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Mit einem Dragon-Raumfrachter sind gestern weitere Experimente für die horizons-Mission des deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS eingetroffen. Darunter war auch ein neuer "Kollege" für die Besatzung der ISS: das Assistenzsystem CIMON. Es soll in den kommenden Monaten erstmals im All getestet werden.
Ein neuer "Cyberkollege" für den deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst ist gestern an Bord eines Dragon-Raumfrachters auf der Internationalen Raumstation ISS eingetroffen: der Technologie-Demonstrator CIMON. Außerdem waren sechs weitere vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemanagte Experimente für die horizons-Mission an Bord der Dragon - ein neues Erdbeobachtungsinstrument, Experimente zur Zell- und Materialforschung sowie zwei Studentenexperimente. CIMON ist ein innovatives Assistenzsystem für Astronauten, eine Technologie-Demonstration, die mit einer Künstlichen Intelligenz (KI) ausgestattet ist und autonom agieren soll. CIMON ist darauf ausgelegt, mit seinen Kameras, Sensoren, Mikrofonen und Prozessoren nicht nur zu "sehen", zu "hören", zu "verstehen" und zu "sprechen", sondern auch vielfältige Informationen sowie Experiment- und Reparaturanleitungen darzustellen und zu erklären. Auch für einfache Routinearbeiten wie das Dokumentieren von Experimenten oder die Suche nach Objekten ist CIMON vorgesehen. Der Assistent ist sprachgesteuert, der Astronaut kann also mit seinen Händen Arbeiten verrichten, während er auf die Dienste des "Cyberkollegen" zugreift. Für Beweglichkeit in alle Richtungen sorgen zwölf interne Ventilatoren, CIMON kann so frei fliegen und Rotationsbewegungen wie etwa Nicken oder Kopfschütteln ausführen. Auf der horizons-Mission wird das System erstmalig eingesetzt und getestet. Langfristig sollen CIMON und seine Nachfolger aber nicht nur Astronauten im Weltraum zur Hand gehen, sondern auch in den Bereichen Medizin und Pflege, Bildung und Mensch-Maschine-Interaktion eingesetzt werden können.
Das Spektrometer DESIS (DLR Earth Sensing Imaging Spectrometer) - ein System für Umweltmonitoring und Präzisions-Landwirtschaft - wird künftig von der ISS ein breites Spektrum an Daten zur Erde senden. Diese Daten ermöglichen es den Wissenschaftlern, Veränderungen im Ökosystem der Erdoberfläche wahrzunehmen. Anhand dieser Informationen können sie den Gesundheitszustand von Wäldern oder landwirtschaftlichen Flächen beurteilen und Ertragsprognosen treffen. Ein weiterer Zweck von DESIS ist die Sicherung und Verbesserung des weltweiten Nahrungsmittelanbaus. An Bord der ISS wird DESIS als erstes Instrument in die MUSES-Plattform für Erdsensorik integriert werden. Im Vergleich zu ähnlichen Instrumenten, die bereits auf Erdbeobachtungssatelliten eingesetzt werden, ist DESIS mit seinen 235 Kanälen besonders auf den Bereich des sichtbaren Lichtes bis hin zum nahen Infrarotspektrum - also im Wellenlängenbereich von 400 bis 1000 Nanometern - ausgerichtet. Die Pixelauflösung des Instruments beträgt dabei 30 Meter. Anders als bei konventionellen Instrumenten ermöglicht die spezielle Technik von DESIS außerdem die Beobachtung der Erdoberfläche aus verschiedenen Blickwinkeln. Mit dem Experiment FLUMIAS verfügt die ISS nun über ein innovatives Fluoreszenzmikroskop, das in der Lage ist, Bilder von lebenden Zellen in hoher Auflösung und in Echtzeit zu erstellen. Damit wird es erstmalig möglich sein, solche Langzeitbeobachtungen im Weltraum durchzuführen. Während der horizons-Mission werden Zellskelett und Zellkerne von lebenden Makrophagen, also menschlichen Immunzellen, untersucht. Dabei wenden Wissenschaftler der Universität Magdeburg die Live-Cell-Imaging-Methode (Lebend-Zellbeobachtung) an, bei der mithilfe spezieller Farbstoffe oder fluoreszierender Proteine spezifische Zellstrukturen sichtbar gemacht werden. Die extrem präzisen FLUMIAS-Aufnahmen ermöglichen es den Forschern außerdem, 3D-Modelle oder kurze Videos von den Beobachtungen zu erstellen. Ziel der Forschung ist es, neue Erkenntnisse in den Bereichen von Zell- und Molekularbiologie sowie der Biomedizin zu gewinnen. Diese sollen langfristig dazu beitragen, Astronauten bei ihren Aufenthalten im Weltraum gesund zu erhalten, aber auch generell bei der Therapie von neurodegenerativen sowie Immun- oder Krebserkrankungen eingesetzt werden. Welchen Einfluss hat die Schwerkraft auf die Regulation der Gene und die Funktion von Immunzellen? Diese Frage soll die Experimentserie "Gene Control Prime" beantworten und nach den genetischen Ursachen von Immunschwäche in Schwerelosigkeit suchen. Zwei der Schwerpunkte des vom DLR Raumfahrtmanagement mit Mitteln des BMWi und von der Universität Magdeburg durchgeführten Experiments sind die Aktivierung und Funktion von den Fresszellen des Immunsystems, den Makrophagen. Auf der ISS wollen die Wissenschaftler so die Wirkung der Weltraumbedingungen auf das menschliche Immunsystem untersuchen. Die Erforschung der molekularen Mechanismen, die das Immunsystem regulieren, ist nicht nur für zukünftige Langzeitmissionen von Astronauten von Bedeutung - die Ergebnisse sollen auch dazu beitragen, die generellen Ursachen von Immunschwäche zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln. Materie, die aus Granulaten besteht, wie etwa Sand oder Getreide, kann sich ganz unterschiedlich verhalten. Liegt das Material verdichtet vor, verhält es sich wie ein Festkörper. So werden verdichtete Schichten aus Sand als Unterlage beim Straßenbau verwendet. Ist es nicht verdichtet, kann die Materie wie eine Flüssigkeit geschüttet werden. Die Dynamik und die physikalischen Eigenschaften granularer Materie sind sehr komplex. Sie können leichter untersucht werden, wenn die Prozesse nicht durch die Schwerkraft beeinflusst werden. Für das CompGran-Experiment hat das DLR Raumfahrtmanagement insgesamt vier Experimentzellen entwickeln lassen. Das Volumen der Experimentzellen kann durch einen Kolben variiert und damit die Kompaktheit der Granulate variiert werden. CompGran wird im Labor für Fluidwissenschaften (Fluid Science Lab) im europäischen Columbus-Modul als Teil der neuen ESA-Experimentanlage Soft Matter Dynamics installiert. Von den Experimenten erhoffen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse zur Dynamik granularer Materie, die mittel- bis langfristig zur Verbesserung industrieller Prozesse von Schüttgütern wie Kohlenstaub, Mehl oder Getreide beitragen sollen. Mit an Bord des Raumfrachters SpaceX-15 waren auch zwei Experimente des Überflieger-Wettbewerbs des DLR Raumfahrtmanagements und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Von den Ideen, die Studierende deutscher Hochschulen für ISS-Experimente eingereicht haben, hat eine Expertenjury die drei besten ausgewählt. Im Experiment PAPELL (Pump Application using Pulsed Electromagnets for Liquid relocation) untersuchen Studierende der Universität Stuttgart eine neuartige Pumpentechnologie. Diese bewegt ein sogenanntes Ferrofluid - eine Flüssigkeit mit kleinsten magnetischen Partikeln - mit der Hilfe von Elektromagneten. Damit kommt diese Pumpe ohne bewegliche mechanische Bauteile aus: Hierdurch sollen Verschleiß, Fehleranfälligkeit und Geräuschentwicklung minimiert werden. In zwei Unterexperimenten untersucht das Team den Transport der Flüssigkeit sowie von kleinen Feststoffkügelchen, die sich darin befinden. Für eine solche Pumpe gäbe es zahlreiche Anwendungen in der Raumfahrt, etwa für die Treibstoffversorgung von Trägerraketen und Raumfahrzeugen. Das Experiment ARISE von Studierenden der Universität Duisburg-Essen beschäftigt sich mit der Entstehung von Planeten. Nach derzeitiger Theorie stoßen in der frühen Phase der Planetenentstehung mikrometergroße Partikel zusammen, bleiben aneinander haften und bilden so größere Ansammlungen. Wachsen diese auf eine Größe von mehreren Millimetern heran, so müssten sie theoretisch beim Aufprall wie Billardkugeln voneinander abprallen. Wie kann es also sein, dass trotzdem große Planeten entstehen? ARISE untersucht dazu die elektrostatische Aufladung der Partikel. Millimetergroße Glasperlen werden hierfür in einen transparenten Behälter gefüllt und geschüttelt, so dass sie gegeneinander stoßen. Die dabei entstehenden elektrostatischen Ladungen und ihr Austausch werden mit Hilfe von Kameras beobachtet. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich durch die Wechselkräfte Anhäufungen von Glasperlen bilden und wollen diese Theorie in der Langzeit-Schwerelosigkeit auf der ISS überprüfen.
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