Instrumente, wie etwa das 2-Meter-Liverpool-Teleskop auf La Palma und
das 2,6 Meter durchmessende VLT Survey Telescope in Chile benutzt.
Als weitaus kritischer erwies sich jedoch ein anderes Problem: Nach dem Start
waren im Vakuum offenbar kleine eingeschlossene Mengen von Wasser verdampft und hatten sich als dünne
Eisschicht auf Teilen der Teleskopspiegel abgesetzt. Damit war
jedoch gerechnet worden, weshalb die Spiegel beheizbar sind. Die durch dieses
Eis anfänglich nur eingeschränkte "Sicht"
ist inzwischen wiederhergestellt.
Doch das war nicht die einzige Schwierigkeit: In die Instrumente des
Satelliten fällt mehr Streulicht, als man erwartet hatte und sorgt so für ein
höheres "Hintergrundrauschen". Dieses Licht, so eine Vermutung, könnte von
Eisablagerungen an der Ummantelung der Satelliten-Nutzlast stammen. Diese kann,
anders als der Spiegel, nicht geheizt werden. Allerdings ergaben Tests in Laboratorien der ESA keinen schlüssigen Beweis dafür, dass
Eisablagerungen tatsächlich für dieses zusätzliche Streulicht verantwortlich
sind.
Das Gaia-Team stellt sich daher darauf ein, dass das zusätzliche
Hintergrundrauschen nicht zu eliminieren sein wird und plant, die
Beobachtungsstrategie und auch die Software zur Auswertung der Daten
entsprechend anzupassen. Ganz beseitigen lässt sich dadurch der Effekt des
Streulichts aber wahrscheinlich nicht.
Die Genauigkeit der Positionsmessungen, so ergab eine erste Analyse, die die ESA zu
Beginn der Woche auf ihrer Webseite vorstellte, dürfte sich insbesondere für
lichtschwache Sterne deutlich verringern: So ist, nach gegenwärtigem Stand, für
sonnenähnliche Sterne 20. Größenklasse eine Verringerung der Genauigkeit um
ungefähr 50 Prozent - von 290 Mikrobogensekunden auf 430 Mikrobogensekunden - zu
erwarten. Für hellere Sterne ist der Effekt geringer, bei Sternen ab etwa 15.
Größenklasse sollte das Streulicht keinen Einfluss mehr haben.
Entscheidend sei dabei, so heißt es auf der Gaia-Webseite der ESA,
dass zum Erreichen zahlreicher wissenschaftlicher Ziele der Gaia-Mission gerade
die relativ hellen Sterne von Bedeutung sind, und die erreichbare Genauigkeit
hier noch immer mehr als ausreichend ist. Auch wird sich die Gesamtzahl der
vermessenen Sterne durch das Problem nicht ändern.
Auf andere Messungen hat das Streulicht unterschiedlich starken Einfluss,
betrifft aber auch hier hauptsächlich die sehr lichtschwachen Sterne. Das Gaia-Team
ist noch dabei, alle inzwischen vorhandenen Daten auszuwerten. Zudem sollen in
Kürze einen Monat lang normale wissenschaftliche Beobachtungen durchgeführt
werden, deren Analyse weitere Informationen über die möglichen
Beeinträchtigungen durch das Streulicht liefern dürfte.
Das Fazit des Gaia-Teams auf der Webseite lautet daher: "Zwar dürfte es im Vergleich zu den
vor dem Start erwarteten Werten einige Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit
von Gaia geben, doch wissen wir schon jetzt, dass der wissenschaftliche
Nutzen der Mission noch immer gewaltig sein und beispielsweise unser Verständnis
von der Entstehung und Entwicklung der Milchstraße revolutionieren wird."
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