Neue Experimente für AstroAlex & Co
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
3. Juli 2018
Mit einem Dragon-Raumfrachter sind gestern weitere
Experimente für die horizons-Mission des deutschen ESA-Astronauten
Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS eingetroffen. Darunter
war auch ein neuer "Kollege" für die Besatzung der ISS: das Assistenzsystem
CIMON. Es soll in den kommenden Monaten erstmals im All getestet werden.
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Fotomontage von CIMON in einem Nachbau des
Columbus-Weltraumlabors.
Bild: DLR/T. Bourry/ESA [Großansicht] |
Ein neuer "Cyberkollege" für den deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst
ist gestern an Bord eines Dragon-Raumfrachters auf der Internationalen
Raumstation ISS eingetroffen: der Technologie-Demonstrator CIMON. Außerdem waren
sechs weitere vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemanagte
Experimente für die horizons-Mission an Bord der Dragon - ein neues
Erdbeobachtungsinstrument, Experimente zur Zell- und Materialforschung sowie
zwei Studentenexperimente.
CIMON ist ein innovatives Assistenzsystem für Astronauten, eine
Technologie-Demonstration, die mit einer Künstlichen Intelligenz (KI)
ausgestattet ist und autonom agieren soll. CIMON ist darauf ausgelegt, mit
seinen Kameras, Sensoren, Mikrofonen und Prozessoren nicht nur zu "sehen", zu
"hören", zu "verstehen" und zu "sprechen", sondern auch vielfältige
Informationen sowie Experiment- und Reparaturanleitungen darzustellen und zu
erklären. Auch für einfache Routinearbeiten wie das Dokumentieren von
Experimenten oder die Suche nach Objekten ist CIMON vorgesehen.
Der Assistent ist sprachgesteuert, der Astronaut kann also mit seinen Händen
Arbeiten verrichten, während er auf die Dienste des "Cyberkollegen" zugreift.
Für Beweglichkeit in alle Richtungen sorgen zwölf interne Ventilatoren, CIMON
kann so frei fliegen und Rotationsbewegungen wie etwa Nicken oder Kopfschütteln
ausführen. Auf der horizons-Mission wird das System erstmalig
eingesetzt und getestet. Langfristig sollen CIMON und seine Nachfolger aber
nicht nur Astronauten im Weltraum zur Hand gehen, sondern auch in den Bereichen
Medizin und Pflege, Bildung und Mensch-Maschine-Interaktion eingesetzt werden
können.
Das Spektrometer DESIS (DLR Earth Sensing Imaging Spectrometer) - ein System
für Umweltmonitoring und Präzisions-Landwirtschaft - wird künftig von der ISS
ein breites Spektrum an Daten zur Erde senden. Diese Daten ermöglichen es den
Wissenschaftlern, Veränderungen im Ökosystem der Erdoberfläche wahrzunehmen.
Anhand dieser Informationen können sie den Gesundheitszustand von Wäldern oder
landwirtschaftlichen Flächen beurteilen und Ertragsprognosen treffen. Ein
weiterer Zweck von DESIS ist die Sicherung und Verbesserung des weltweiten
Nahrungsmittelanbaus.
An Bord der ISS wird DESIS als erstes Instrument in die MUSES-Plattform für
Erdsensorik integriert werden. Im Vergleich zu ähnlichen Instrumenten, die
bereits auf Erdbeobachtungssatelliten eingesetzt werden, ist DESIS mit seinen
235 Kanälen besonders auf den Bereich des sichtbaren Lichtes bis hin zum nahen
Infrarotspektrum - also im Wellenlängenbereich von 400 bis 1000 Nanometern -
ausgerichtet. Die Pixelauflösung des Instruments beträgt dabei 30 Meter. Anders
als bei konventionellen Instrumenten ermöglicht die spezielle Technik von DESIS
außerdem die Beobachtung der Erdoberfläche aus verschiedenen Blickwinkeln.
Mit dem Experiment FLUMIAS verfügt die ISS nun über ein innovatives
Fluoreszenzmikroskop, das in der Lage ist, Bilder von lebenden Zellen in hoher
Auflösung und in Echtzeit zu erstellen. Damit wird es erstmalig möglich sein,
solche Langzeitbeobachtungen im Weltraum durchzuführen. Während der horizons-Mission
werden Zellskelett und Zellkerne von lebenden Makrophagen, also menschlichen
Immunzellen, untersucht. Dabei wenden Wissenschaftler der Universität Magdeburg
die Live-Cell-Imaging-Methode (Lebend-Zellbeobachtung) an, bei der mithilfe
spezieller Farbstoffe oder fluoreszierender Proteine spezifische Zellstrukturen
sichtbar gemacht werden.
Die extrem präzisen FLUMIAS-Aufnahmen ermöglichen es den Forschern außerdem,
3D-Modelle oder kurze Videos von den Beobachtungen zu erstellen. Ziel der
Forschung ist es, neue Erkenntnisse in den Bereichen von Zell- und
Molekularbiologie sowie der Biomedizin zu gewinnen. Diese sollen langfristig
dazu beitragen, Astronauten bei ihren Aufenthalten im Weltraum gesund zu
erhalten, aber auch generell bei der Therapie von neurodegenerativen sowie
Immun- oder Krebserkrankungen eingesetzt werden.
Welchen Einfluss hat die Schwerkraft auf die Regulation der Gene und die
Funktion von Immunzellen? Diese Frage soll die Experimentserie "Gene Control
Prime" beantworten und nach den genetischen Ursachen von Immunschwäche in
Schwerelosigkeit suchen. Zwei der Schwerpunkte des vom DLR Raumfahrtmanagement
mit Mitteln des BMWi und von der Universität Magdeburg durchgeführten
Experiments sind die Aktivierung und Funktion von den Fresszellen des
Immunsystems, den Makrophagen.
Auf der ISS wollen die Wissenschaftler so die Wirkung der Weltraumbedingungen
auf das menschliche Immunsystem untersuchen. Die Erforschung der molekularen
Mechanismen, die das Immunsystem regulieren, ist nicht nur für zukünftige
Langzeitmissionen von Astronauten von Bedeutung - die Ergebnisse sollen auch
dazu beitragen, die generellen Ursachen von Immunschwäche zu verstehen und neue
Therapien zu entwickeln.
Materie, die aus Granulaten besteht, wie etwa Sand oder Getreide, kann sich
ganz unterschiedlich verhalten. Liegt das Material verdichtet vor, verhält es
sich wie ein Festkörper. So werden verdichtete Schichten aus Sand als Unterlage
beim Straßenbau verwendet. Ist es nicht verdichtet, kann die Materie wie eine
Flüssigkeit geschüttet werden. Die Dynamik und die physikalischen Eigenschaften
granularer Materie sind sehr komplex. Sie können leichter untersucht werden,
wenn die Prozesse nicht durch die Schwerkraft beeinflusst werden.
Für das CompGran-Experiment hat das DLR Raumfahrtmanagement insgesamt vier
Experimentzellen entwickeln lassen. Das Volumen der Experimentzellen kann durch
einen Kolben variiert und damit die Kompaktheit der Granulate variiert werden.
CompGran wird im Labor für Fluidwissenschaften (Fluid Science Lab) im
europäischen Columbus-Modul als Teil der neuen ESA-Experimentanlage
Soft Matter Dynamics installiert. Von den Experimenten erhoffen sich die
Wissenschaftler neue Erkenntnisse zur Dynamik granularer Materie, die mittel-
bis langfristig zur Verbesserung industrieller Prozesse von Schüttgütern wie
Kohlenstaub, Mehl oder Getreide beitragen sollen.
Mit an Bord des Raumfrachters SpaceX-15 waren auch zwei Experimente des
Überflieger-Wettbewerbs des DLR Raumfahrtmanagements und der Deutschen
Physikalischen Gesellschaft (DPG). Von den Ideen, die Studierende deutscher
Hochschulen für ISS-Experimente eingereicht haben, hat eine Expertenjury die
drei besten ausgewählt.
Im Experiment PAPELL (Pump Application using Pulsed Electromagnets for Liquid
relocation) untersuchen Studierende der Universität Stuttgart eine neuartige
Pumpentechnologie. Diese bewegt ein sogenanntes Ferrofluid - eine Flüssigkeit
mit kleinsten magnetischen Partikeln - mit der Hilfe von Elektromagneten. Damit
kommt diese Pumpe ohne bewegliche mechanische Bauteile aus: Hierdurch sollen
Verschleiß, Fehleranfälligkeit und Geräuschentwicklung minimiert werden. In zwei
Unterexperimenten untersucht das Team den Transport der Flüssigkeit sowie von
kleinen Feststoffkügelchen, die sich darin befinden. Für eine solche Pumpe gäbe
es zahlreiche Anwendungen in der Raumfahrt, etwa für die Treibstoffversorgung
von Trägerraketen und Raumfahrzeugen.
Das Experiment ARISE von Studierenden der Universität Duisburg-Essen
beschäftigt sich mit der Entstehung von Planeten. Nach derzeitiger Theorie
stoßen in der frühen Phase der Planetenentstehung mikrometergroße Partikel
zusammen, bleiben aneinander haften und bilden so größere Ansammlungen. Wachsen
diese auf eine Größe von mehreren Millimetern heran, so müssten sie theoretisch
beim Aufprall wie Billardkugeln voneinander abprallen. Wie kann es also sein,
dass trotzdem große Planeten entstehen?
ARISE untersucht dazu die elektrostatische Aufladung der Partikel.
Millimetergroße Glasperlen werden hierfür in einen transparenten Behälter
gefüllt und geschüttelt, so dass sie gegeneinander stoßen. Die dabei
entstehenden elektrostatischen Ladungen und ihr Austausch werden mit Hilfe von
Kameras beobachtet. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich durch die
Wechselkräfte Anhäufungen von Glasperlen bilden und wollen diese Theorie in der
Langzeit-Schwerelosigkeit auf der ISS überprüfen.
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