Neuer Sensor für Teilchenforscher
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Physik astronews.com
9. November 2015
Warum dominiert in unserem Universum die Materie so deutlich
über die Antimaterie? Diese Frage beschäftigt nicht nur Teilchenforscher,
sondern ist auch für das Verständnis der Entwicklung unseres Universums von
großer Bedeutung. Mit einem neuen hochempfindlichen Sensor, der ab 2017 zum
Einsatz kommen soll, hoffen die Wissenschaftler Antworten zu finden.
Jetzt fertiggestellt: Das erste, voll
funktionsfähige Sensormodul des Vertex-Detektors
im Belle II-Experiment.
Bild: L. Andricek, HLL@MPG [Großansicht] |
In München wurde kürzlich ein hochempfindlicher Sensor zur präzisen Vermessung
von Teilchenspuren vorgestellt. Es handelt sich um das erste Modul für den
Vertex-Detektor des Belle II-Experiments am japanischen
Beschleunigerzentrum KEK. Der Detektor soll ab 2017 zum Einsatz kommen und
Kollisionen von Elektronen und deren Antiteilchen, den Positronen, aufzeichnen.
Mit diesen Experimenten gehen Wissenschaftler der Frage nach, warum es im
heutigen Universum kein nennenswertes Vorkommen von Antimaterie gibt.
Der Sensor ist eine Entwicklung des Halbleiterlabors der Max Planck-Gesellschaft
(MPG). Der Belle II-Vertex-Detektor entsteht in einer internationalen
Kooperation unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Physik. Im Experiment
bringen Wissenschaftler Elektronen und Positronen zur Kollision und werten die
Zerfallspuren der produzierten schweren Mesonen und deren Antiteilchen aus.
"Wir suchen dabei nach winzigen Unterschieden. Dafür ist die präzise Vermessung
des Zerfallsortes - auch als Vertex bezeichnet - entscheidend", erklärt Prof.
Christian Kiesling, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Physik.
"Zuständig für die Messungen ist der jetzt fertiggestellte, wegen seiner
Eigenschaften weltweit konkurrenzlose Sensor."
Hergestellt aus 1000-fach reinerem Silizium als herkömmliche Transistoren oder
Speicherchips, integriert das Modul auf einer Fläche von acht Quadratzentimetern
200.000 DEPFET-Pixelzellen. DEPFET steht für für Depleted p-channel Field
Effect Transistor. Er wurde am Halbleiterlabor (HLL) der MPG erfunden und
wird ausschließlich dort gefertigt. Das DEPFET-Bauteil erlaubt den Nachweis von
Photonen oder, so wie hier, von hochenergetischen Teilchen mit höchster
Effizienz und Präzision.
"Der grundlegende Prozess ist dem, der in herkömmlichen Foto- oder Videokameras
abläuft, sehr ähnlich", erklärt Dr. Jelena Ninkovic, Leiterin des HLL. "Jedoch
ist das primäre Signal beim Nachweis von einzelnen Photonen oder Teilchen sehr
viel kleiner."
Hier kommt der große Vorteil des DEPFET zum Tragen: Das sehr kleine primäre
Signal wird in dem Sensor selbst verstärkt. Der DEPFET ist somit das
Sensormaterial und die erste Verstärkerstufe in Einem. Durch die Anordnung
vieler DEPFETs zu einer Matrix entsteht ein Bildsensor, mit dem man den
Entstehungsort eines Teilchens genau bestimmen kann. "In unserem Fall geschieht
das mit einer Genauigkeit von etwa einem Hundertstel eines Millimeters", so
Ninkovic.
Die Ansteuerung der Pixel in einer Matrix und die schnelle Verarbeitung des
DEPFET-Signals erfordert zusätzliche Elektronik, die in Kollaboration mit
deutschen Universitäten entstanden ist. Diese Elektronik wird in Form von
anwenderspezifischen Schaltkreisen (ASICs) direkt auf das Sensorsubstrat
aufgebracht. Mit den ASICs lassen sich die Signale der Pixelmatrix
digitalisieren und die Datenmenge verlustfrei reduzieren, um sie in höchster
Geschwindigkeit (50.000 Bilder pro Sekunde) zu übertragen.
Die DEPFET Matrix wird dadurch zu einem sehr komplexen Modul mit maximaler
Integrationsdichte, das trotz aller Komplexität extrem dünn und leicht ist, um
die Messung der Teilchenspuren nicht durch das Sensormaterial selbst zu
verfälschen. Das HLL hat dafür eine einzigartige Technologie entwickelt. Sie
erlaubt es, extrem dünne und hoch integrierte Sensormodule herzustellen. Der
sensitive Teil des Moduls, die DEPFET Matrix, wird dabei durch angepasste
Ätzverfahren auf 75 Mikrometer verdünnt, was der Dicke eines menschlichen Haares
entspricht.
Diese an sich biegsame "Folie" aus Silizium wird durch einen monolithisch
integrierten Rahmen unterstützt, auf dem die Auslese- und Steuerelektronik
aufgebracht ist. Die Spannungsversorgung und die Datenleitungen laufen über ein
flexibles Flachbandkabel, das am Ende des Moduls angebracht ist. Die
HLL-Technologie erlaubt es, die dünnen DEPFET Matrizen zylinderförmig ohne jede
weitere Unterstützung um den Wechselwirkungspunkt des Experiments anzuordnen.
Die hochpräzise Messung von Teilchenspuren wird damit zur Realität.
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