Einschläge veränderten Erdatmosphäre
Redaktion
/ Pressemitteilung des Instituts für Weltraumforschung der ÖAW astronews.com
9. Juni 2017
Die erfolgreiche Messung mehrerer Isotope des Edelgases
Xenon beim Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass durch Einschläge von Kometen
einst Material auf die Erde gelangt ist. Die Auswertung weiterer Rosetta-Daten
ergab zudem, dass unser Sonnensystem am Anfang sehr heterogen war und kometäres Eis
offenbar älter als unser Sonnensystem ist.

Bild des Kometen 67P von Ende Mai 2016, als
Rosetta während dreier Wochen so nah wie möglich
am Kometen flog, um ROSINA das "Erschnüffeln" der
Xenon-Isotope zu ermöglichen.
Bild: ESA / Rosetta / NAVCAM, CC BY-SA IGO
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Xenon ist ein farbloses, geruchloses Gas, das weit weniger als ein
Millionstel des Volumens der gesamten Erdatmosphäre ausmacht. Als Edelgas
reagiert es fast nicht mit anderen Elementen und hat deshalb einen relativ
stabilen atomaren Zustand. Es kann daher Verhältnisse bei der Entstehung unseres
Sonnensystems relativ genau wiedergeben.
Mit Xenon kann auch die alte Frage zu Kometen beantwortet werden: Gelangte
durch Kometen-Einschläge Material auf die Erde, und wenn ja, wie viel?
Wissenschaftler um Kathrin Altwegg vom Center for Space and Habitability
(CSH) der Universität Bern konnten nun zeigen, dass die Xenon-Mischung beim
Kometen 67P/Churyumov–Gerasimenko dem bereits seit 40 Jahren vermuteten
irdischen "Ur-Xenon" sehr ähnlich ist, das kurz nach der Entstehung unseres
Sonnensystems von außen auf unseren Planeten gelangte. Die Messungen zeigen,
dass ungefähr ein Fünftel des irdischen Xenons von Kometen stammt. Damit konnte
erstmals eine quantitative Verbindung zwischen Kometen und der Erdatmosphäre
hergestellt werden.
Xenon wird in einer Vielfalt von stellaren Prozessen geformt, etwa bei
Supernova-Explosionen. Jedes dieser Phänomene führt zu einer typischen
Xenon-Isotopenverteilung, einem spezifischen "Fingerabdruck". Wegen seiner
vielen Isotope aus verschiedenen stellaren Prozessen liefert Xenon wichtige
Hinweise auf das Ur-Material, aus dem unser Sonnensystem entstand.
Gemessen wurden Xenon-Isotopen bereits in der Atmosphäre von Erde und Mars,
in Meteoriten, die von Asteroiden abstammen, beim Jupiter und im Sonnenwind –
dem Strom von geladenen Teilchen von der Sonne. Die Xenon-Mischung in der
Erdatmosphäre besitzt mehr schwere als leichte Isotope, da leichte Isotope eher
aus dem Gravitationsfeld der Erde ins All entweichen können.
Indem sie diesen Effekt korrigierten, haben Forscher in den 1970er Jahren die
ursprüngliche Mischung dieses Edelgases, das sogenannte "Ur-Xenon" berechnet,
das einst in der Atmosphäre der Erde vorherrschte. Dieses Ur-Xenon enthält viel
weniger schwere Isotope und die Zusammensetzung der leichten Isotope gleicht
derjenigen des Xenon von Asteroiden oder der Sonne.
Deshalb wurde vermutet, dass das Ur-Xenon in der frühen Erdatmosphäre einen
anderen Ursprung hat, als die sonst beobachtete Mischung im Sonnensystem. Dies
bestätigen Daten, die dank dem Messgerät ROSINA auf der Rosetta-Sonde beim
Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, einem eisigen "Fossil" aus dem frühen
Sonnensystem, gewonnen wurden.
"Die Suche nach Xenon beim Kometen war wahrscheinlich eine der wichtigsten
und schwierigsten Messungen von ROSINA", erläutert Altwegg, die
ROSINA-Projektleiterin am Center for Space and Habitability. "Dass wir
dabei einen Teil eines über 40 Jahre alten Rätsels gelöst haben, freut uns umso
mehr." Xenon ist sehr selten in der sowieso schon dünnen Atmosphäre des Kometen.
Die Sonde Rosetta musste deshalb wochenlang sehr nahe am Kometen
fliegen – 7 bis 10 Kilometer vom Kernmittelpunkt –, damit ROSINA genügend
Signale für eine eindeutige Messung der sieben häufigsten Isotope erhielt.
Das Risiko dabei war, dass der dichte Staub nahe beim Kometen das
Orientierungssystem der Sonde hätte beschädigen können. ROSINA gelang es, neben
anderen Edelgasen auch sieben Xenon-Isotope zu identifizieren. Die Analyse der
Daten zeigte, dass das kometäre Xenon, das bei der Entstehung des Kometen
eingefroren wurde, sowohl von der Mischung im Sonnensystem als auch vom heutigen
Mix in der Erdatmosphäre abweicht. Die Zusammensetzung des kometären Xenons
gleicht am ehesten derjenigen des postulierten Ur-Xenons in der frühen
Erdatmosphäre.
Es gibt aber gewisse Unterschiede zwischen beiden Zusammensetzungen, woraus
die Wissenschaftler schließen, dass das ursprüngliche Xenon teils von Kometen,
teils von Asteroiden stammt: "Erstmals konnten wir den quantitativen
Zusammenhang zwischen Kometen und unserer Erdatmosphäre herstellen – demnach
stammen 22 Prozent des ursprünglichen, atmosphärischen Xenons der Erde von
Kometen, während der Rest von Asteroiden stammt", fasst Altwegg zusammen.
Dieses Resultat steht nicht im Widerspruch zu ROSINAS Isotopenmessung im
Wasser des Kometen, die signifikant anders war als im irdischen Wasser. Da Xenon
nur in Spuren in der Atmosphäre vorhanden ist, während die Erde große
Wassermengen in den Ozeanen und der Atmosphäre enthält, konnten Kometen durchaus
einen Beitrag zum irdischen Xenon leisten, ohne das irdische Wasser wesentlich
zu verändern. "Zudem vertragen sich die Ergebnisse des Xenons gut mit der Idee,
dass durch Kometen organische Stoffe auf die Erde gelangten - wie Phosphor und
die Aminosäure Glyzin, die ebenfalls von ROSINA beim Kometen gefunden wurden -
das möglicherweise ausschlaggebend war für die Entwicklung von Leben auf der
Erde", sagt Altwegg.
Schlussendlich deutet der Unterschied zwischen dem kometären Xenon und dem
Xenon im Sonnensystem darauf hin, dass die sogenannte protosolare Wolke, aus der
die Sonne, Planeten und Kleinkörper gebildet wurden, ein chemisch ziemlich
heterogener Ort war. "Dies stimmt überein mit früheren Messungen von ROSINA, wie
die unerwartete Entdeckung von molekularem Sauerstoff oder molekularem
Schwefel", sagt Altwegg.
Eine Forschergruppe unter der Leitung von Martin Rubin, ebenfalls CSH, konnte
zudem zeigen, dass Silizium im Kometen nicht das mittlere Isotopenverhältnis
unseres Sonnensystems aufweist. Damit deuten die ROSINA-Daten darauf hin, dass
das Material unseres frühen Sonnensystems von verschiedenen Vorläufer-Sternen
stammt. Wie beim Xenon spricht dies dafür, dass die chemische Zusammensetzung
des frühen Sonnensystems heterogen, also nicht «gleichmäßig» durchmischt war,
wie bisher vermutet.
ROSINA hatte bereits früh in der Mission Silizium-Atome in der Gashülle des
Kometen entdeckt, die durch Sonnenwind aus der Oberfläche des Kometen
hinausgeschlagen wurden. Eine genaue Analyse durch Rubin hat nun gezeigt, dass
die Isotope von Silizium ebenfalls eine Anomalie aufweisen, wenn man sie mit
solarem Silizium vergleicht. Die schweren Silizium-Isotope sind weniger häufig
verglichen mit der Mischung bei der Sonne und Meteoriten. Dies deutet darauf
hin, dass Kometen sich in einem Gebiet im protosolaren Nebel gebildet haben, das
eine nicht-solare chemische Zusammensetzung aufwies – und somit möglicherweise
Material von einem anderen Stern oder Supernova in der Nähe übernommen hat.
Eine weitere Untersuchung weist außerdem anhand der Wasserstoff-Isotope nach,
dass kometäres Wasser – sogenanntes "schweres" Wasser – vor der Entstehung des
Sonnensystems gebildet und als präsolares Eis in Kometen eingefroren wurde.
"Unsere Ergebnisse bei allen drei Studien erfüllen damit eines der Hauptziele
der Rosetta-Mission, nämlich erstmals quantitative Anhaltspunkte zur
Entstehung der Erde und unseres Sonnensystems zu finden", sagt Altwegg.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in Beiträgen für die
Fachzeitschriften Science und Astronomy & Astrophyscis sowie
für eine Sonderausgabe der Zeitschrift Philosophical Transaction of the Royal Society.
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