Sichtbarkeit von Sternen nimmt schneller ab als gedacht
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Potsdam - Deutsches
GeoForschungsZentrum GFZ astronews.com
20. Januar 2023
Menschen sehen weltweit immer weniger Sterne am Nachthimmel.
Ursache hierfür ist vermutlich die Lichtverschmutzung in den Abend- und
Nachtstunden, die pro Jahr um sieben bis zehn Prozent zunimmt. Diese
Änderungsrate ist größer, als es die Wissenschaft vermutet hatte. Die neuen
Ergebnisse basieren auf Daten eines Citizen-Science-Projekts.
Auswirkung der Lichtverschmutzung: Vom
dunklen Himmel (links) zum innerstädtischen
Himmel (rechts).
Bild: NOIRLab / NSF / AURA, P. Marenfeld [Großansicht] |
Über einem Großteil der Landoberfläche der Erde erstrahlt der Himmel auch
lange nach Sonnenuntergang noch in einer – künstlichen – Dämmerung. Dieses
künstliche Leuchten des Nachthimmels ist eine Form der Lichtverschmutzung, die
gravierende Auswirkungen auf die Umwelt hat und daher im Blick der Forschung
stehen sollte, wie Constance Walker, Mitautorin der Studie und seit dessen
Gründung Leiterin des Projekts Globe at Night des NOIRLab der US
National Science Foundation (NSF) betont. Denn viele Verhaltensweisen und
physiologische Prozesse von Lebewesen sind von tageszeitlichen und saisonalen
Rhythmen bestimmt – und damit vom Licht beeinflusst. "Das Himmelsleuchten
beeinträchtigt sowohl tag- als auch nachtaktive Tiere und zerstört außerdem
einen wichtigen Teil unseres kulturellen Erbes", sagt Walker. Die Erscheinung
des Nachthimmels verändert sich, mit negativen Auswirkungen auf Sternbeobachtung
und Astronomie.
Die Änderung der Lichtverschmutzung ist global gesehen und im Laufe der Zeit
bislang nicht gut bekannt. Zwar kann das künstliche Himmelsleuchten im Prinzip
von Satelliten gemessen werden. Doch die einzigen Instrumente im All, die die
gesamte Erde überwachen können, haben keine ausreichende Messgenauigkeit und
Empfindlichkeit. Ein vielversprechender Ansatz ist es daher, die
Beobachtungskraft der Menschen und damit das menschliche Auge als Sensor zu
nutzen, und dabei – im Rahmen von Citizen-Science-Experimenten – auf "die Macht
der Vielen" zu setzen. Bereits seit 2006 läuft das Projekt Globe at Night,
initiiert vom NOIRLab der NSF. Hieran können sich Menschen auf der ganzen Welt
beteiligen.
Die Teilnehmenden betrachten ihren Nachthimmel und geben dann in einem
Online-Formular an, welche von acht Sternkarten am besten zu dem passt, was sie
sehen. Jede Karte zeigt den Himmel unter verschiedenen Graden an
Lichtverschmutzung. "Die Beiträge der einzelnen Menschen wirken zusammen wie ein
globales Sensornetz, das uns einen ganz neuen Forschungsansatz ermöglicht", sagt
Christopher Kyba vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam und der
Ruhr-Universität Bochum. Gemeinsam mit seinem GFZ-Kollegen Yigit Öner Altıntas
sowie Constance E. Walker und Mark Newhouse vom NOIRLab hat er Daten von 51.351
Beobachtungen auf der ganzen Welt ausgewertet, die zwischen 2011 und 2022 in
wolken- und mondfreien Nächten gemacht wurden. Sie repräsentieren 19.262
Standorte weltweit, davon 3.699 Orte in Europa und 9.488 Orte in Nordamerika.
Um aus diesen Daten eine Veränderungsrate der Himmelshelligkeit zu errechnen
und dabei zu berücksichtigen, dass sich die Beobachtenden auch über die Jahre
jeweils an anderen Standorten befanden, haben sie zusätzlich ein globales Modell
für die Himmelshelligkeit benutzt, das auf Satellitendaten des Jahres 2014
basiert. "Die Geschwindigkeit, mit der Sterne für Menschen in städtischen
Umgebungen unsichtbar werden, ist dramatisch", resümiert Kyba, Erstautor der
Studie. Die Forschenden schätzten die Änderungen der Himmelshelligkeit anhand
der Anzahl der sichtbaren Sterne ab. So ergaben sich für Europa 6,5 Prozent mehr
Helligkeit pro Jahr, für Nordamerika ein Plus von 10,4 Prozent.
Um diese Zahlen zu veranschaulichen, erläutert Kyba die Konsequenzen, die
sich für die Beobachtbarkeit von Sternen an einem Ort mit einer
Helligkeitszunahme von 9,6 Prozent pro Jahr ergeben würden. Das entspricht dem
aktuell ermittelten weltweiten Durchschnitt. "Wenn die Entwicklung so
fortschreitet, wird ein Kind, das an einem Ort geboren wird, an dem 250 Sterne
sichtbar sind, dort an seinem 18. Geburtstag nur noch 100 Sterne sehen können."
Die Geschwindigkeit dieser Entwicklung hatten die Forschenden – nach Analyse der
Satellitendaten – so nicht erwartet. Im Gegenteil hatten diese für die Standorte
der Beobachtenden sogar darauf hingedeutet, dass die künstliche Helligkeit
leicht abgenommen hat (um 0,3 Prozent pro Jahr in Europa, um 0,8 Prozent in
Nordamerika).
Kyba glaubt, dass der Unterschied zwischen der menschlichen Beobachtung und
den Satellitenmessungen wahrscheinlich auf Veränderungen in der
Beleuchtungspraxis zurückzuführen ist: "Satelliten reagieren am empfindlichsten
auf Licht, das nach oben gen Himmel gerichtet ist. Aber es ist horizontal
abgestrahltes Licht, das den größten Teil des Himmelsleuchtens ausmacht",
erklärt der Wissenschaftler. "Wenn also Werbung und Fassadenbeleuchtungen
häufiger, größer oder heller werden, könnten sie einen großen Einfluss haben,
ohne dass sich das auf den Satellitenbildern entsprechend widerspiegelt."
Als weiteren Faktor nennen die Autoren die weit verbreitete Umstellung von
orangefarbenen Natriumdampflampen auf weiße LEDs, die u. a. auch blaues Licht
aussenden. "Unsere Augen sind nachts empfindlicher für blaues Licht, und blaues
Licht wird in der Atmosphäre eher gestreut, trägt also stärker zum
Himmelsleuchten bei", so Kyba. "Aber der einzige Satellit, der die ganze Erde
bei Nacht abbilden kann, ist im Wellenlängenbereich des blauen Lichts nicht
empfindlich."
Auch der Citizen-Science-Ansatz hat allerdings seine Limitierungen: So
bestimmt die Anzahl der Teilnehmenden aus den verschiedenen Regionen der Welt
die Aussagekraft über räumliche und zeitliche Trends. Bislang beteiligen sich
vor allem Menschen aus Nordamerika und Europa an dem Experiment, und die Hälfte
der asiatischen Beiträge stammt aus einem einzigen Land: Japan. "Die meisten
Daten stammen aus den Regionen der Erde, in denen das Himmelsleuchten derzeit am
stärksten ausgeprägt ist. Das ist nützlich, aber es bedeutet, dass wir nicht
viel über die Veränderungen des Himmelslichts in Regionen mit wenigen
Beobachtungen sagen können", betont Kyba. Gerade in Entwicklungsländern werden
rasche Veränderungen der künstlichen Himmelsbeleuchtung vermutet, aber dort gibt
es bislang nur wenige Beobachtungen.
Aus ihren Ergebnissen ziehen die Forschenden zwei wesentliche Schlüsse: Zum
einen zeige sich, dass die aktuelle Beleuchtungspraxis und -politik etwa durch
den zunehmenden Einsatz von LEDs trotz wachsenden Bewusstseins hinsichtlich der
Lichtverschmutzung zumindest auf kontinentaler Ebene noch keine Verbesserung
bewirkt hat. "Und zum anderen konnten wir demonstrieren, dass die Citizen-Science-Daten
eine wichtige Ergänzung zu den bisherigen Messverfahren darstellen", betont Kyba.
Und Walker ergänzt: "Hätten wir eine breitere Beteiligung, könnten wir Trends
für andere Kontinente und möglicherweise sogar für einzelne Staaten und Städte
ermitteln. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, also schauen Sie heute
Abend ruhig mal rein und sagen Sie uns, was Sie sehen!"
Über die Studie berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science erschienen ist.
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