Der bislang entfernteste kurze Radioblitz
von
Stefan Deiters astronews.com
23. Oktober 2023
Ein internationales Forschungsteam hat den entferntesten
kurzen Radioblitz aufgespürt, der bislang beobachtet wurde. Der kurze aber
heftige Ausbruch von Radiostrahlung dauerte weniger als eine Millisekunde.
Mithilfe des Very Large Telescope konnte dann der Ursprungsort
identifiziert werden. Das Licht des Blitzes war acht Milliarden Jahre zu uns
unterwegs.
Der Radioblitz FRB 20220610A könnte aus einer weit entfernten
Galaxiengruppe stammen (künstlerische Darstellung).
Bild: ESO / M. Kornmesser [Großansicht] |
Der neue Rekordhalter mit der Bezeichnung FRB 20220610A wurde im Juni des
vergangenen Jahres vom ASKAP-Radioteleskop in Australien registriert. Die
extrem kurzen, aber heftigen Radiostrahlungsausbrüchen, die als Fast Radio
Bursts oder FRBs bezeichnet werden, sind nur für Millisekunden sichtbar.
Trotzdem hat man inzwischen Hunderte von Beobachtungen dieser rätselhaften
Quellen gemacht, rätselt aber noch immer, um was es sich bei ihnen genau
handelt. Nur für wenige ist nämlich ihr wahrscheinlicher Ursprung bekannt.
Das ist im Fall von FRB 20220610A anders: "Mithilfe der ASKAP-Schüsseln
konnten wir genau bestimmen, woher der Ausbruch kam", berichtet Stuart Ryder von
der Macquarie University in Australien. "Dann nutzten wir das Very
Large Telescope der ESO in Chile, um nach der Ursprungsgalaxie zu suchen
und fanden heraus, dass sie älter und weiter entfernt ist als jede andere bisher
gefundene FRB-Quelle und sich wahrscheinlich in einer kleinen Gruppe
verschmelzender Galaxien befindet." Der FRB war zudem auch einer der
energiereichsten bislang registrierten Radioblitze.
Die Entdeckung würde bestätigen, so das Team, dass FRBs dazu verwendet werden
können, die unsichtbare Materie zwischen Galaxien zu messen, wodurch sich neue
Möglichkeiten zur Bestimmung der Masse des Universums auftun würden. Das ist
insbesondere deshalb wichtig, weil die derzeitigen Methoden zur Schätzung der
Masse des Universums widersprüchliche Aussagen machen, von denen einige das
Standardmodell der Kosmologie infrage stellen.
"Wenn wir die Menge der normalen Materie im Universum bestimmen wollen, also
die Menge der Atome, aus denen wir alle bestehen, stellen wir fest, dass mehr
als die Hälfte von dem, was eigentlich vorhanden sein sollte, nicht sichtbar
ist", erklärt Ryan Shannon von der Swinburne University of Technology
in Australien. "Wir vermuten, dass die fehlende Materie im Raum zwischen den
Galaxien versteckt ist. Sie könnte aber so heiß und diffus sein, dass man sie
mit normalen Techniken nicht aufspüren kann. Schnelle Radioblitze aber spüren
dieses ionisierte Material auf. Selbst in einem nahezu leeren Raum können sie
alle Elektronen 'sehen'. Auf diese Weise können wir ermitteln, wie viel Materie
sich zwischen den Galaxien befindet."
Auf diese Möglichkeit hatte vor
drei Jahren der inzwischen verstorbene australische Astronom Jean-Pierre ("J-P")
Macquart hingewiesen: "J-P hat gezeigt, dass je weiter ein schneller Radioblitz
entfernt ist, desto mehr diffuses Gas zwischen den Galaxien sichtbar wird. Dies
ist heute als 'Macquart relation' bekannt. Einige kürzlich beobachtete schnelle
Radioblitze schienen dieser Gesetzmäßigkeit zu widersprechen. Unsere Messungen
bestätigen aber nun, dass die 'Macquart relation' bis über die Hälfte des
bekannten Universums hinaus gilt", sagt Ryder.
"Wir wissen zwar immer
noch nicht, was diese massiven Energieausbrüche verursacht, aber die Studie
bestätigt, dass schnelle Radioblitze im Kosmos häufig vorkommen und dass wir sie
nutzen können, um Materie zwischen Galaxien nachzuweisen und die Struktur des
Universums besser zu verstehen", resümiert Shannon.
Über ihre Beobachtung berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science erschienen ist.
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