Magnetfeldumkehr in der Sonnenkorona beobachtet
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
14. September 2022
Während des bisher engsten Vorbeiflugs der ESA-Raumsonde
Solar Orbiter an der Sonne im Frühjahr dieses Jahres wurde die Sonde
offenbar Zeuge eines sogenannten Switchbacks. Das Phänomen ist seit
Jahrzehnten aus Sonnenwindmessungen bekannt, jetzt aber gelang es, dem Ursprung
des Phänomens bis hinunter in die untere Korona nachzuspüren.
Diese zusammengesetzte Aufnahme eines
solaren Switchbacks gelang Solar Orbiter am 25.
März 2022. Der Switchback ist die langgezogene,
helle Struktur, die sich in der Korona zeigt.
Dieser Teil des Bildes wurde von Solar Orbiters
Koronographen Metis aufgenommen. In der inneren
Korona zeigt sich in Zusammenhang mit dem
Switchback eine Vielzahl koronaler Bögen. Sie
wurden vom Extreme-Ultraviolet Imager von Solar
Orbiter aufgenommen.
Bild: ESA & NASA / Solar Orbiter / EUI &
Metis Teams und D. Telloni et al. (2022) [Großansicht] |
Das Magnetfeld der Sonne macht sich nicht nur in ihrer unmittelbaren
Umgebung bemerkbar. Der Sonnenwind, der stetige Strom geladener Teilchen von der
Sonne, trägt es weit in den Weltraum hinaus und erzeugt so die Heliosphäre, den
magnetischen Einflussbereich der Sonne. Plötzliche, lokal auftretende
Umkehrungen des Magnetfeldes sind dabei offenbar keine Seltenheit. In großer
Nähe zur Sonne ist das Phänomen der NASA-Raumsonde Parker Solar Probe
in den vergangenen Jahren häufig begegnet. Auch die deutsch-amerikanischen
Zwillingssonden Helios I und II sowie die NASA-Sonde
Ulysses fingen in den 1970er und 1990er Jahren in deutlich größerem Abstand
zur Sonne vereinzelt entsprechende Messdaten ein.
Die sogenannten Switchbacks dauern höchstens einige Stunden an,
haben eine S-förmige Gestalt und gehen oftmals mit Beschleunigungen des
Sonnenwindes einher. Ihr Ursprung blieb jedoch bisher weitestgehend unklar. Die
neuen Messungen von Solar Orbiter, die zu Beginn dieser Woche
veröffentlicht werden, bringen neue Erkenntnisse – auch weil sich die
Beobachtungen der ESA-Sonde fundamental von denen ihrer sonnenforschenden
Vorgänger unterscheiden. Bei den bisherigen Begegnungen mit Switchbacks handelte
es sich um in situ-Messungen: Die Raumsonden durchflogen den Sonnenwind und
zeichneten die Stärke und Richtung des Magnetfeldes am eigenen Standort auf.
Solar Orbiter hingegen ist auch mit Teleskopen und Kameras ausgerüstet und
kann so das Phänomen in seiner Gesamtheit abbilden.
Dies gelang dem Solar-Orbiter-Koronograph Metis am 25. März dieses
Jahres, einen Tag bevor die Raumsonde ihren bisher sonnennächsten Punkt
erreichte. Weniger als 48 Millionen Kilometer trennten Solar Orbiter zu
diesem Zeitpunkt von der Sonne. Der Koronograph deckt die helle Sonnenscheibe
sowie die innere Atmosphäre der Sonne ab und macht so Vorgänge in der deutlich
lichtschwächeren äußeren Atmosphäre sichtbar. Am Max-Planck-Instituts für
Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen wurden die Kameras des Instrumentes
entwickelt und gebaut.
In den jetzt veröffentlichten Aufnahmen ist eine langestreckte, S-förmig
gebogene Plasmastruktur zu erkennen, die zunächst in einer Höhe von 2,6
Sonnenradien oberhalb der Sonnenoberfläche auftritt. Mit einer Geschwindigkeit
von mindestens 290.000 Kilometern pro Stunde bewegt sich radial von der Sonne
weg, wobei sich ein kleiner Teil der Struktur in entgegengesetzter Richtung
auszubreiten scheint. "Die große Stärke von Solar Orbiter ist, dass die
Raumsonde mit Instrumenten ausgerüstet ist, die gleichzeitig in unterschiedliche
Schichten der Sonne schauen können", erklärt Dr. Luca Teriaca vom MPS, Co-Principal-Investigator
von Metis und Ko-Autor der aktuellen Studie. "So konnten wir den Switchback
erstmals bis zu seinem Ursprung verfolge."
Denn auch der Extreme Ultraviolet-Imager (EUI) von Solar Orbiter
war am 25. März eingeschaltet. Das Instrument, zu dem das MPS eines von drei
Teleskopen beigesteuert hat, fängt die extrem kurzwellige ultraviolette
Strahlung aus der inneren Korona ein. Sein Sichtfeld liegt somit deutlich näher
an der Oberfläche der Sonne als das von Metis. Die EUI-Aufnahmen vom
25. März zeigen unterhalb des Switchbacks ein wahres Feuerwerk heller
Plasmabögen, die sich von der Sonnenoberfläche bis in die innere Korona
erstrecken. Wie auch hier treten solche koronalen Bögen häufig in Zusammenhang
mit aktiven Regionen, Gebieten starker Magnetfeldstärke an der Oberfläche der
Sonne, auf. Das Plasma strömt dort entlang der gebogenen, geschlossenen
Feldlinien des Sonnenmagnetfeldes.
Um zu verstehen, wie die Beobachtungen von EUI und Metis
zusammenpassen, hat das Team umfangreiche magnetohydrodynamische
Modellrechnungen durchgeführt. Auf diese Weise konnten die Forscherinnen und
Forscher sowohl die Architektur des solaren Magnetfeldes zum Zeitpunkt des
Switchbacks berechnen, als auch die Entwicklung und Ausbreitung der kuriosen
Struktur selbst nachvollziehen. "Die Berechnungen deuten darauf hin, dass sich
Switchbacks dort bilden, wo sich das Magnetfeld oberhalb einer aktiven Region
neu formiert", so MPS-Wissenschaftlerin und Ko-Autorin Dr. Regina Aznar Cuadrado.
In direkter Nachbarschaft zu den geschlossenen Magnetfeldlinien fand das Team
offene Feldlinien, die weit ins All reichen. Dort, wo beide Arten von
Magnetfeldlinien interagieren, strukturiert sich das Magnetfeld um; die
freiwerdende Energie wird in Form einer S-förmigen Störung im Plasma
freigesetzt. "Switchbacks gehen oftmals mit einem lokalen Anstieg der
Sonnenwindgeschwindigkeit einher", ordnet MPS-Wissenschaftler und Ko-Autor Prof.
Dr. Hardi Peter die neuen Ergebnisse ein. "Die aktuelle Studie kann deshalb
möglicherweise helfen zu verstehen, wie der Sonnenwind ins All beschleunigt
wird", fügt er hinzu.
Das Team hofft nun darauf, das Solar Orbiter in den kommenden
Monaten Zeuge weiterer Switchbacks wird. Im Idealfall breitet sich die
Plasmastörung dann in Richtung der Raumsonde aus und erreicht sie schließlich.
Auf diese Weise könnten nicht nur die Teleskope von Solar Orbiter,
sondern auch die In-situ-Instrumente Messdaten einfangen – und das Phänomen
erstmals von seinem Entstehungsort bis in die Heliosphäre nachverfolgen.
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift The Astrophysical Journal Letters erschienen ist.
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