Überraschender Reichtum an organischen Molekülen auf 67P
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
6. Juli 2022
Auf dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko gibt es offenbar
einen unerwarteten Reichtum an komplexen organischen Molekülen. Dies ergab die
Auswertung von Daten, die während der Mission Rosetta aufgezeichnet
worden waren. Solche organischen Stoffe könnten auch eine Rolle bei der
Entstehung des Lebens auf der Erde gespielt haben.
Gas und Staub steigen von der Oberfläche von
67P auf, während sich der Komet dem
sonnennächsten Punkt auf seiner Umlaufbahn
nähert.
Bild: ESA / Rosetta / NAVCAM [Großansicht] |
Kometen sind Fossilien aus der Urzeit und den Tiefen unseres Sonnensystems
und sind Überbleibsel der Entstehung von Sonne, Planeten und Monden. Einem Team
unter der Leitung der Chemikerin Dr. Nora Hänni vom Physikalischen Institut der
Universität Bern, Abteilung Weltraumforschung und Planetologie, ist es nun
gelungen, erstmals eine ganze Reihe komplexer organischer Moleküle bei einem
Kometen zu identifizieren.
Mitte der 1980er Jahre schickten die großen Raumfahrtagenturen eine Flotte
von Raumfahrzeugen aus, um am Halleyschen Kometen vorbeizufliegen. An Bord
befanden sich mehrere Massenspektrometer, die die chemische Zusammensetzung
sowohl der Kometenkoma – der dünnen Atmosphäre, die durch die Sublimation von
Kometeneis in der Nähe der Sonne entsteht –, als auch von Staubpartikeln
untersuchten. Die von diesen Instrumenten gesammelten Daten verfügten jedoch
nicht über die erforderliche Auflösung, um eine eindeutige Bestimmung der
Zusammensetzung des Kometen zu ermöglichen.
Mehr als 30 Jahre später hat das hochauflösende Massenspektrometer ROSINA,
ein Instrument unter der Leitung der Universität Bern an Bord der ESA-Raumsonde
Rosetta, zwischen 2014 und 2016 Daten über den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko
gesammelt. Diese Daten gestatten den Forschenden nun zum ersten Mal, Licht in
den komplexen organischen Haushalt von 67P zu bringen.
Als der Komet sein Perihel erreichte, den sonnennächsten Punkt, wurde er sehr
aktiv. Das sublimierende Kometeneis erzeugte einen "Ausfluss", der Staubpartikel
mit sich zog. Die abgestoßenen Partikel wurden durch die Sonneneinstrahlung auf
Temperaturen aufgeheizt, die über denen liegen, die typischerweise auf der
Kometenoberfläche herrschen. Dadurch gelangten größere und schwerere Moleküle in
die Gasphase und konnten vom hochauflösenden Massenspektrometer ROSINA-DFMS
(Rosetta Orbiter Sensor for Ion and Neutral Analysis-Double Focusing Mass
Spectrometer) gemessen werden.
"Aufgrund der extrem staubigen Bedingungen musste sich die Raumsonde auf eine
sichere Distanz von etwas mehr als 200 Kilometern über der Kometenoberfläche
zurückziehen, damit die Instrumente unter stabilen Bedingungen arbeiten
konnten", erinnert sich die Astrophysikerin Prof. em. Dr. Kathrin Altwegg,
Hauptverantwortliche für das ROSINA-Instrument und Mitautorin der neuen Studie.
So war es möglich, Teilchen aufzuspüren, die aus mehr als einer Handvoll Atome
bestehen und die zuvor im Kometenstaub verborgen geblieben waren.
Die Interpretation der komplexen ROSINA-Daten ist eine Herausforderung. Dem
Berner Forschungsteam ist es jedoch gelungen, eine Reihe komplexer organischer
Moleküle zu identifizieren, die bisher noch nie in einem Kometen nachgewiesen
wurden. "Wir haben zum Beispiel Naphthalin gefunden, das für den
charakteristischen Geruch von Mottenkugeln verantwortlich ist. Auch fanden wir
Benzoesäure, ein natürlicher Bestandteil von Weihrauch. Und wir identifizierten
Benzaldehyd, das weithin verwendet wird, um Lebensmitteln ein Mandelaroma zu
verleihen und viele weitere Moleküle", erklärt die Chemikerin des ROSINA-Teams
Nora Hänni.
Diese komplexen organischen Stoffe würden den Geruch von 67P offenbar noch
vielfältiger als bisher angenommen machen, aber auch angenehmer, so Hänni.
Abgesehen von wohlriechenden Molekülen wurden im organischen Haushalt von 67P
auch viele mit sogenannter präbiotischer Funktionalität identifiziert (zum
Beispiel Formamid). Solche Verbindungen sind wichtige Zwischenstufen bei der
Synthese von Biomolekülen (zum Beispiel Zucker oder Aminosäuren). "Es scheint
deshalb wahrscheinlich, dass einschlagende Kometen – als wesentliche Lieferanten
von organischem Material – auch zur Entstehung von kohlenstoffbasiertem Leben
auf der Erde beigetragen haben", erklärt Hänni.
Neben der Identifizierung einzelner Moleküle führten die Forschenden auch
eine detaillierte Charakterisierung des gesamten Ensembles komplexer organischer
Moleküle im Kometen durch, um ihn in den größeren Kontext des Sonnensystems
einordnen zu können. Parameter wie die durchschnittliche Summenformel dieses
organischen Materials oder die durchschnittliche Bindungsgeometrie der darin
enthaltenen Kohlenstoffatome sind für diverse wissenschaftliche Bereiche von
Bedeutung, von der Astronomie bis zur Sonnensystemforschung.
"Es hat sich herausgestellt, dass der komplexe organische Haushalt von 67P/Churyumov-Gerasimenko
im Durchschnitt identisch ist mit dem löslichen Teil der organischen Materie von
Meteoriten", erklärt Hänni und ergänzt: "Starke Ähnlichkeiten gibt es –
abgesehen von der relativen Menge der Wasserstoffatome – auch zum organischen
Material, das auf Saturn von seinem innersten Ring herabregnet, wie es mit dem
INMS-Massenspektrometer an Bord der NASA-Raumsonde Cassini nachgewiesen
wurde."
"Wir finden nicht nur Ähnlichkeiten zu den organischen Reservoirs im
Sonnensystem, sondern viele der organischen Moleküle von 67P sind auch in
Molekülwolken, den Geburtsstätten neuer Sterne, vorhanden", so Prof. Dr. Susanne
Wampfler, Astrophysikerin am Center for Space and Habitability der
Universität Bern und Mitautorin der Studie. "Unsere Ergebnisse sind konsistent
mit dem Szenario eines gemeinsamen präsolaren Ursprungs der verschiedenen
organischen Reservoirs des Sonnensystems und bestätigen, dass Kometen
tatsächlich Material aus der Zeit lange vor der Entstehung unseres Sonnensystems
enthalten."
Über ihre Ergebnisse berichtete das Team in der Fachzeitschrift Nature
Communications.
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