Daten zu 1,69 Milliarden Sternen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie und des
Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam astronews.com
25. April 2018
Viele Astronomen dürften jetzt erst einmal für einige Zeit
beschäftigt sein: Mit der heutigen zweiten Datenveröffentlichung der ESA-Astrometriemission
Gaia stehen den Forschern nun nicht nur Positionen und Helligkeiten von 1,7
Milliarden Sternen zur Verfügung, sondern auch zahlreiche andere Daten, die mehr
über die Sterne der Milchstraße verraten - und nicht nur über die.
Gaia-Aufnahme unserer Milchstraße und
benachbarter Galaxien, basierend auf Messungen
von fast 1,7 Milliarden Sternen.
Bild: ESA/Gaia/DPAC [Großansicht] |
Nach 22 Monaten Beobachtung erfolgte heute die mit Spannung erwartete zweite
Datenveröffentlichung der Gaia-Mission. Diese enthält Positionen und
Helligkeiten von 1.692.919.135 Sternen sowie Messungen der Parallaxen und
Eigenbewegungen von 1.331.909.727 Sternen am Himmel. Als Parallaxe bezeichnet
man die kleine Bewegung in der scheinbaren Position eines Sterns, die durch die
jährliche Umlaufbahn der Erde um die Sonne verursacht wird und von ihrer
Entfernung zu uns abhängt. Die Eigenbewegung entsteht durch den Lauf eines
Sterns durch die Galaxie.
Die jetzt veröffentlichten Daten enthalten mehr astrometrische Informationen
als jeder andere Katalog und stellen eine immense Weiterentwicklung in Bezug auf
die erste Datenveröffentlichung der Mission dar. Zum ersten Mal enthält der
Gaia-Katalog zudem auch hochgenaue Photometrie in drei
Wellenlängenbereichen, Radialgeschwindigkeiten und stellare atmosphärische
Parameter. Mittels dieser Beobachtungsdaten erstellt die Gaia-Mission eine
präzise 3D-Karte der Milchstraße mit Positionen und Geschwindigkeiten.
"Gaia stellt einen bedeutenden Fortschritt für unser Verständnis des
Kosmos dar. Es gibt kaum einen Bereich in der Astronomie, der sich durch diesen
neuen galaktischen Zensus nicht grundlegend verändern wird", unterstreicht
Matthias Steinmetz, der verantwortliche Wissenschaftler von Gaia am
Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP). Das Institut hat mit
Software-Modulen zur ersten Validierung und Hintergrundkorrektur der Daten des
Radialgeschwindigkeitsspektrometers beigetragen. Zudem ist das AIP eines der
offiziellen Gaia Partner Data Center, die das komplette Gaia
Datenarchiv bereitstellen.
An der Auswertung der Daten und der Generierung von für die Wissenschaft
nutzbaren Datenkatalogen sind mehrere Institute beteiligt. Forscher des
Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg haben beispielsweise aus den
Messungen von Gaia die physikalischen Eigenschaften von fast 80
Millionen Sternen abgeleitet und damit die bisher größte Sterndurchmusterung
durchgeführt. Gleichzeitig liefert ihre Analyse die bisher detaillierteste
dreidimensionale Staubkarte unserer Heimatgalaxie und damit Einsichten in die
Stern- und Planetenentstehung.
Coryn Bailer-Jones vom Max-Planck-Institut für Astronomie und seine Kollegen
sind Experten in der Ableitung astrophysikalischer Größen aus den Gaia-Daten.
Aus den Helligkeitsmessungen konnten sie die effektive Temperatur für 161
Millionen der von Gaia beobachteten Sterne berechnen und die
Leuchtkraft (d.h. die Menge der pro Zeiteinheit emittierten Energie) und den
Radius für 77 Millionen dieser Sterne bestimmen. Dies ist der bisher größte
einheitliche Satz von physikalischen Eigenschaften für Sterne.
Die Astronomen haben aus ihrer Analyse auch Informationen über den
Staubgehalt unserer kosmischen Nachbarschaft gewinnen können. Der Raum zwischen
den Sternen ist nicht leer, sondern mit Staub und Gaswolken gefüllt. Wandert das
Sternenlicht durch eine Staubwolke, dann wird ein Teil des Lichts gestreut, und
wenn wir einen Stern durch eine Staubwolke beobachten, erscheint er daher etwas
dunkler als ohne den Staub. Dieser Effekt heißt Extinktion.
Die Helligkeitsänderung hängt von den unterschiedlichen Wellenlängen – den
verschiedenen Farben – des Lichts ab: Licht mit kürzeren Wellenlängen (gegen das
blaue Ende des Spektrums) wird stärker gestreut als Licht mit längeren
Wellenlängen (rotes Ende des Spektrums). Diese charakteristische
Wellenlängenabhängigkeit erlaubt es den Astronomen, das die Stärke der
Extinktion zu rekonstruieren. Für 88 Millionen Sterne bestimmten die Astronomen
die Extinktion und die physikalischen Eigenschaften. Zusammen mit den
dreidimensionalen Positionen der betreffenden Sterne, die aus Gaias
astrometrischen Messungen bekannt sind, bieten diese Extinktionswerte genügend
Information, um eine dreidimensionale Karte der Staubverteilung innerhalb
unserer Galaxie zu erstellen.
In der heutigen Datenveröffentlichung finden sich auch die Positionen von
über 14.000 Asteroiden im Sonnensystem und von einer halben Millionen Quasaren.
Weitaus mehr Daten sind angekündigt. Die dritte Datenveröffentlichung ist für
Ende 2020 geplant, die nächste dann für Ende 2022.
Gaia ist eine der wichtigsten Missionen im Wissenschaftsprogramm der
Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Gaia startete im Dezember 2013
ins All und erreichte wenige Wochen später ihr Ziel, den zweiten Lagrange-Punkt
des Sonne-Erde-Mond-Systems. Gaia misst Sterne in unserer Milchstraße und
Nachbargalaxien mit einer bisher unerreichten Genauigkeit. Die erste
Datenveröffentlichung im September 2016 basierte auf Beobachtungen aus einem
Zeitraum von 14 Monaten und beinhaltete die Koordinaten von 1,1 Milliarden
Sternen, aber nur zwei Millionen Parallaxen und Eigenbewegungen sowie keine
Photometrie, Radialgeschwindigkeiten oder Sternparameter.
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